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Streit um Energie: "Es wird wahrscheinlich sehr, sehr knapp"


Streit um Energie
"Es wird wahrscheinlich sehr, sehr knapp"

  • Theresa Crysmann
InterviewVon Theresa Crysmann

Aktualisiert am 05.07.2022Lesedauer: 5 Min.
Interview
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Die Anlandestation für die mittlerweile gestoppte Nord Stream 2-Pipeline: Als Übergangstechnologie spielt Erdgas eine wichtige Rolle. Ob das Investitionen in neue Gasinfrastruktur rechtfertigt, ist ebenso umstritten wie die Umweltbilanz von Gas.Vergrößern des Bildes
Die Anlandestation für die mittlerweile gestoppte Nord Stream 2-Pipeline: Als Übergangstechnologie spielt Erdgas eine wichtige Rolle. Ob das Investitionen in neue Gasinfrastruktur rechtfertigt, ist ebenso umstritten wie die Umweltbilanz von Gas. (Quelle: Eibner/imago-images-bilder)

Gas bleibt vorerst unverzichtbar – ist es deshalb grün? Ein Gespräch über Kurzschlussreaktionen in der Energiekrise und den langen Arm der russischen Gaslobby.

Die Krise zieht sich, das Erdgas wird knapper und die Bundesregierung sucht händeringend nach neuen Lieferanten. Es geht nicht ohne, zumindest noch nicht. Doch außer einer möglichen Gas-Triage und der Furcht vor kalten Wohnzimmern peitscht noch etwas anderes die Stimmung auf.

An diesem Mittwoch soll sich ein monatelanger Streit entscheiden: Dürfen Investitionen in Erdgas- und Atomprojekte trotz ihrer umstrittenen Klima- und Umweltbilanz als grün gelten? Für die Europäische Kommission ist die Antwort ein klares "Ja" – denn von dort stammt der brisante Vorschlag.

Was für die Kommission der letzte Schliff an ihrem nachhaltigen Finanzkompass, der sogenannten "EU-Taxonomie", sein soll, ist für Umweltverbände, Banken und auch einige EU-Regierungen eindeutig Grünfärberei. Im Interview mit t-online erklärt Finanzmarkt-Expertin Magdalena Senn, wieso das Europaparlament den Vorstoß dennoch durchwinken könnte und was russische Gasfirmen damit zu tun haben.

t-online: Die Energiewende ist längst beschlossen, doch die EU-Kommission plant unter anderem ein grünes Gütesiegel für Investitionen in Erdgas. Inwiefern ergibt das Sinn?

Magdalena Senn: Gar nicht. Es ist völlig abwegig, Energiequellen wie Erdgas und Atomkraft für nachhaltig auszugeben, obwohl sie es nicht sind. Im Gegenteil: Wenn auf einer Aktie oder einem Fonds Grün draufsteht, muss auch Grün drin sein. Sonst wird die Kennzeichnung als Ganzes unglaubwürdig und führt Anlegerinnen und Anleger in die Irre.

Allerdings unterstützt auch die Bundesregierung das Nachhaltigkeitsetikett für Erdgas-Investments. Mehr als ein Drittel der deutschen Bevölkerung steht laut einer kürzlichen Umfrage ebenfalls dahinter. Wie erklären Sie sich das?

Das Problem ist, dass sich gerade zwei unterschiedliche Debatten vermischen: Einerseits geht es darum, die Stromversorgung für den Winter zu garantieren. Dafür muss die Regierung drastische und teils auch unpopuläre Maßnahmen treffen. Aber nur weil uns bewusst geworden ist, wie sehr wir momentan noch auf Erdgas angewiesen sind, sollten wir es nicht für nachhaltig erklären. In die Taxonomie dürfen nur Energiequellen, die schon heute klimafreundlich und grün sind. Gas fällt da aus unserer Sicht ebenso durch wie Atomkraft.

Was ist die EU-Taxonomie? Diese Klassifizierung legt für die Finanzmärkte fest, welche Aktivitäten und Projekte als grün zählen dürfen. Banken, Versicherungen, Pensionsfonds und Anleger sollen so besser abschätzen können, welche Investitionen tatsächlich nachhaltig sind. Die EU-Kommission will auf diese Weise mehr Geld in klimaneutrale Vorhaben lenken. Alle weiteren Infos lesen Sie hier.

Gas gilt im Vergleich zu Kohle immerhin als sauberer.

Ja, aber darum geht es in der Logik der Taxonomie nicht. Deshalb hatte auch die EU-Expertengruppe in ihrem ursprünglichen Vorschlag so strenge Kriterien angesetzt, dass heutige Gaskraftwerke nicht als nachhaltig gelten könnten. Die Kommission ist von diesem wissenschaftsbasierten Vorschlag aber abgewichen.

