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Brexit-Beben im Unterhaus: Das waren die irrsten und dramatischsten Momente der Debatte


Brexit-Beben im Unterhaus
Die irrsten und dramatischsten Momente der Debatte


Aktualisiert am 04.09.2019Lesedauer: 4 Min.
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"Arroganz, Dünkel, Respektlosigkeit": Parlamentspräsident Jacob Rees-Mogg macht es sich auf der Regierungsbank bequem.Vergrößern des Bildes
"Arroganz, Dünkel, Respektlosigkeit": Parlamentspräsident Jacob Rees-Mogg macht es sich auf der Regierungsbank bequem. (Quelle: ap)

Was war das für eine denkwürdige Debatte im Unterhaus, an deren Ende Boris Johnson gerupft und die Opposition triumphierend dasteht. Die besten Momente der Parlamentsschlacht im Überblick.

Soviel ist klar: Die Debatte am 3. September 2019 im britischen Unterhaus wird in die Geschichte Großbritanniens eingehen. Eine bittere Niederlage für Regierungschef Boris Johnson, der Rauswurf der Tory-Rebellen, ein Überläufer und ein respektloser Parlamentspräsident – Rückblick auf eine denkwürdige Parlamentssitzung.

Der Überläufer

Schon am Nachmittag der erste Paukenschlag. Premierminister Boris Johnson informierte gerade die Abgeordneten über die Ergebnisse des G7-Gipfels in Biarritz, als plötzlich ein Tumult ausbrach. Johnsons Parteikollege Phillip Lee hatte den Sitzungssaal betreten, jedoch nicht auf der Seite rechts von Speaker John Bercow Platz genommen, wo die Konservativen sitzen, sondern gegenüber auf der Bank der Liberalen. Der Tory-Politiker hatte die Seiten gewechselt – und plötzlich stand Boris Johnson ohne Mehrheit da. Der hauchdünne Vorsprung der Koalition aus Konservativen und nordirischer DUP von nur einer Stimme – einfach futsch. Jetzt war das Lager der Regierungsfraktion rechnerisch um einen Abgeordneten kleiner als das der Opposition.

In einem Statement begründete Lee seinen Seitenwechsel mit der "aggressiven" und "zerstörerischen" Brexit-Politik der Regierung. Sie setze ohne Not Menschen und Existenzen aufs Spiel und gefährde den Zusammenhalt des Vereinigten Königreichs. Lee schrieb weiter: "Nach langem Nachdenken bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich mich als konservativer Abgeordneter nicht mehr in der Lage sehe, meinen Wählern und den Interessen meines Landes zu dienen."

Das Scherbengericht

Sitzungen des britischen Unterhauses sind für ihre oft lebhafte Atmosphäre bekannt. Doch dieser Abend war noch einmal anders. Viele Abgeordnete attackierten Premier Johnson in selten erlebter Schärfe und warnten eindringlich vor den negativen Konsequenzen seiner Brexit-Politik. Labour-Chef Jeremy Corbyn warf Johnson vor, Parlament und Volk an der Nase herumzuführen mit seiner Behauptung, für ein besseres Austrittsabkommen zu kämpfen. Tatsächlich verfolge er nämlich nur einen Plan: die EU ohne Deal zu verlassen.

Die Vorsitzende der Liberalen, Jo Swinson, mahnte Johnson, sein Spiel mit dem Schicksal der Menschen zu beenden und den Brexit abzusagen. Der Fraktionschef der schottischen SNP, Ian Blackford, nannte Johnson einen "schäbigen Diktator", weil er das Parlament ab kommender Woche in den Zwangsurlaub schickt. Der Premier, so Blackford, beraube das Volk damit seiner Macht.

Die Niederlage

Er hatte es mit Beschwörungen und offenen Drohungen versucht – es half alles nichts. Boris Johnson musste am späten Dienstagabend eine historische Niederlage im Unterhaus einstecken. Die Gegner eines ungeordneten EU-Austritts machten mit deutlicher Mehrheit den Weg für ein Gesetz frei, um den Premiermister von einem No-Deal-Brexit abzuhalten.

