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Klimakonferenz: Die wichtigsten Teilnehmer sind in Todesgefahr


Klimagipfel in Glasgow
Wenn "Klimaneutralität" die wichtigsten Delegierten bedroht


12.11.2021Lesedauer: 4 Min.
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Indigene Menschen aus Brasilien bei einer Demonstration zur Weltklimakonferenz (Symbolbild): Sie hatten einen der längsten Wege nach Glasgow und haben mit am meisten zu verlieren.Vergrößern des Bildes
Indigene Menschen aus Brasilien bei einer Demonstration zur Weltklimakonferenz (Symbolbild): Sie hatten einen der längsten Wege nach Glasgow und haben mit am meisten zu verlieren. (Quelle: Jane Barlow/imago-images-bilder)

Die Wächter der Erde tragen Federn, Fell und Perlen: Seit Jahrhunderten kämpfen indigene Menschen weltweit gegen die Ausbeutung der Natur, in der Klimakrise stehen sie an vorderster Front. Dass dies kaum jemanden interessiert, bringt sie in Lebensgefahr.

Anzugträger, so weit das Auge reicht. Die Weltklimakonferenz – ein graues Einerlei. Wären da nicht diejenigen, die selbst mit ihrer Kleidung zeigen: Das ist keine gewöhnliche Konferenz. Kein Ort für business as usual.

Rund 200 indigene Menschen sind aus allen Weltregionen nach Glasgow gekommen. Von ihren Regierungen fühlen sie sich bei der UN-Klimakonferenz kaum repräsentiert, von der Welt übersehen. Unter den insgesamt 25.000 Teilnehmern der COP26 würden sie untergehen, wenn sie nicht so sichtbar wären.

Aufwendige Muster und Drucke, handgefertigte Perlenstickereien oder bunte Bommeln, viele tragen Federschmuck. Sie stammen unter anderem aus dem zentralafrikanischen Tschad, aus Kolumbien und von kleinen Inseln im Pazifik, aus Mexiko, Kanada und den USA, Indonesien, Myanmar.

Drohungen, Vertreibung, Mord

"Hört auf, uns zu töten" steht auf dem Mund-Nasen-Schutz von Telma Taurepang – "Stop Killing Us". Sie ist aus dem Amazonasgebiet im Norden Brasiliens angereist, wo die Regierung des rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro die indigenen Stämme denen ausliefert, die ihr Land rauben wollen: Bergbaufirmen, Holzunternehmen, Plantagenbetreibern und deren Handlanger.

Wer sich ihnen in den Weg stellt, überlebt oft nicht. "Indigene Menschen sind der brasilianischen Regierung genauso egal wie das Klima", sagt Taurepang. Das scheint auch in anderen Ländern zu gelten.

Mindestens 1.005 Umweltschützerinnen und Umweltschützer sind ermordet worden, seit das Pariser Klimaabkommen vor sechs Jahren unterzeichnet wurde – ein Drittel von ihnen Ureinwohner. Jeden Tag kommen im Schnitt vier Namen hinzu.

"Militär und Polizei bedrohen indigene Landschützer zunehmend. Sie werden von großen Konzernen bezahlt, die mit unserem Land Profit machen wollen und gleichzeitig große Mengen an Treibhausgasen ausstoßen", erklärt Sheila Muxlow, stellvertretende Leiterin der kanadischen Klimaschutzorganisation Indigenous Climate Action. Noch immer fehlten den meisten indigenen Gruppen weltweit die nötigen Landrechte, um ihre Leben, ihre Kultur und die Natur gegen Übergriffe zu schützen.

Landschutz ist Klimaschutz

Zwar machen indigene Menschen nur fünf Prozent der Weltbevölkerung aus, bewahren auf ihren Gebieten aber 80 Prozent der verbleibenden Tier- und Pflanzenarten. Wie viel das auch für das Klima bringt, beweist eine Studie, die Muxlows Organisation gemeinsam mit anderen NGOs herausgegeben hat.

Demnach haben indigene Erfolge gegen Pipelines, Fracking und Ölförderprojekte in den USA und Kanada bereits Emissionen im Umfang von 200 neuen Kohlekraftwerken verhindert. Ein Bericht der Menschenrechtsorganisation RRI zeigt zusätzlich: Mehr als ein Sechstel des gesamten CO2s, das weltweit in Bäumen gespeichert ist, findet sich in Wäldern auf indigenen Gebieten.

