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UN-Plastik-Abkommen: Minipartikel sind überall – auch im menschlichen Hirn


Letzte Chance für ein Abkommen
"Jede Stunde zählt"

Von dpa
Aktualisiert am 06.08.2025 - 02:00 UhrLesedauer: 5 Min.
Verhandlungen über globalen Vertrag gegen PlastikverschmutzungVergrößern des Bildes
Deutschland ist Greenpeace zufolge der größte Plastikmüllexporteur Europas. (Archivbild) (Quelle: Jerome Delay/AP/dpa/dpa-bilder)
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Plastikpartikel verseuchen Meere, Luft und sogar unseren Körper. In Genf ringen mehr als 160 Staaten um ein Abkommen – doch mächtige Bremser könnten die letzte Chance verspielen.

Plastik ist allgegenwärtig – vom Supermarkteinkauf über Möbel und Elektronik bis zu den Materialien von Kleidung und Inhaltsstoffen von Kosmetika. Die Folgen sind gravierend: Bereits heute kontaminieren Plastikpartikel sämtliche Ökosysteme der Erde und werden sogar vermehrt im menschlichen Körper nachgewiesen. Kleine Plastikpartikel – das sogenannte Mikroplastik – verbreiten sich über Meere und Luftwege weltweit.

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Eine aktuelle Studie, veröffentlicht im renommierten Fachmagazin "Lancet", zeigt alarmierende Zahlen dazu auf – die Autoren berichten von einer weltweiten "Plastikkrise". Haupttreiber dieser Krise ist das rasant wachsende Plastikaufkommen – von gerade einmal zwei Millionen Tonnen im Jahr 1950 auf 475 Millionen Tonnen im Jahr 2022. Bis 2060 dürfte die Produktion des Kunststoffs demnach auf 1,2 Milliarden Tonnen steigen.

Parallel dazu hat auch die Verschmutzung zugenommen: Schätzungsweise acht Milliarden Tonnen Plastikabfall belasten inzwischen den Planeten. Weniger als zehn Prozent des produzierten Kunststoffs werden demnach recycelt. Ein Viertel des Plastikmülls in Flüssen und Meeren stammt der Wissensplattform "Our World in Data" allein von Plastiktüten und -flaschen.

Unterhändler in Genf ringen um weltweites Abkommen

In Genf kommt die internationale Staatengemeinschaft diese Woche für einen letzten Versuch zusammen, um ein verbindliches UN-Abkommen gegen Plastikmüll zustande zubringen. Das Abkommen soll die Produktion, das Design und die Entsorgung von Plastik umfassen. Es soll weniger produziert werden, Produkte sollen möglichst mehrfach verwendet und recycelt werden können, und was übrig bleibt, soll umweltschonend entsorgt werden. Wie das gehen soll, ist umstritten. Die Verhandlungen in Südkorea waren Ende vergangenen Jahres ohne Einigung zu Ende gegangen.

Eine Reihe Länder will möglichst nur Absprachen zur Abfallbeseitigung und keine Produktionsbeschränkungen. Umstritten ist auch, ob nur Absichtserklärungen oder klare, verbindliche Maßnahmen festgelegt werden. Gestritten wird, wer wie viel zur Finanzierung etwa für Recyclinganlagen in ärmeren Ländern beiträgt: Regierungen oder Herstellerfirmen – oder eine Mischung aus beiden.

"Jede Stunde zählt", sagte der Vorsitzende der Konferenz, der ecuadorianische Botschafter Luis Vayas Valdivieso. "Wir schaffen die Grundlagen für ein globales Werkzeug, das die Zukunft der Umweltgeschichte verändern könnte."

Die Folgen für Menschen

Forscher warnen nun vor allem auch vor den potenziellen Auswirkungen der winzigen Plastikpartikel im menschlichen Körper. Die Folgen sind bisher ungeklärt, es handelt sich um ein neues Forschungsfeld. Wissenschaftler mahnen jedoch, dass schon jetzt Maßnahmen gegen mögliche Gesundheitsrisiken ergriffen werden müssten. So erklärte mit Blick auf die Genfer Verhandlungen das Institut für Globale Gesundheit in Barcelona, dass "politische Entscheidungen nicht auf vollständige Daten" zu den Gesundheitsrisiken von Mikroplastik warten könnten.

Mikroplastik wird über die Nahrung, das Wasser und Luft aufgenommen. Es wurde in den vergangenen Jahren in menschlichen Lungen, im Herzen, der Leber, den Nieren, in der Plazenta und im Blut gefunden. Für weltweites Aufsehen sorgte eine Studie, die Anfang des Jahres in der Fachzeitschrift "Nature Medicine" erschien. US-Forscher fanden im Gehirn und in der Leber von Toten im vergangenen Jahr deutlich mehr Nano- und Mikroplastik als noch 2016.

