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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Exportbeschränkung für kritische Rohstoffe China durchkreuzt die Pläne des Westens

Die Exportbeschränkungen Chinas für Seltene Erden offenbaren eine Schwachstelle des Westens. Insbesondere die Rüstungsindustrie ist betroffen. Peking könnte dem Westen langfristig schwere Schäden zufügen.
Die USA und China haben am Dienstag einen Schritt hin zu einer Lösung ihres seit Monaten schwelenden Handelsstreits gemacht. Die zweitägigen Verhandlungen in London endeten mit einer Grundsatzeinigung: Beide Länder wollen ihre Exportkontrollen lockern, China etwa bei Seltenen Erden. Die USA wollen zudem chinesische Studenten an ihren Colleges und Universitäten zulassen. Details der Einigung stehen noch aus, genauso wie die Zustimmung der beiden Staatspräsidenten Donald Trump und Xi Jinping.
Industrien weltweit dürften angesichts dessen aufatmen. Insbesondere Autobauer rund um den Globus hatten zuletzt über fehlende Rohstoffe geklagt und einen baldigen Stillstand ihrer Bänder befürchtet. Nun dürfte es leichte Entspannung auf dem Markt geben, sollte die Einigung umgesetzt werden. JL MAG Rare-Earth, ein chinesisches Unternehmen, das mit Seltenen Erden arbeitet, hat zumindest bereits eine Exportgenehmigung für einige dieser wichtigen Stoffe erhalten. Die Lizenzen umfassten demnach Magnete, Rotoren und andere Komponenten.
Durch massive staatliche Investitionen hat die Volksrepublik im Laufe der Jahre ein großes Netzwerk zur Veredelung der Rohmaterialien aufgebaut und verfügt über zahlreiche Patente für die dafür erforderlichen Technologien. Das Land baut selbst etwa 60 Prozent der derzeit weltweit verfügbaren Seltenen Erden ab, importiert jedoch auch aus anderen Staaten, um die Rohstoffe dann zu verarbeiten. Nach der Verarbeitung exportiert China dann einen Großteil der global gehandelten Seltenen Erden – insgesamt etwa 92 Prozent des Welthandels. Anders gesagt: Rohmaterialien strömen nach China, veredelte Produkte gelangen von dort auf den Weltmarkt zurück.
China setzt den Rest der Welt damit unter Zugzwang. Ohne die Exporte können Hochtechnologien kaum hergestellt werden. Insbesondere der aktuell stark nachgefragte Rüstungssektor des Westens ist einer Knappheit der Seltenen Erden beinahe schutzlos ausgesetzt.
Die Situation erinnert an die europäische Abhängigkeit von russischer Energie, nur dass Chinas Einfluss im Bereich der Seltenen Erden noch größer ist. Peking könnte damit die Sicherheitspolitik des Westens für die kommenden Jahre durchkreuzen.
Die Bedeutung von Samarium für die Rüstungsindustrie
Insgesamt 17 Elemente zählen zu den Seltenen Erden. Sieben dieser Elemente waren seit Anfang April von chinesischen Exportbeschränkungen betroffen. Die Eigenschaften der einzelnen Metalle unterscheiden sich, außerdem werden sie in leichte und schwere Seltene Erden unterteilt. Jedes Einzelne hat Eigenschaften, die es für die Industrie wertvoll machen – teils sind sie unersetzlich. Im Rüstungssektor gilt das für Samarium.
Das Element kommt beinahe ausschließlich in der Militärindustrie zum Einsatz. Samarium hält hohen Temperaturen stand. Magnete, die aus dem Metall hergestellt sind, finden daher etwa in Elektromotoren von Raketen ihren Einsatz. Wie bei anderen Seltenen Erden ist die Gewinnung kompliziert: Chemische Bindungen müssen oft mittels starker Säuren aufgebrochen werden, um an die Metalle heranzukommen. Dazu kann eine Abfolge von bis zu mehr als 100 chemischen Prozessen notwendig sein. Die Umweltschäden durch den Abbau und die Verarbeitung sind in der Regel immens.
China ist das einzige Land, das Samarium exportiert – doch seit den Beschränkungen von Anfang April gibt es keine Genehmigungen mehr für die Ausfuhr dieses Rohstoffs. Ob die Exporte nach der neuen Einigung mit den USA wieder anlaufen, ist bisher nicht bekannt.
