Darf eine Frau ein fremdes Kind stillen?
Die innige Verbundenheit einer Mutter und ihrem Stillkind kann auch Schattenseiten haben: Was, wenn die Mutter krank wird oder dringend weg muss? Kann das Baby problemlos aufs Flรคschchen umgestellt werden? Oder sollte eine andere Mutter als Amme einspringen? Ist das moralisch รผberhaupt "erlaubt"?
Schauspielerin Salma Hayek hat es vorgemacht: Beim Besuch eines Krankenhauses im westafrikanischen Sierra Leone im Jahr 2009 legte sie kurzerhand ein fremdes Kind an. "Der Junge war krank und die Mutter hatte nicht genug Milch", sagte Hayek. Damals erregte sie mit dieser Aktion viel Aufsehen.
Fremdstillen? Der Gedanke lรถst Entsetzen aus
Ein fremdes Kind stillen? Das kรถnnte sich Luana "niemals niemals niemals vorstellen". Als ihre Schwรคgerin Medikamente nehmen musste, die ihre Muttermilch blau fรคrbten, durfte sie ihren kleinen Sohn vorรผbergehend nicht stillen. Die Schwรคgerin fragte Luana, ob sie das รผbernehmen kรถnnte. Doch Luana lehnte entsetzt ab. In einem Mรผtter-Forum fragt sie: "Mich wรผrde einmal interessieren, wie ihr reagieren wรผrdet, wenn eine andere Frau euch fragt, ob ihr ihr Baby stillen kรถnnt."
Die Reaktionen im Forum sind sehr unterschiedlich. Eine Frau kรถnnte sich nicht einmal vorstellen, ihre abgepumpte Muttermilch einem anderen Kind aus dem Flรคschchen zu fรผttern, geschweige denn, dieses Kind zu stillen. Userin Yvonne wรผrde auch kein fremdes Kind an die Brust legen, schreibt aber: "Frรผher scheint das sogar normal gewesen zu sein. Meine Oma verkaufte ihre Milch sogar an Frauen, die nicht stillen konnten." Andere Frauen reagieren gelassener: "Warum nicht? Besser als Kuhmilch!" Oder: "Ich habe das sogar schon gemacht, aber es war irgendwie komisch."
Dann gibt es schlieรlich auch noch die eigenwilligen Kinder: "Mein Sohn hat sich schlicht geweigert, aus einer Flasche zu trinken, egal, was wir versucht haben", erzรคhlt Anja. "Ich war quasi gezwungen zu stillen, auch als ich mit hohem Fieber und Grippe im Bett lag. Ich hรคtte es beruhigend gefunden zu wissen, dass im Notfall meine Freundin einspringen kann. Zum Glรผck konnte ich trotz Grippe weiter stillen. Mein Mann hat mir das Baby immer ans Bett gebracht."
Stillen ist auch ein kulturelles Thema
Was uns so seltsam erscheint, ist andernorts vรถllig normal. In der Mongolei beispielsweise wird die weibliche Brust eher als Allgemeingut betrachtet. Ist die Mutter eines Kindes gerade nicht greifbar, dann stillt eben die Groรmutter oder auch eine Nachbarin das Kind. Eine mongolische Legende besagt, dass Dschingis Khan nur durch die reichlich genossene Muttermilch ein so groรer Krieger werden konnte.
Das sagt die Stillberaterin
Stillberaterin Biggi Welter von der "La Leche Liga" meint dazu: "Das Ammenstillen war in vergangenen Zeiten eine gรคngige Praxis und hat sicher vielen Babys das Leben gerettet, als es noch keine hochwertige kรผnstliche Sรคuglingsnahrung gab. Auch heute noch listet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gespendete Frauenmilch vor kรผnstlicher Sรคuglingsnahrung auf, wenn es um die optimale Ernรคhrung eines Babys geht."
Es gebe einige Dinge zu bedenken, sagt Welter. "Die Mutter muss ganz sicher sein, dass sie es emotional verkraftet, dass eine andere Frau das Baby stillt. Es mag rational betrachtet absolut unproblematisch sein, doch die Psyche einer Mutter spielt eine groรe Rolle und unsere Gefรผhle sind nicht vom Verstand steuerbar."
Es gibt einige wenige Risiken
Ein weiterer Punkt: Das Baby mรผsste beim Fremdstillen mitspielen. Nicht jedes Kind lรคsst sich von einer "Amme" stillen. Zudem gebe es einige seltene Krankheiten, die auch beim Stillen รผbertragen werden kรถnnten, so Stillberaterin Welter. Dazu gehรถrten das Zytomgalie-Virus (CMV), der eine normalerweise harmlos verlaufende Infektion auslรถst. Zytomegalie ist hauptsรคchlich fรผr ungeborene Babys gefรคhrlich. Aber auch HIV kann beim Stillen รผbertragen werden, ebenso wie HTLV-1 (Humanes T-Zell-Leukรคmie-Virus). "Aus diesem Grund wird Spendermilch fรผr ein fremdes Baby in den Milchbanken pasteurisiert", so Welter.
Fazit: Wenn sich alle Beteiligten einig sind und das Baby mitspielt, kann zum Beispiel eine Freundin oder Verwandte durchaus mit ihrer Muttermilch aushelfen. Die Weltgesundheitsorganisation bewertet fremde Muttermilch hรถher als kรผnstliche Babynahrung. Aber die eigene Einstellung einer Mutter spielt die entscheidende Rolle.