Bei der EU-Kommission sieht man das Thema generell weniger streng: Gas gilt dort als vorübergehender Brückenbrennstoff, der den Weg für die Energiewende ebnet. Die Einstufung als nachhaltig soll auch nur zwischenzeitlich gelten. Warum scheint Ihnen das bereits zu großzügig?

Der Investitionsbedarf in Erneuerbare ist riesig. Wenn mehr finanzielle Mittel aber stattdessen in Technologien wie Erdgas gelenkt werden, die mittelfristig auslaufen müssen, führt das in die Sackgasse. Deswegen darf die EU-Taxonomie nicht mit Übergangstechnologien wie Erdgas verwässert werden. Ja, wir brauchen es temporär noch, aber grün anstreichen können wir es deswegen nicht. Von Atomkraft ganz zu schweigen.

Wegen der Atommüllproblematik?

Genau. Atomkraft kann wegen des gefährlichen Mülls eigentlich nicht das Kriterium der Taxonomie erfüllen. Denn selbst CO2-sparende Investitionen dürfen keine der anderen Umweltziele verletzen. Zu diesem Schluss kommen verschiedene Gutachten, auch wenn die EU-Kommission das anders sieht.

Außerdem würde eine Einstufung von Atomkraft in der grünen Taxonomie zur Verschwendung öffentlicher Mittel führen. Es gibt schlicht keine privatwirtschaftlichen Investitionen in Atomkraft, weil es betriebswirtschaftlich keinen Sinn ergibt. Die Risiken sind zu groß, niemand würde solche Projekte versichern, viele Kernkraftwerke sind Millionengräber. Aber Frankreich hat großes Interesse, die maroden Meiler mit öffentlichem Geld zu sanieren.

Wie kann es dann sein, dass Gas und Atomkraft es als Kandidaten für die grüne Finanztaxonomie bis hier geschafft haben?

Da haben die Lobbyverbände der Branchen viel zu beigetragen. Gerade die Gasindustrie hat sich jahrelang bemüht, um die Idee einer vermeintlich grüneren Brückentechnologie in Brüssel zu verankern. Und gerade der Einfluss russischer Lobbyisten auf den Entwurf wurde erst kürzlich von einer Studie thematisiert. Außerdem zeigt sich hier, dass auch die Taxonomie ganz konkret mit Europas Abhängigkeit von Russland zu tun hat.

Woran machen Sie das fest?

Der Taxonomie-Entwurf der Kommission stammt aus der Zeit vor dem russischen Angriff auf die Ukraine und das sieht man ihm an. Deutschland baut gerade unter Hochdruck Terminals für Flüssiggas (LNG), um sich von Russlands Energieimporten loszueisen. Aber Investitionen in solche LNG-Terminals würden von der EU keinen grünen Stempel bekommen – sie würden die Nachhaltigkeitskriterien nicht erfüllen, die der Entwurf für Gasprojekte vorschreibt. Neue Gaskraftwerke, die russisches Gas verbrennen, aber schon.

Die Abstimmung im Europaparlament ist wohl die letzte Chance, um das noch zu verhindern. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass die Parlamentarier einschreiten?

Vor wenigen Wochen haben sowohl der Umwelt- als auch der Finanzausschuss des Parlaments die Kennzeichnung von Gas und Atom bereits deutlich abgelehnt. Das hat schon für eine gewisse Erleichterung gesorgt, weil viele damit nicht gerechnet hatten. Die eigentliche Entscheidung trifft aber das Plenum. Und da wird es wahrscheinlich sehr, sehr knapp.

Sollten Atom- und Gasprojekte es in die Taxonomie schaffen, wollen einige EU-Länder klagen. Was könnte da auf die Kommission zukommen?

Österreich und Luxemburg haben angekündigt, dass sie den Rechtsakt zu Atom und Gas vor Gericht anfechten wollen. In einer gemeinsamen Petition mit vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen fordern wir die Bundesregierung auf, sich der Klage anzuschließen.

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Für eine Klage gibt es bereits Rechtsgutachten, die unter anderem belegen, dass die Kommission hochpolitische Fragen wie den Inhalt der Taxonomie nicht so niedrigschwellig durchwinken kann, wie sie das gerade mit diesem technischen Rechtsakt versucht. Dazu kommen Argumente, die an der grünen Einstufung von Atomkraft und Gas selbst nagen. Aber eine Klage ist das allerletzte Mittel.

Weshalb?

Es wäre für alle Beteiligten besser, wenn es schon eine Ablehnung im Parlament gibt. Dadurch ließe sich die Sache zeitnah klären. Der Rechtsweg ist dagegen womöglich langwierig. Die klaren Standards der Taxonomie, die auf den Finanzmärkten dringend gebraucht werden, um Greenwashing einzudämmen, könnten durch ein Verfahren um Jahre verschleppt werden. Aus meiner Sicht wäre das ein herber Rückschlag.

Frau Senn, herzlichen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Magdalena Senn, Referentin für nachhaltige Finanzmärkte bei "Bürgerbewegung Finanzwende"
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