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Bergkarabach | Goris: Armenier leben in ständiger Angst vor Aserbaidschan


Vertreibung aus Bergkarabach
"Sie haben gesagt: Von euch soll nichts übrig bleiben"

Von dpa, ts

Aktualisiert am 02.10.2023Lesedauer: 4 Min.
Armenia New ChallengesVergrößern des BildesEine alte Frau auf dem Weg nach Goris: Fast alle 120.000 Menschen sind aus Bergkarabach geflohen. (Quelle: Vasily Krestyaninov/ap)
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Fast alle Armenier aus Bergkarabach sind geflüchtet. Eine kleine armenische Stadt nimmt viele von ihnen auf. Doch auch die Bewohner in Goris haben Angst.

Nach dem Angriff Aserbaidschans auf Bergkarabach dürfte nahezu kein Armenier mehr in der Region sein. Schätzungsweise 120.00 Bewohner, also fast alle, sollen bereits nach Armenien geflüchtet sein. Am Wochenende habe der Strom der Fahrzeugkolonnen langsam nachgelassen, schildern Nachrichtenagenturen und verschiedene Medien.

Nur knapp zwei Wochen hat der Exodus gedauert, nachdem Aserbaidschan seinen Großangriff gestartet und die Kontrolle über Bergkarabach übernommen hatte. Die Menschen, die bis dahin dort wohnten, überwiegend ethnische Armenier und Christen, fürchten die neuen Machthabern. Sie haben Angst vor möglichen Gewalttaten durch die aserbaidschanischen Streitkräfte. Auch Beobachter und Experten glauben, dass Armenier in Bergkarabach nicht mehr sicher wären. "Die Armenier werden Bergkarabach verlassen müssen oder es geht um ihr Leben. Ich sehe keine Alternative", sagte etwa Südkaukasus-Experte Stefan Meister im Interview mit t-online.

Viele der Geflüchteten landen darum nun in der knapp 40.000 Einwohner kleinen Stadt Goris, nur etwa eine halbe Stunde mit dem Auto von der Grenze zu Bergkarabach entfernt. Die Stadt hat ein Lager für die Geflüchteten eingerichtet, für viele ist der Kulturpalast die erste Anlaufstation. "Die Menschen kommen und sie kommen schnell. Niemand sollte auf der Straße schlafen müssen", sagt Ahjarpi Karapetjan vom Armenischen Roten Kreuz dem ZDF. Doch Goris platzt aus allen Nähten, am zentralen Platz sammeln sich viele Geflüchtete.

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"Wir mussten die Familienfotos verbrennen"

"Bisher gibt es keinen Platz zum Übernachten", schildert eine 25 Jahre alte Mutter ihre Lage dem Deutschlandfunk. Sie sitzt auf dem zentralen Platz in Goris. "Wir haben die Nacht im Auto verbracht. Das war sehr kalt." In der armenischen Kleinstadt sinken die Temperaturen nachts auf knapp 10 Grad Celsius. Ihre zwei kleinen Kinder seien erkältet, erzählt die Frau, die aus Bergkarabach geflohen ist. Mitnehmen konnte die junge Familie nur, was sie am Leib trugen.

"Wir haben nicht einmal unsere Familienfotos mitnehmen dürfen", sagt die Frau dem Deutschlandfunk. "Wir mussten sie verbrennen. Die Aserbaidschaner haben gesagt: Von euch soll nichts übrig bleiben." Auf einem Handy zeigt sie dem Reporter das Feuer. Es sind Berichte wie diese, die internationale Beobachter von einer "ethnischen Säuberung" Bergkarabachs durch Aserbaidschan sprechen lassen. Die Regierung in Baku bestreitet das.

Die Menschen fühlten sich von allen im Stich gelassen, sagt Senop Tschakarjan von der Organisation "Ärzte der Welt" dem ZDF. "Sie wissen gar nicht, wie es weitergehen soll. Es ist einfach nur Leere."

Das Ende von Bergkarabach

Bergkarabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, es lebten dort aber überwiegend ethnische Armenier. Die Region hatte sich 1991 nach einem international nicht anerkannten und von der aserbaidschanischen Minderheit boykottierten Referendum für unabhängig erklärt.

Aserbaidschan und Armenien stritten seit dem Zerfall der Sowjetunion um die Region und führten deshalb zwei Kriege, zuletzt 2020. Damals hatte das lange mit Armenien verbündete Russland nach sechswöchigen Kämpfen mit mehr als 6.500 Toten ein Waffenstillstandsabkommen vermittelt, das Armenien zur Aufgabe großer Gebiete zwang. Mehr dazu lesen Sie hier.

"Unsere Region ist ein Einfallstor nach Armenien"

Auch die Bewohner von Goris sind verunsichert. Sie leben nahe dem Latschin-Korridor, einer strategisch wichtigen Verbindung zwischen Bergkarabach, Armenien und der Autonomen Region Nachitschewan, die zu Aserbaidschan gehört. Sie haben Sorge, dass Aserbaidschan weiterzieht und die Verbindung zu ihrer autonomen Region erobert. "Wir leben in ständiger Anspannung", sagt eine Ladenbesitzerin aus Goris dem Deutschlandfunk. "Bergkarabach hat uns hier abgeschirmt von Aserbaidschan. Jetzt sind wir hier direkt an der Grenze. Unsere Region ist ein Einfallstor nach Armenien." Warum die Sorge der Frau nicht unbegründet ist, lesen Sie hier.

In einem Zweifamilienhaus in Goris haben sich zwanzig geflüchtete Menschen eingefunden. Ein örtlicher Bauunternehmer habe die Menschen aufgenommen, berichtet der Deutschlandfunk. "Egal wohin wir gehen, wir werden Fremde sein, weil wir dort kein Land haben", sagt eine Frau, die in dem Haus untergekommen ist. "Was würden Sie tun, wenn jemand zu Ihnen nach Hause kommt und sagt: Das ist nicht Ihr Zuhause. Was würden Sie dann tun, damit sich Ihre Kinder weiter wohlfühlen?"

Der armenische Premierminister Nikol Paschinjan versprach den Menschen, die aus Bergkarabach vertrieben wurden, 250 Dollar monatlich für das nächste Halbjahr. Doch bisher helfen die armenischen Behörden den Geflüchteten wenig. Sie werden weitestgehend von privaten Hilfsorganisationen unterstützt.

Sie werden wohl Zeit brauchen, bis sie sich heimisch fühlen in Armenien, manchen von ihnen wird das womöglich nie möglich sein. "Natürlich wollen wir zurück nach Hause", sagt die junge Mutter, die in Goris angekommen ist, dem Deutschlandfunk über Bergkarabach. "Es ist so schön dort und so sauber. Und die Menschen sind gut. Hier unten ist alles anders und passt nicht zu uns."

Verwendete Quellen
  • mit Material der Nachrichtenagentur dpa
  • deutschlandfunk.de: "Informationen am Morgen 5:05 Uhr" (2. Oktober 2023)
  • X.com: Profil von ZDFheute
  • wetter.com: "Wetter Goris 16 Tage Trend"
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