Kein Platz am Verhandlungstisch

"Die Welt kann viel von indigenen Menschen lernen. Der Kern unserer Kultur ist der Natur- und Klimaschutz", sagt Telma Taurepang. Auch der Weltklimarat fordert seit einigen Jahren die Anerkennung indigener Landrechte und ihrer Rolle im Kampf gegen die Klimakrise. Doch am Verhandlungstisch in Glasgow sitzt kein einziger Vertreter einer indigenen Gemeinschaft.

Der Pariser Klimavertrag nennt indigene Rechte ausschließlich in der Präambel – im eigentlichen Text des Abkommens finden sich lediglich diffuse Verweise. Aktivistinnen wie Terapang sind nur als Beobachter zur Klimakonferenz zugelassen. "Dabei wäre es so wichtig, dass wir nicht nur zuhören, sondern auch teilnehmen", fordert sie.

Zwar gibt es bei der UN eine Berater-Plattform, über die indigene Interessenvertreter mit den nationalen Verhandlerteams sprechen können. Doch scheinbar ohne Erfolg. Läuft es schlecht, könnten Entscheidungen bei der Klimakonferenz die Rechte und Lebensgrundlagen indigener Völker sogar noch weiter einschränken.

Grüne Glaubwürdigkeit gegen Geld

Das Problem ist das sogenannte Offsetting, zu Deutsch: Klimakompensation. Es ist das, was einem beispielsweise am Ende der Flugbuchung angeboten wird: ein kleiner Aufpreis, der Aufforstungsprojekte in Afrika, Waldschutz in Südamerika oder den Bau von Solaranlagen in Asien unterstützt. Im Gegenzug soll es ein gutes Gefühl geben, trotz der eigenen CO2-Emissionen.

Bei der Klimakonferenz geht es um das gleiche System, nur in riesig. Staaten und Unternehmen wie Shell oder die Lufthansa, die sich angesichts ihrer zu hohen Emissionen Klimaschutzpunkte kaufen wollen, können grüne Projekte im Ausland finanzieren. Eine Art mittelalterlicher Ablasshandel für das 21. Jahrhundert. Alles für die Klimaneutraität.

Dieses System rief zwar schon das Kyotoprotokoll der UN im Jahr 1997 ins Leben, seitdem ist es aber massiv gewachsen. Bei den Verhandlungen in Glasgow sollen die Regeln für ein noch umfassenderes internationales Kompensationssystem geklärt werden. Die Unternehmensberatung McKinsey geht davon aus, dass der Handel mit den CO2-Gutschriften schon Ende dieses Jahrzehnts 50 Milliarden US-Dollar wert sein könnte. An sich klingt das nicht schlecht. Allerdings können solche Initiativen gravierende Folgen für die Menschen in den betroffenen Gebieten haben.

Nebenwirkungen vor Ort

"Von einem Tag auf den anderen wurde den Waldbewohnern der Zutritt zum Wald verboten." Soumya Dutta arbeitet für die Umweltschutzorganisation Friends of the Earth India; er berichtet von einem Offsetting-Projekt in Indien. Eine kalifornische Firma habe mit einer Waldschutzmaßnahme ihre CO2-Emissionen ausgleichen wollen. Das Ergebnis: Der Wald sei auch vor der einheimischen Bevölkerung "geschützt" worden, die dadurch ihre Lebensgrundlage verloren habe. In Honduras, Chile, Panama, Uganda und anderen Ländern sind ebenfalls bereits Projekte zur CO2-Kompensierung umgesetzt worden, die der Bevölkerung mehr geschadet als geholfen haben.

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"Das sind falsche Lösungen", sagt Bineshi Albert. Sie gehört zu den Yuchi und Anishinabe, indigene Völker in Nordamerika. Ihr Haar ist zu langen Zöpfen geflochten, an den Enden hängen Perlen. "Ein marktbasiertes System, das Unternehmen und Regierungen erlaubt, weiter das Klima zu schädigen, kann gar nicht den radikalen Umschwung bringen, den wir brauchen."

Die Treibhausgasemissionen müssten dort sinken, wo sie entstehen, also in den Ländern, die sich lieber freikaufen wollten, so Albert. "Viel davon, was hier als natürlicher Klimaschutz beworben wird, bedeutet Landraub und Vertreibung", fasst sie zusammen. "Indigenen Menschen wurde schon so viel weggenommen, so geht es nicht weiter."

Verwendete Quellen
  • Gespräche mit Telma Taurepang und Bineshi Albert vor Ort bei der Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow
  • Schriftliche Anfrage bei Indigenous Climate Action
  • Pressetermin und Protestaktion verschiedener indigener Organisationen am 9.11.2021 im Eingangsbereich der COP26
  • Eigene Recherche
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