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Aufklärung des Mordes an Darja Dugina: Eine Bankrotterklärung – so oder so


Dugina-Mord angeblich aufgeklärt
Eine Bankrotterklärung – so oder so


Aktualisiert am 23.08.2022Lesedauer: 4 Min.
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Dugina-Mord: Russland veröffentlicht ein Video der angeblichen Attentäterin. (Quelle: Glomex)

Der russische Geheimdienst liefert nach dem Anschlag auf Darja Dugina wie auf dem Servierteller eine Erklärung. Die Geschichte hinkt allerdings.

"Unseren Herzen dürstet es nicht einfach nach Rache oder Vergeltung. Das wäre zu klein, nicht russisch. Wir brauchen nur unseren Sieg. Auf dessen Altar hat meine Tochter ihr mädchenhaftes Leben gelegt. Also siegt bitte!" Diese Worte ließ Alexander Dugin am Montag über einen Vertrauten verbreiten.

Der imperialistische Ideologe schwor seine Landsleute darauf ein, im Sinne seiner rechtsnationalistischen Ideologie zu kämpfen. Zuvor war seine Tochter, Darja Dugina, am Samstagabend von einer Autobombe getötet worden – ein Anschlag.

Doch wer steckt dahinter? Der Kreml will dafür binnen eineinhalb Tagen eine Erklärung gefunden haben. Die Geschichte kommt wie auf dem Servierteller daher, sie liefert vor allem ein Gesicht. Überwachungsbilder der vermeintlichen Mörderin gerieten aus dem Kreml an die Öffentlichkeit.

Was die Erklärung allerdings nicht beinhaltet: Beweise. Auch deswegen wirft das Ermittlungsergebnis des Kreml Fragen auf, nach wie vor halten sich andere Theorien zu dem Anschlag. Eine Einordnung dazu lesen Sie hier.

So lautet Moskaus Erklärung

Das Ermittlungsergebnis, das der Kreml am Montag präsentierte, geht so: Der Anschlag auf Darja Dugina sei ein Akt ukrainischen Staatsterrors gewesen. "Das Verbrechen wurde von ukrainischen Geheimdiensten vorbereitet und begangen", teilte Russlands Inlandsgeheimdienst FSB mit.

Eine 43-jährige Ukrainerin namens Natalia Vovka soll dieser Erklärung zufolge Ende Juli mit ihrer Tochter im Schlepptau nach Russland eingereist sein, in einem grauen Mini Cooper. Die Frau habe sich dann ein Apartment gemietet und begonnen, Duginas Alltag auszuspionieren. Am Samstagabend, kurz vor dem Anschlag, soll sie dieselbe Veranstaltung wie Dugina und ihr Vater besucht haben.

Vovka soll sich nach dem Anschlag nach Estland abgesetzt haben. Wie der FSB weiter behauptete, ist die angebliche Täterin ein Mitglied des Asow-Bataillons, eine Einheit der ukrainischen Streitkräfte, die von der russischen Regierung als Terrorgruppe eingestuft wird. Ihr angeblicher Ausweis wird derzeit von kremlnahen Medien verbreitet.

Estland: Keine offiziellen Anfragen zu Frau Vovk

Diese Darstellung stößt auf Zweifel. Der estnische Außenminister Urmas Reinsalu wies die Behauptung zurück, wonach die angebliche Mörderin nach Estland gereist sei. Sein Ministerium sieht das als Teil einer russischen Informationsoperation. Mehr noch: "Wir betrachten dies als eine Provokation der Russischen Föderation in einer sehr langen Reihe von Provokationen." Man habe momentan nicht mehr zu der Sache zu sagen. Estnische Behörden gaben zudem bekannt, dass aus Russland keine offiziellen Anfragen zu einer Frau Vovk gestellt wurden.

