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Höhere Strafen für Raser | Experte: Darum wird der Verkehr immer aggressiver


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Höhere Strafen
Experte: "Nicht weiter an der Bußgeldschraube drehen"

InterviewVon Markus Abrahamczyk

Aktualisiert am 08.10.2021Lesedauer: 5 Min.
Höhere Strafen für Raser beschlossen: Drastische Bußgelder erzielen nur ihre abschreckende Wirkung, wenn sie auch durchgesetzt werden, kritisiert ein Experte.Vergrößern des Bildes
Höhere Strafen für Raser beschlossen: Drastische Bußgelder erzielen nur ihre abschreckende Wirkung, wenn sie auch durchgesetzt werden, kritisiert ein Experte. (Quelle: imago-images-bilder)

Viele Verkehrsdelikte werden sehr bald deutlich teurer. Nur, werden dadurch unsere Straßen sicherer? Und schützt uns der Staat ausreichend vor Verkehrssündern? Das sagt ein Experte.

400 Euro fürs Rasen und Fahrverbot, wenn man keine Rettungsgasse bildet: Deutlich verschärfte Bußen sollen zu mehr Ordnung und Sicherheit auf unseren Straßen führen. Die Neuregelung des Bußgeldkatalogs wurde nun auch vom Bundesrat bestätigt und dürfte schon in wenigen Wochen in Kraft treten.

Rücksichtsloses und aggressives Verhalten im Straßenverkehr entstehe aber nicht durch zu geringe Geldbußen. Und lasse sich auch nicht allein mit höheren Strafen aus der Welt schaffen. Sondern es sei eher Symptom und gleichzeitig Folge einer viel größeren Entwicklung, sagt Siegfried Brockmann. Diese Entwicklung sei ungleich schwieriger in den Griff zu bekommen, erklärt der Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV) im Gespräch mit t-online. Zumindest aber beim Schutz vor Rasern sieht er einen einfachen Grund zur Hoffnung.

t-online.de: Heute hat auch der Bundesrat der Verschärfung des Bußgeldkatalogs zugestimmt. Einige Vergehen, zum Beispiel das Rasen, werden nun deutlich teurer, das Parken auf einem Behindertenparkplatz hingegen nur ein bisschen. Was sagt der Unfallforscher zu den beschlossenen Änderungen?

Siegfried Brockmann: Wenn der Staat Regeln schafft, muss er auch entsprechende Sanktionen schaffen, wenn man ihn ernst nehmen soll. Hier wurde in der Vergangenheit einiges verpasst. Bei vielen Delikten hatten wir ja über die letzten Jahrzehnte nicht einmal einen Inflationsausgleich. Das ist jetzt ein wenig nachgeholt worden. Trotzdem haben wir im internationalen Vergleich für viele Delikte immer noch relativ geringe Bußgelder. Es ist also ein erster Schritt. Und der war dringend erforderlich. Gerade mit dem Falschparken und der Geschwindigkeitsübertretung sind ja auch sicherheitsrelevante Delikte angegangen worden. Das ist so erst mal in Ordnung.

Was helfen aber die härtesten Strafen, wenn sie nicht durchgesetzt werden? Mancher Radfahrer beispielsweise hat das Gefühl: Das Parken auf dem Radweg wird gar nicht als Verkehrsdelikt wahrgenommen. Und niemand befürchtet, dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Das ist tatsächlich ein wunder Punkt. Insbesondere im Kopf des Kraftfahrers bildet sich eine Arithmetik aus Strafhöhe und Entdeckungswahrscheinlichkeit.

Was bedeutet das?

Wenn zum Beispiel ein geringes Bußgeld droht und ich dafür einmal wöchentlich erwischt werde, hat das eine größere Wirkung als ein hohes Bußgeld, wenn der Autofahrer aber nur alle drei Jahre erwischt wird. Deshalb muss beides Hand in Hand gehen – es liegt aber nicht bei denselben Stellen: Das eine, nämlich die Bußgelder auf ein ernstzunehmendes Level anzuheben, kann der Bund machen. Und das hat er ja jetzt auch getan. Das andere aber müssen natürlich Kommunen und Polizei in die Hand nehmen. Und gerade beim regelwidrigen Parken hat ja jeder die Erfahrung gemacht: Mal schnell auf dem Gehweg parken – das wird eigentlich nie geahndet.

Aber warum nicht?

Das Problem ist: Die Ordnungsämter konzentrieren sich fast ausschließlich darauf, ob ein Parkschein gezogen wurde oder nicht. Um das schnelle Parken auf dem Radweg kümmert man sich aber in aller Regel nicht. Und leider tut es auch die Polizei nicht. Sie meint, es handelt sich hier um den ruhenden Verkehr, für den sie nicht zuständig sei. Das ist aus meiner Sicht aber einfach falsch. Die Polizei ist für die Gefahrenabwehr zuständig. Da muss in den Köpfen noch etwas passieren: Dieses Delikt ist gefährlich! So ein Einschreiten vermisse ich momentan sehr.

Polizei und Ordnungsämter schützen uns also nicht ausreichend vor Falschparkern?