Eine breite Front aus Liberalen, der Labour-Partei und mehr als 20 Tory-Rebellen hatte Johnson erfolgreich die Stirn geboten. Bereits heute wollen sie den Antrag gegen den Chaos-Brexit durchs Unterhaus peitschen. Johnson kündigte an, in diesem Fall umgehend Neuwahlen zu beantragen.

Der Rauswurf

Neben Johnsons Niederlage war dies der dramatischste und folgenschwerste Moment des Abends: der Rauswurf der Tory-Rebellen. 21 Abgeordnete, die sich am Abend dem Votum der Opposition angeschlossen hatten, um einen No-Deal-Brexit per Gesetz zu verhindern, wurden nach der Abstimmung aus der Partei ausgeschlossen – ein in der jüngeren britischen Geschichte beispielloser Vorgang. Politiker, die ihrer Partei zum Teil seit Jahrzehnten gedient, die höchste Ministerämter besetzt hatten, wurden wegen einer einzigen Abstimmung ihrer politischen Heimat beraubt. Unter den Geschassten sind der ehemalige Schatzkanzler Philip Hammond, mit Nicholas Soames ein Enkel des legendären britischen Premierministers Winston Churchill, ja sogar der Alterspräsident des Unterhauses, Ken Clarke, der seit 1970 ununterbrochen für die Torys im Parlament saß.

Für einen anderen, nun parteilosen Rebellen war es ein in doppelter Hinsicht denkwürdiger Abend. Der frühere Entwicklungshilfeminister Rory Stewart nahm gerade bei einer Preisverleihung des Magazins "GQ" die Auszeichnung zum "Politiker des Jahres" entgegen, als er per Kurzmitteilung über seinen Rauswurf informiert wurde. In seiner Dankesrede sagte Stewart: "Ich bin sehr stolz, den Preis als Politiker des Jahres an jenem Abend entgegenzunehmen, an dem ich aufhöre, ein Politiker zu sein."

+++ Verfolgen Sie die Debatte im britischen Unterhaus im Livestream +++

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Die Amüsierte

Theresa May muss eine innere Genugtuung empfunden haben, Boris Johnson im Parlament mit dem Rücken zur Wand zu erleben. Kein Parteikollege hatte so vehement ihren Fall betrieben, um selbst das höchste politische Amt im Land übernehmen zu können. Nun stand er gerupft und ohne eigene Mehrheit im Unterhaus da. Und Theresa May schien es ein Vergnügen zu sein.

Bilder aus der denkwürdigen Debatte vom Dienstagabend zeigen die frühere Premierministerin, nun Hinterbanklerin ihrer Partei, gelöst und gut gelaunt die Sitzung verfolgend. Neben ihr, noch besser gelaunt, kann sich Tory-Rebell Ken Clarke vor Lachen kaum halten. "Siehst du, dieser Job ist schwerer als du dachtest", soll May nach Angaben eines Freundes durch den Kopf gegangen sein. Und bekanntlich soll Schadenfreude ja die schönste Freude sein.

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Das Nickerchen

Und dann war da noch der schlummernde Parlamentspräsident Jacob Rees-Mogg. Demonstrativ fläzte sich der konservative Brexit-Befürworter auf der Regierungsbank, schloss dabei immer wieder die Augen, während andere Abgeordnete ihre Reden hielten.

Empörung bei der Opposition: "Die Verkörperung von Arroganz, Dünkel, Respektlosigkeit und Geringschätzung unseres Parlaments", kommentierte die Labour-Abgeordnete Anna Turley, die die Szene fotografisch festhielt. Erst die krachende Niederlage der Regierungsfraktion riss den Tory-Politiker aus seinem Dämmerschlaf. Die ehemalige Tory-Abgeordnete Anna Soubry bemerkte spöttisch: "Das Ergebnis hat sogar den Leader of the House aufgeweckt."

Verwendete Quellen
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