Der Leiter der Studie, Matthew Campen von der University of New Mexico, sagte, die in Gehirnen gefundene Menge an Plastikpartikeln entspreche der Größe eines Kaffeelöffels. Auch sagte er, dass Forscher in der Lage waren, zehn Gramm Plastik aus einem gespendeten menschlichen Hirn zu isolieren. Laut den Autoren der aktuellen Studie, die im Fachmagazin "The Lancet" publiziert wurde, stellt Plastik eine erhebliche Bedrohung für die Gesundheit dar, da es Krankheiten und Todesfälle von der Geburt bis ins hohe Alter verursachen könne.

Geoökologe Stefan Krause, Professor an der Universität Birmingham, sagt. "Sie gelangen schon im Mutterleib über die Plazenta in das ungeborene Baby." Es wurden auch Ablagerungen in Arterien nachgewiesen. Laminat- und Teppichböden könnten etwa vor allem krabbelnde Kinder belasten. Partikel, die wieder ausgeschieden werden, könnten vorher Additive im Körper freisetzen. "Viele Stoffgruppen beeinflussen die endokrinen Systeme, einige sind krebserregend", sagt Krause. Über das endokrine System steuert der Körper mit Hormonen komplexe Körperfunktionen.

Prof. Richard Thompson, der vom "Time Magazine" für seine bahnbrechende Arbeit zur Plastikverschmutzung zu den 100 einflussreichsten Menschen des Jahres ernannt wurde, sagte im Interview mit dem "Guardian": Wir finden Mikroplastik in unseren tiefsten Ozeanen und unseren höchsten Bergen. Es gibt Hinweise darauf, dass der Mensch von der Gebärmutter an und während seines gesamten Lebens damit in Berührung kommt". Auch Thompson hofft, dass ein weltweit verbindliches Abkommen zur Reduzierung der Plastikverschmutzung zustande kommt.

"Die Menschen, die mit dem Müll leben, sind empört"

Die Chefin des UN-Umweltprogramms (Unep), Inger Andersen, räumte zu Beginn der Verhandlungen eine Reihe von Differenzen zwischen den Delegationen ein. "Die Menschen, die mit dem Müll leben, sind empört. Wir dürfen uns diese Gelegenheit (für eine Lösung) nicht entgehen lassen." Mehr als 160 Staaten sind bei den Verhandlungen bis zum 14. August dabei.

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Die EU gilt in vielerlei Hinsicht als Vorreiter, etwa mit dem Verbot von Einweg-Plastik wie Strohhalmen und Plastikbesteck. Dass weltweit strikte Standards erreicht werden, gilt jedoch als unrealistisch. Moritz Jäger-Roschko von der Umweltorganisation Greenpeace betont, dass ein Abkommen für die Menschen in Europa wichtig sei, da diese viele Kunststoffprodukte, die nicht in der EU hergestellt werden, nutzten – und deren Hersteller sich im Zweifelsfall auch nicht an EU-Regularien hielten. "Außerdem ist Deutschland auch der größte Plastikmüllexporteur Europas, das heißt, unser Müll ist weltweit für das Müllproblem mitverantwortlich", so Jäger-Roschko.

Mehr als 100 Länder von Antigua und Barbuda bis Vanuatu haben sich für einen starken Vertrag mit klaren Auflagen auch zur Begrenzung der Produktion ausgesprochen, darunter auch die EU sowie viele afrikanische, asiatische und lateinamerikanische Staaten. Sie machen aber nur 30 Prozent des Marktanteils und ein Viertel der Weltbevölkerung aus. Die rund 300 Firmen und Finanzinstitutionen der "Unternehmerkoalition für einen ehrgeizigen Plastikvertrag" sind auch für einen "robusten Vertrag mit globalen Regeln und einheitlichen Verpflichtungen". China, das Land mit der größten Plastikproduktion, hat national schon Produktionsbeschränkungen geplant.

Die Bremser

Die meisten Kunststoffe werden aus Öl hergestellt, deshalb verhindern vor allem die Ölstaaten einen ehrgeizigen Vertrag, darunter der Iran, Saudi-Arabien, die Golfstaaten und Russland. Sie wollen nur über Müll und Recycling sprechen. Die US-Regierung unter Donald Trump schafft Regulierungen aller Art gerade ab. "Dadurch hat sich die Lage bei den Verhandlungen nicht gerade vereinfacht", heißt es aus Verhandlerkreisen. Die USA sind mit China die größten Herstellerländer von Plastik - in Europa ist es Deutschland.

Sollte es eine Einigung geben, gäbe es nächstes Jahr eine diplomatische Konferenz zur Unterzeichnung. Die Ratifizierung in den einzelnen Ländern dürfte mehrere Jahre dauern. In Genf werden Vertreter von mehr als 160 Staaten erwartet, ebenso Hunderte Teilnehmer von Umweltorganisationen und Industrielobby-Verbänden. Deutschland ist mit einer Delegation vor Ort vertreten, aber die EU verhandelt für alle Mitgliedsstaaten.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen afp und dpa

Quellen anzeigenSymbolbild nach unten

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