USA versuchen, die Samarium-Abhängigkeit aufzulösen
Der Bedarf an Samarium in den USA ist groß, besonders beim Flugzeugbauer Lockheed Martin. Laut "New York Times" stecken im modernsten Kampfjet des Hauses, der F-35, rund 25 Kilogramm Samarium. Die Bundeswehr hat 35 der Maschinen bestellt. Insgesamt benötigt der Bau eines Flugzeuges laut Pentagon etwa 450 Kilogramm Seltener Erden. Ein Zerstörer der Arleigh-Burke-Klasse braucht demnach schon etwa 2,4 Tonnen und ein U-Boot der Virginia-Klasse sogar 4,2 Tonnen der Rohstoffe.
Den USA ist die Abhängigkeit von China beim Samarium bereits seit Jahrzehnten bewusst. Verarbeiter in anderen Teilen der Welt konnten meist mit dem billigen Samarium aus China nicht konkurrieren, mussten Anlagen deshalb wieder schließen. In den vergangenen Jahren getätigte Investitionen des US-Verteidigungsministeriums zielen wohl auch deshalb vorwiegend auf die Gewinnung und Verarbeitung von Samarium im eigenen Land ab. Und auch der kürzlich geschlossene Rohstoffdeal mit der Ukraine dürfte für die USA besonders wegen der Seltenen Erden interessant sein.
Nato hat große Pläne – doch die Kapazitäten sind begrenzt
Seit dem russischen Überfall auf das Land im Februar 2022 ist der Westen in Aufruhr. Die jahrzehntealte globale Sicherheitsarchitektur stürzte in sich zusammen, Politiker in Europa und der Nato übertreffen sich seitdem mit gegenseitigen Aufrufen zu höheren Verteidigungsausgaben. Auf dem Nato-Gipfel Ende Juni wird die Allianz voraussichtlich ein neues Ziel verabschieden: Jeder Partnerstaat soll künftig 3,5 Prozent seiner Wirtschaftskraft für Rüstung und 1,5 Prozent für andere militärisch relevante Zwecke, etwa Infrastruktur, ausgeben.
Doch wenn zentrale Rohstoffe für den Bau von Kampfjets, Kriegsschiffen, Marschflugkörpern, Raketen und anderen Waffen fehlen, können diese nicht produziert werden.
Die USA, weltweit größte Rüstungsproduzent, kämpfen bereits mit Problemen: Die Kapazitäten der Industrie sind begrenzt, vor allem weil neben den eigenen Arsenalen auch die Nachfrage aus der Ukraine und aus Israel bedient werden muss. Dazu fordert Taiwan angesichts der chinesischen Bedrohung weitere Waffenlieferungen.
Cameron Holt, mittlerweile pensionierter Generalmajor und ehemaliger Beschaffungsbeauftragter der US-Luftwaffe, warnte schon im Sommer 2022, dass China "fünf- bis sechsmal" schneller Waffen beschaffe als die Vereinigten Staaten. Außerdem investiere Peking vergleichsweise mehr in Rüstung als die USA: "Gemessen an der Kaufkraftparität geben sie etwa einen Dollar aus, während wir 20 Dollar ausgeben, um die gleiche Leistungsfähigkeit zu erreichen", erklärte Holt damals in einer Grundsatzrede. Er mahnte dazu, Kosten zu senken und die Geschwindigkeit von Lieferketten zu erhöhen.
USA investieren in Seltene Erden, Europa hinkt hinterher
Was Seltene Erden betrifft, sind die USA seitdem jedoch kaum vorangekommen. Im vergangenen Jahr erklärte das Verteidigungsministerium, bis 2027 eine heimische Lieferkette für Seltene Erden vom Abbau bis zur Magnetherstellung aufbauen zu wollen, die den gesamten Bedarf der US-Verteidigung abdecken kann. Seit 2020 seien demnach bereits 439 Millionen US-Dollar in das Projekt geflossen. Die erste Anlage zur Verarbeitung sogenannter schwerer Seltener Erden soll in Mountain Pass in Kalifornien entstehen.
Auch Europa tritt auf der Stelle. Nirgendwo auf dem Kontinent werden derzeit Seltene Erden abgebaut. Das liegt nicht an fehlenden Vorkommen, sondern oft an strengen Maßnahmen zum Umweltschutz, die den Abbau und die Verarbeitung der Seltenen Erden deutlich erschweren und die Kosten steigen lassen. Das wohl größte Vorkommen der Rohstoffe in Europa wurde Anfang 2023 im nördlichen Schweden entdeckt. Das Bergbauunternehmen LKAB rechnete damals jedoch mit einem Beginn des Abbaus erst binnen zehn bis 15 Jahren – wegen komplizierter Genehmigungsverfahren.
