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Neues Richter-Gesetz: Polens schleichender Abschied von der Gewaltenteilung


Neues "Maulkorb-Gesetz"
Polens schleichender Abschied von der Demokratie

Von Madeleine Janssen

Aktualisiert am 23.12.2019Lesedauer: 4 Min.
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PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski und Ministerpräsident Mateusz Morawiecki im Sejm: Die Justizreform macht die Richter mundtot, beklagen die Kritiker.Vergrößern des Bildes
PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski und Ministerpräsident Mateusz Morawiecki im Sejm: Die Justizreform macht die Richter mundtot, beklagen die Kritiker. OSLAW (Quelle: imago-images-bilder)

Die polnische Regierung boxt den Umbau des Justizwesens weiter durch. Jetzt hat das PiS-dominierte Parlament ein Gesetz zur Disziplinierung der Richter durchgewunken. Es bedeutet nichts weniger als den Abschied von der Gewaltenteilung.

Polens Richter müssen sich auf noch härtere Zeiten einstellen. Das von der rechtskonservativen Partei PiS dominierte polnische Parlament (Sejm) hat ein Gesetz verabschiedet, das die Richter des Landes disziplinieren soll. Kritische Richter können demnach bestraft oder sogar entlassen werden.

Die PiS-Fraktion hatte den Gesetzentwurf erst Mitte Dezember ins Parlament eingebracht. Bereits eine Woche später ist er nun durchgewunken worden. Die Dringlichkeit zeigt eines: Gegner sollen keine Möglichkeit haben, sich gegen das Gesetz zu formieren und juristische Optionen auszuloten.

Was steht genau im Gesetz?

Wenn Richter die Legalität oder die Entscheidungskompetenz eines anderen Richters, eines Gerichts oder einer Kammer infrage stellen, dann müssen sie laut Entwurf künftig mit Geldstrafen, Herabstufung oder sogar mit Entlassung rechnen. Auch dürfen sie sich nicht politisch betätigen und müssen angeben, in welchen Berufsorganisationen und Bürgerinitiativen sie aktiv sind.

Die wichtigsten Punkte im Überblick:

  • Disziplinarverfahren drohen, wenn Richter die rechtmäßige Berufung anderer Richter überprüfen. Ebenso für die Anwendung und Einhaltung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) und Resolutionen des polnischen Obersten Gerichts. Zurechtgewiesen wird auch, wer die polnische Verfassung direkt anwendet – es sei denn, das polnische Verfassungsgericht spricht sich in dem Fall ebenfalls dafür aus. Nur: Das Verfassungsgericht steht bereits unter der Führung von Richtern, die der PiS wohlgesonnen sind. All dies bedeutet auch, dass der Vorrang des EU-Rechts vor nationalem Recht untergraben wird. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts ist auch in der nationalen polnischen Verfassung festgehalten.
  • Wer sich widersetzt, dem drohen von nun an Berufsverbote.
  • Ein Richter gilt fortan als Person, die vom Präsidenten ernannt worden ist. Mit dieser Definition möchte die PiS verhindern, dass die Ernennung von Richtern angezweifelt werden kann. Die Richter werden standardmäßig vom Landesjustizrat berufen, die Vereidigung nimmt der Präsident vor. Doch der Landesjustizrat steht in der Kritik, weil seine Mitglieder vom Parlament bestimmt werden – wo die PiS über eine bequeme absolute Mehrheit verfügt. Die verfassungsgemäße Trennung von Judikative und Legislative ist damit nicht gegeben. Mit der neuen Definition, die den Richter direkt an den Präsidenten koppelt, umgeht die PiS also die Kritik des EuGH, der genau diese fehlende Trennung moniert hat.
  • Alles, was mit der Wahl oder Entlassung von Richtern zu tun hat, soll künftig ausschließlich von der Kammer für Außerordentliche Kontrolle und Öffentliche Angelegenheiten des Obersten Gerichts entschieden werden. Dort arbeiten schon heute vorwiegend PiS-konforme Richter. Sollte eine andere Kammer des Obersten Gerichts sich mit entsprechenden Personalfragen befassen, ist die Entscheidung nicht bindend.
  • Alle anhängigen Rechtsmittelverfahren gegen Ausschreibungen für Richterposten werden eingestellt. Die Gerichte können also nicht mehr selbst entscheiden, selbst wenn sie zuvor den EuGH angerufen hatten. Ziel dieses Vorstoßes: PiS-freundliche Richter sollen nicht mehr von Entscheidungen ausgeschlossen werden können.
  • Ein wesentlicher Punkt: Für die Wahl des Präsidenten oder der Präsidentin des Obersten Gerichts reicht es fortan aus, wenn sich lediglich ein Viertel der Richter an der Abstimmung beteiligt. Mit dem Absenken des Rentenalters für Richter hatte die PiS bereits versucht, unliebsame Richter vorzeitig vom Obersten Gericht zu entfernen – musste diese Reform jedoch nach massiven Protesten auch aus der EU-Kommission wieder zurücknehmen. Dennoch arbeiten bereits zahlreiche linientreue Richter am Obersten Gericht. Im neuen Gesetz heißt es weiter: Jeder Richter darf einen Kandidaten vorschlagen. Der polnische Präsident ernennt schließlich den Gerichtspräsidenten, der sein Amt auf unbestimmte Zeit innehaben soll. Das ist deshalb ausschlaggebend, weil die derzeitige Oberste Richterin, Malgorzata Gersdorf, im April 2020 regulär aus dem Amt scheidet. Sie hatte Berühmtheit erlangt, weil sie sich gegen die Zwangsverrentung gewehrt hatte und stoisch weiterhin zur Arbeit erschienen war. Mit dem neuen Gesetz ebnet die PiS den Weg zu einem Obersten Gericht, dessen Richter auf Parteilinie urteilen. Das Vorgehen weckt Erinnerungen daran, wie die Regierung nach und nach die Macht des einst unabhängigen Verfassungsgerichtshofes ausgehebelt hat.
  • Die Richter müssen Rechenschaft ablegen über die Mitgliedschaft in Nichtregierungsorganisationen und über ihre eigene Aktivität darin. Außerdem sollen Informationen darüber veröffentlicht werden, wie sich Richter im Internet verhalten und welche Vermögen sie besitzen – einsehbar für jeden.

