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Ukraine-Krieg: So blockieren Bauern aus Polen deutsche Hilfsgüter


"Es ist grausam"
Jetzt legen Bauern die Ukraine-Hilfe lahm


10.03.2024Lesedauer: 4 Min.
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Protestierende Bauern nahe dem Grenzübergang Medyka im Februar: Ein Ende der Blockaden ist nicht in Sicht. (Quelle: Ukrinform/ABACA/imago-images-bilder)

Die Grenzblockaden polnischer Bauern haben nun auch Folgen für deutsche Hilfslieferungen an die Ukraine. Für die Lkw-Fahrer vor Ort ist die Situation katastrophal. Was ist da los?

Eigentlich hatte Olga Skripnik eine clevere Idee: Das Unternehmen der 46-Jährigen aus Karlsruhe exportiert aus der Ukraine Holzpaletten in die EU, auch nach Deutschland. Also organisierte sie nach dem Beginn der russischen Vollinvasion vor knapp zwei Jahren für ihre 15 "besten Fahrer", wie sie sagt, Ausreisegenehmigungen aus der Ukraine. Der Plan: Wenn die ukrainischen Lkw die Paletten in Deutschland abladen, sollen sie von dort auf dem Weg zurück in die Ukraine Hilfsgüter mitnehmen.

Seitdem sind Skripnik zufolge 812 Lastkraftwagen mit über 8.000 Tonnen Hilfsmitteln in die Ukraine gefahren. Der erste von ihnen traf demnach schon am 27. Februar 2022 dort ein, gerade einmal drei Tage nach Kriegsbeginn. Sie nennt die Aktion "Rosinen Initiative", in Anlehnung an die "Rosinenbomber" – die Flugzeuge, mit denen die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg West-Berlin versorgten.

Doch nun droht dieses Geschäfts- und Hilfsmodell zu scheitern. Daran ist allerdings nicht der Krieg selbst schuld, sondern polnische Bauern. Diese legen aus Protest gegen billige ukrainische Getreideimporte und EU-Regulierungen die Grenzübergänge zur Ukraine lahm. Das hat Folgen für den gesamten Güterverkehr: Seit mehr als einer Woche sitzen zwei von Skripniks Fahrern im polnischen Grenzübergang Medyka fest. Sie können nicht in das EU-Land einreisen. Auch eine Rückkehr in die Ukraine, sagt Skripnik, sei ihnen von dort nicht möglich.

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"Die Situation ist außer Kontrolle geraten", sagt Skripnik. Seit Mitte Oktober spitze sich die Lage "stündlich zu". Ihre Fahrer seien "wie Geiseln festgenommen". An der polnisch-ukrainischen Grenze kommt es seit Monaten zu Blockaden. Schon im November machten polnische Lkw-Fahrer aus Protest gegen ein Lkw-Abkommen zwischen der EU und der Ukraine mehrere Grenzübergänge dicht. Damals war von mehr als 20.000 Lkw die Rede, die dadurch zum Stillstand gezwungen wurden. Das Abkommen erlaubt ukrainischen Lastwagen uneingeschränkten Zugang in die EU.

Skripnik ist Russlanddeutsche, ihr Mann, mit dem sie ihr Unternehmen führt, ist Ukrainer. Ihr sei nach dem Kriegsausbruch klar gewesen, dass sie helfen muss, sagt sie. Auf der Website der "Rosinen Initiative" sind die Hilfsfahrten geradezu akribisch dokumentiert. Bilder zeigen randvolle Laster: Bettwäsche, Möbel, Medizin, Babynahrung. Zweimal im Monat habe jeder ihrer 15 Lkw in die Ukraine und wieder zurückfahren können. Nun sei bestenfalls eine Fahrt im Monat möglich.

"Den Fahrern gehen Lebensmittel und Medikamente aus"

Es gibt ein Video, aus einem Lkw aufgenommen, rund einen Kilometer hinter dem Grenzübergang. Es zeigt Demonstranten, die in Warnwesten mit polnischen Flaggen quer über die Landstraße hin- und herlaufen. Es ist schon dunkel. Seit Wochen kommt es hier zu Blockaden. Auf der Webseite der Gemeinde Medyka steht, dass die "Versammlung" der Menschen noch bis zum 5. Juni dauern soll. Die Dauer pro Tag: 24 Stunden.