China argumentiert mit "internationalem Frieden"
China ist sich seiner Bedeutung für die weltweite Rüstungsindustrie bewusst. Das geht aus einem englischsprachigen Meinungsartikel hervor, der am Montag von der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua veröffentlicht wurde. Xinhua gilt als das internationale Sprachrohr Pekings.
Dort wird der Vorwurf zurückgewiesen, dass China die Exporte Seltener Erden als "taktische Gegenmaßnahme" gegen die Zollpolitik der USA verhängt habe. Vielmehr spiegle diese Maßnahme Pekings "Engagement für die Wahrung des Weltfriedens und der regionalen Stabilität wider", heißt es.
Der Artikel verweist insbesondere auf die militärische Nutzbarkeit Seltener Erden: "Die Verhinderung der Nutzung solcher strategischer Ressourcen zur Untergrabung des internationalen Friedens und der Sicherheit ist eine gemeinsame Nichtverbreitungsverpflichtung aller Nationen."
Diese Argumentation verschweigt zwei Dinge: Einerseits fügt Peking mit seinen ständigen Drohungen gegen die Inselrepublik Taiwan und der indirekten Unterstützung Russlands im Ukraine-Krieg dem Weltfrieden selbst schweren Schaden zu. Und andererseits hat China schon einmal Seltene Erden als Waffe missbraucht.
Japans Kampf gegen die Abhängigkeit von China
2010 setzte Peking für zwei Monate den Export der Rohstoffe nach Japan aus. Auslöser war ein Zwischenfall mit einem chinesischen Fischereischiff, das Japan nach dem Zusammenstoß mit zwei Booten seiner Küstenwache festsetzte. Es war auch ein Territorialdisput: Die Chinesen hatten in japanischen Gewässern gefischt, die Peking für sich beansprucht.
Die Exporte liefen wieder an, als der chinesische Kapitän freigelassen wurde. Die Preise auf dem Weltmarkt lagen jedoch danach noch für gut ein Jahr lang zehnmal höher als vor dem Zwischenfall.
Diese Episode zeigt jedoch ebenfalls einen möglichen Ausweg aus der Abhängigkeit von chinesischen Seltenen Erden. Denn Japan gelang es seitdem, seine Abhängigkeit von etwa 90 Prozent im Jahr 2010 auf rund 60 Prozent im Jahr 2023 zu senken. Die japanische Regierung investierte damals in die Entwicklung neuer Technologien, um die Nutzung Seltener Erden zu reduzieren, sowie zum Recycling der kritischen Rohstoffe. Darüber hinaus kaufte sich Japan im Ausland in Minen ein und begann mit dem Aufbau strategischer Reserven.
Die japanische Abhängigkeit von China liegt mit 60 Prozent noch immer hoch. Weitere diplomatische Streitereien beider Länder in den Folgejahren führten zwar nicht erneut zur einseitigen Einstellung der Exporte Seltener Erden. Doch die neuen Beschränkungen vonseiten Chinas trafen auch Japan: Autobauer Suzuki Motors musste die Produktion einiger Modelle einstellen, der Grund: ein Mangel an Teilen, inklusive Seltener Erden.
- nytimes.com: "China’s Chokehold on This Obscure Mineral Threatens the West’s Militaries" (englisch, kostenpflichtig)
- csis.org: "The Consequences of China’s New Rare Earths Export Restrictions" (englisch)
- defense.gov: "DOD Looks to Establish 'Mine-to-Magnet' Supply Chain for Rare Earth Materials" (englisch)
- nationalinterest.org: "Catch Up: China Is Getting New Weapons Faster Than the U.S." (englisch)
- edition.cnn.com: "US and China agree on plan to ease export controls after trade talks in London" (englisch)
- cnbc.com: "China’s rare-earth mineral squeeze puts defense giants in the crosshairs" (englisch)
- english.news.cn. "Xinhua Commentary: China's rare earth regulations responsible step toward sustainable global supply, security" (englisch)
- weforum.org: "How Japan solved its rare earth minerals dependency issue" (englisch)
- Mit Material der Nachrichtenagenturen Reuters und AFP