Auch Max Seddon, der Moskau-Korrespondent der britischen "Financial Times", bezeichnet einige Details des russischen Narrativs als "fragwürdig". Zum Beispiel den angeblichen Ausweis, der Vovka als Teil des berüchtigten Asow-Regiments darstellen soll: Wo kommt er her? Seddon twittert sarkastisch, ein solcher Ausweis sei nicht das Einleuchtendste, was man zu einem Bombenattentat nach Russland mitnehmen würde.

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Osteuropa-Experte: Absolut unglaubwürdig

Der Osteuropa-Experte Sergej Sumlenny, der bis zum vergangenen Jahr das Kiewer Büro der Heinrich-Böll-Stiftung leitete, glaubt ebenfalls nicht an das Narrativ des FSB. "Die Ermittlungsergebnisse sind absolut unglaubwürdig, sie passen in die Tradition russischer Behördenarbeit", sagt er t-online.

Der angebliche Dienstausweis werde als authentisch präsentiert, doch es gebe "Hinweise darauf, dass dieses Material per Photoshop bearbeitet wurde". Die Kommunikation des Kreml erinnere ihn an den Abschuss des Fluges MH17 oder die unglaubwürdigen Erzählungen um den Anschlag auf den Ex-KGB-Agenten Sergej Skripal 2018. Damals seien in ähnlicher Weise Satellitenaufnahmen geändert, verschiedene Narrative in Umlauf gebracht worden – "eins unglaubwürdiger als das andere".

In solchen Situationen versuche der FSB, Diskussionen um die Wahrheit mit unterschiedlichen Versionen zu zerstören, sagt Sumlenny. Und westliche Medien würden diese Narrative reproduzieren: "Sie sind das nicht gewöhnt. Sie können sich nicht vorstellen, dass ihnen ein Ermittler in die Augen schaut und lügt."

Der Experte traut den Behörden in Russland auch in diesem Fall nicht. Selbst wenn nicht geklärt sei, wer Darja Dugina umgebracht hat: "Die Beweise, die der FSB auf den Tisch legt, sind ziemlich sicher fabriziert", meint er.

Die Schlagartigkeit der Ergebnisse lässt Zweifel zu

Auch andere Experten zweifeln an der russischen Story. Aus Sicht des Politologen Fabian Burkhardt ist allein die Vielzahl an Details, die der FSB innerhalb von eineinhalb Tage ermittelt haben will, fragwürdig. Der Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung hält es deswegen für unwahrscheinlich, dass eine ukrainische Agentin dahintersteckt. Dass der ukrainische Dienstausweis so schnell in den Medien durchgestochen wurde, bezeichnet er gegenüber t-online als "recht plump".

Die Schlagartigkeit, mit der die Führung mit einer Erklärung aufwartete, lässt auch den britischen "Guardian" zweifeln: Der FSB sei bei zahlreichen hochkarätigen Morden jahrelang nicht in der Lage gewesen, für Klarheit zu sorgen. Jetzt wolle man in anderthalb Tagen Gewissheit haben? Das sei verdächtig, so das britische Blatt.

Eine Bankrotterklärung – so oder so

Unabhängig lässt sich die Version des Kreml nicht überprüfen. Ein großes Manko hat sie aber in jedem Fall: Dem FSB zufolge soll es einer ukrainischen Militärangehörigen mitsamt ihres Kindes gelungen sein, nach Russland einzureisen, einen Mord per Autobombe zu verüben und sich dann ins Ausland abzusetzen. Für die Behörden eines autoritären Staates eine Zumutung.

Der britische "Guardian" führt dazu aus: "Wenn die Geschichte stimmt, ist der FSB gescheitert." Sollte sie nicht stimmen, so hätte der FSB eine Geschichte erfunden, die ihn ziemlich schlecht dastehen ließe.

Verwendete Quellen
  • Telefongespräch mit Sergej Sumlenny am 23.08.2022
  • Telefongespräch mit Fabian Burkhardt am 22.08.2022
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