Justizminister spricht von "Richterkratie"

In den vergangenen Tagen sind in ganz Polen Tausende Menschen gegen die Gesetzesreform auf die Straßen gegangen. Sie skandierten "Freie Gerichte!" und "Verfassung!". "Wir werden wie Verbrecher behandelt", klagte eine Richterin aus Danzig. Oppositionelle Medien sprechen von einem "Unterdrückungsgesetz".

Auf die Kritik hin sprach Justizminister Zbigniew Ziobro (PiS) von den Richtern als einer "außergewöhnlichen Kaste", die ihre Privilegien schütze. Man lebe in einer "Richterkratie", es sei Zeit, dies zu beenden. Den Beliebtheitswerten der PiS hat die Reform jüngsten Umfragen zufolge nichts anhaben können.

PiS-Partei baut Gesellschaft um

PiS-Gegner dagegen nennen die Reform einen "Maulkorb" für die Richterschaft, die sich zunehmend gegen den Umbau des polnischen Staates durch die Rechtskonservativen stellt. Doch bislang findet die PiS-Partei, die auch seit den jüngsten Parlamentswahlen im Oktober über eine absolute Mehrheit im Sejm verfügt, immer noch Wege, ihre Vorstellungen durchzusetzen. Das neue Gesetz ist eine wichtige Säule dabei. Wie die Partei das Land umgestaltet, lesen Sie hier.

Zuletzt war die Regierung mit dem Plan gescheitert, eine eigenständige Disziplinarkammer für Richter einzurichten – dies sei nicht rechtmäßig, urteilte das Oberste Gericht. Doch das Gremium dürfte nun, mit dem neuen Gesetz, selbst nicht mehr viel ausrichten können.

Wie reagiert Brüssel?

Dafür droht nun umso mehr Ungemach aus Brüssel, wo die Stimmen lauter werden, die Polen die finanziellen Mittel der EU streichen wollen, sollte sich das Land nicht an die rechtsstaatlichen Standards der Gemeinschaft halten. Allerdings hat sich die PiS-Regierung in der Vergangenheit wenig beeindruckt gezeigt von solchen Drohungen.

Verwendete Quellen
  • Mit Material von dpa
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