Einer der beiden Fahrer der "Rosinen Initiative", die in Medyka feststecken, schreibt t-online: "Die Situation ist sehr schlecht. Die Demonstranten weigern sich, uns von der Grenze zu lassen. Den Fahrern gehen die Lebensmittel, Medikamente und so weiter aus." In acht Tagen haben ihm zufolge gerade einmal zehn Fahrzeuge die Grenze verlassen. Eine Dusche gebe es nicht. "Aber sie lassen uns in den Supermarkt gehen, um Lebensmittel zu kaufen."

"Wir sitzen hier auf einem Berg von Hilfsgütern"

Eigentlich hätte der Mann längst in Troisdorf in Nordrhein-Westfalen ankommen sollen. Dort wartet das Bündnis "Lohmar hilft" sehnsüchtig auf ihn, um seine neuesten Hilfsgüter in den Laster zu laden, darunter etwa Rehamaterial wie Orthesen, Gehhilfen und andere medizinische Produkte. "Wir sitzen hier auf einem Berg von humanitären Gütern", sagt die Vorsitzende Manu Gardeweg. "Es ist grausam. Die Menschen brauchen die Produkte." Das Bündnis versuche nun, mit den Transporten anderer Hilfsorganisationen einen Teil der Hilfsmittel in die Ukraine zu bringen.

Nicht nur die "Rosinen Initiative" ist von den Blockaden betroffen. Und nicht nur in Medyka werden Fahrer an der Weiterfahrt gehindert. Auch ein Lkw der Hilfsorganisation "action medeor", die medizinische Produkte in die Ukraine sendet, stand im Februar zwei Wochen an der polnisch-ukrainischen Grenze – allerdings bei der Ausreise aus Polen, wie Sprecher Markus Bremers t-online sagt. "Das war uns so zum ersten Mal passiert", sagt Bremers. "Wir haben unsere Spedition nun angewiesen, möglichst keine Routen mehr durch Polen zu nehmen."

In Polen gibt es insgesamt sechs Grenzübergänge zur Ukraine. Der polnische Grenzschutz meldete vergangenen Sonntag, dass sie alle von Protestierenden blockiert seien. In Korczowa, rund 20 Kilometer nordöstlich von Medyka, sei die Durchfahrt derzeit aber möglich, sagt Skripnik. Die Wartezeit ist jedoch lang, laut Grenzschutz lag sie am Freitag bei 60 Stunden (Medyka: 180 Stunden). Doch dort müssten ihre Fahrer wenigstens nicht im Übergang selbst warten, sagt Skripnik, sondern werden aufgerufen, sobald sie die Grenze passieren können.

Ein Sprecher des Grenzschutzes sagt t-online, dass die Beamten "die Passabfertigung am Grenzübergang in Medyka im Rahmen ihrer Zuständigkeit durchführen". Aufgrund der Proteste vor dem Übergang werde der Lastwagenverkehr behindert.

"Wir können nicht Tausende Kilometer Umweg fahren"

Skripnik sagt, eine Route um Polen herum komme für sie aus Kostengründen nicht infrage. "Das geht nicht. Wir können nicht Tausende Kilometer Umweg fahren." Für sie geht es nicht nur um Hilfstransporte, sondern auch um den regulären Güterverkehr ihrer Firma. Sie habe in ihrem persönlichen Netzwerk schon auf die Situation ihrer Fahrer aufmerksam gemacht, darin seien auch Konsulatsbeamte vertreten. "Ich weiß nicht, welche Wellen ich noch schlagen soll."

Am Samstag dann die Nachricht: Skripniks Fahrer durften den Grenzübergang endlich verlassen, doch nun stehen sie direkt vor den Demonstranten. Weiterfahrt derzeit nicht möglich.

Verwendete Quellen
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