So ist es. Mal eben Herausspringen zum Bäcker ist eben kein Kavaliersdelikt. Vor allem, weil es massenhaft verübt wird und deshalb eigentlich immer jemand auf dem Geh- oder Radweg steht.

In Ländern mit deutlich höheren Geldbußen argumentiert man: Erst solche Strafen schrecken wirklich ab. Denn niemand möchte fürs Rasen hunderttausend Euro bezahlen, was ja schon vorkam. Und wer schon mal eine sehr hohe Strafe aufgebrummt bekam, will das nicht noch einmal erleben. Er wird sich also künftig mehr zusammenreißen. Klingt nachvollziehbar, oder? Sind demnach auch unsere nun höheren Strafen immer noch zu niedrig?

Das Problem unserer Bußgelder: Sie wirken nicht auf jeden gleich. Für den einen sind 70 Euro gar kein Problem, für den anderen sehr wohl. Deshalb sollten wir an der Bußgeldschraube nicht weiterdrehen. Stattdessen haben wir andere Instrumente: das Fahrverbot und die Punkte in Flensburg. Aus Untersuchungen wissen wir, dass nur wenige Verkehrsteilnehmer regelmäßig die Regeln – teilweise auch grob – verletzen. Hier helfen Fahrverbot und Punkte sehr, um zeitweise zu einer Denkpause anzuregen. Deshalb bin ich dafür, diese Instrumente schärfer ins Auge zu nehmen. Mehrfachtäter kann man damit besser aus dem Verkehr ziehen.

Und die teils, wie in der Schweiz, ans Einkommen gebundenen Bußgelder für Raser?

Das in der Tat sehr hohe Bußgeld in der Schweiz schreckt tatsächlich vor dem zu schnellen Fahren ab. Aber: Dadurch bekomme ich gefährliche Geschwindigkeiten unterhalb des Tempolimits ja nicht in den Griff. Zum Beispiel bedeutet unangepasste Geschwindigkeit ja auch: Ich darf zwar mit 50 km/h fahren – aber nicht, wenn zwei kleine Kinder am Straßenrand stehen. Wenn ich dennoch mit höchstens 50 km/h an ihnen vorbeifahre, verhalte ich mich also trotzdem falsch. Hier erreiche ich mehr Disziplin und Empathie nicht allein mit der Ordnungskeule. Sondern man muss das Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer erreichen – ein sehr viel mühseligerer Prozess. Aber wir müssen ihn auf uns nehmen.

Dass Disziplin und Empathie abnehmen, dass es auf unseren Straßen immer rauer zugeht, ist ein Eindruck, den fast jeder bestätigen wird. Auch die Forschung?

Ja. Wir erkennen eine solche Tendenz: Man ist geneigt, zum persönlichen Vorteil die Gefährdung anderer eher in Kauf zu nehmen als in der Vergangenheit. Allerdings ist der Verkehr kein abgeschlossenes System, sondern er spiegelt letztlich die gesellschaftlichen Verhalten und Entwicklungen wider. Wenn eine Gesellschaft sich zunehmend individualisiert, wenn nur noch die eigene Meinung zählt, siehe soziale Netzwerke, dann findet das auch im Verkehrssystem seine Auswirkungen. Das bekommen wir wahrscheinlich nur in den Griff, wenn wir herausfinden, wie wir insgesamt als Gesellschaft miteinander umgehen wollen.

Geht es nicht eine Nummer kleiner?

Das ist tatsächlich ein dickes Brett. Deshalb muss man sich daneben auch andere Wege überlegen. Da sind die Bußgelder und Fahrverbote eben auch eine Antwort. Andererseits gibt es viele regelmäßige Verkehrssünder, die so etwas sogar eher als Ansporn sehen. Auch da kann sich aber etwas tun. Unsere Autos werden zunehmend automatisiert und wählen beispielsweise selbst das Tempo. Man wird vermutlich in Zukunft zumindest die Geschwindigkeit nicht mehr grob überschreiten können, ohne zumindest vom Auto ermahnt zu werden.

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Diese Ermahnung könnte künftig auf der Autobahn bei Tempo 130 erfolgen. So wollen es jedenfalls zwei der drei Parteien, die derzeit in Berlin die Möglichkeit einer Ampelkoalition ausloten.

Und eine Partei äußert sich kritisch. Ich habe ja immer wieder darauf hingewiesen: Es gibt keine halbwegs aktuelle wissenschaftliche Arbeit dazu, die benennen könnte, was dieses Tempolimit bringen würde. Der Haupteffekt könnte vielleicht aus der Homogenisierung der Geschwindigkeit stammen.

Dass also mehr Autos ähnlich schnell fahren.

Genau. Unter Umständen hätten wir also mit Tempo 150 einen ähnlichen Effekt wie mit Tempo 130 – mit dem Unterschied, dass 90 Prozent der Bevölkerung zustimmen würden. Dann hätten wir eine soziale Akzeptanz, die man sonst nur durch Entdecken und Bestrafen künstlich und unvollkommen erzeugen müsste. Insofern sage ich immer: Wir brauchen einen wissenschaftlichen Großversuch, der solche Fragen klärt. Und vielleicht wäre das ja auch ein Kompromissvorschlag für Koalitionsverhandlungen.

Herr Brockmann, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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