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Präsidentschaftswahl im Iran: Donald Trumps Fehler rächen sich jetzt


Präsidentschaftswahl im Iran
Trumps Fehler rächen sich erst jetzt

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 18.06.2021Lesedauer: 5 Min.
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Donald Trump verkündete im Jahr 2018 den Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran.Vergrößern des Bildes
Donald Trump verkündete im Jahr 2018 den Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran. (Quelle: imago-images-bilder)

Iran steht vor einem großen Machtwechsel. Viele moderate Politiker wurden zur Präsidentschaftswahl nicht zugelassen, dem Land droht eine Radikalisierung. Ein Grund dafür ist auch das Erbe von Donald Trump.

Die Empörung ist vor allem unter den moderaten Kräften im Iran groß. Die Präsidentschaftswahl am Freitag war schon vor der eigentlichen Abstimmung eine Farce. Das Wahlgremium schloss vergangenen Monat die aussichtsreichsten Kandidaten der moderaten Kräfte im Land von der Abstimmung aus. Nun steht das Land vor einem grundlegenden Machtwechsel, die radikalen Kräfte greifen nach acht Jahren wieder nach der Macht.

Das islamistisch-nationalistische Lager im Iran, das den Westen als Feind sieht und jegliche Annäherungen ablehnt, ist auf dem Vormarsch. Das sorgt vor allem für Resignation bei dem reformorientierten Teil der Bevölkerung. Letzterer ist schwach, chancenlos und kann nur dabei zusehen, wie die Fortschritte unter dem vergleichsweise moderaten Präsidenten Hassan Ruhani Gefahr laufen, sich in Luft aufzulösen.

Die USA als Feindbild

Mit der Beeinflussung der Wahl zeigt die religiöse Führung vor allem eines: Sie fühlt sich ihrer Macht sicher. Sie fürchtet keinen Umsturz und sie hat in der Bevölkerung momentan mehr Rückhalt als vor der letzten Wahl im Jahr 2017. Das erscheint ungewöhnlich, weil das Land in einer schweren Wirtschaftskrise steckt, vielen Menschen geht es nicht gut. Regimekritiker werden noch immer verfolgt und getötet, Fortschritte bei der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen gibt es nicht.

Doch im Angesicht der Armut und dem Leid der Bevölkerung verweisen die iranischen Hardliner vor allem auf die USA als Verantwortlichen. Diese Strategie zeigte in den vergangenen Jahren immer größeren Erfolg, was vor allem mit Donald Trump zusammenhängt.

Der ehemalige US-Präsident begegnete der iranischen Führung vor allem mit Härte. Er inszenierte groß den US-Austritt aus dem Atomabkommen mit dem Iran, feierte sich für die Tötung des Generals Qassem Soleimani. Der iranische Militärstratege war der Kopf hinter vielen Anschlägen und Angriffen, die den Westen aus dem Nahen und Mittleren Osten drängen sollten. Im Iran aber war er sehr beliebt, nach seiner Tötung durch eine US-Drohne im Irak kamen in Teheran Hunderttausende zu einem Trauermarsch zu seinen Ehren.

Beschimpfungen und Säbelrasseln

Unter Trump wurden nicht nur die Sanktionen gegen den Iran verschärft, sondern die USA begannen einen Wirtschaftskrieg, um die Diktatur vom internationalen Wirtschafts- und Finanzsystem abzuschneiden. Darunter leidet vor allem die iranische Bevölkerung und es war nicht schwer für das Regime, ihr westliches Feindbild zu propagieren.

Aber es war nicht nur Trumps Politik, sondern auch seine Rhetorik:

  • 2018 stieg er aus dem Atomabkommen aus und nannte das iranische Regime bei der UN-Vollversammlung eine "gewissenlose Diktatur".
  • 2019 war er kurz davor, einen Angriff auf den Iran zu befehlen, nachdem das iranische Militär eine US-Drohne abgeschossen hatte.
  • 2020 befahl Trump nicht nur die Tötung von Soleimani, er bezeichnete den General auch noch als "Hurensohn".

Begleitet wurden die Trump-Jahre außerdem immer wieder von Säbelrasseln. Der ehemalige Präsident lag zwar mit seiner Kritik an dem autokratischen Regime im Iran nicht falsch, diplomatisch waren seine Beschimpfungen allerdings ein Super-GAU – viele Gesprächsbrücken wurden in dieser Zeit zerstört.

Trump stärkt radikale Kräfte

Trumps harter Iran-Kurs war vor allem innenpolitisch motiviert, um Versprechen gegenüber seinen Wählern einzulösen. Sein strategisches Kalkül: Das Leid der iranischen Bevölkerung durch die Sanktionen wird dazu führen, dass die Bevölkerung gegen die Führung revoltiert. Vor der Präsidentschaftswahl wissen wir, dass das genaue Gegenteil passiert ist.

Die radikalen Kräfte, die Trump eigentlich bekämpfen wollte, wurden im Iran durch ihn gestärkt. Die Fehler der US-Politik rächen sich nun, vor allem für die Reformer in der iranischen Bevölkerung.

Viele Menschen wollen am Freitag erst gar nicht zur Wahl gehen, das berichten selbst die staatlichen Medien. Nach Umfragen wollen nur ungefähr 40 Prozent der über 59 Millionen Stimmberechtigten teilnehmen. Vor vier Jahren waren es noch mehr als 70 Prozent. "Nicht wer wen wählt, sondern wer gar nicht wählt ist diesmal die eigentliche Herausforderung", beschreibt der reformorientierte Kandidat Abdolnasser Hemmati die politische Botschaft einer niedrigen Wahlbeteiligung.

"Mein Großvater wollte das nicht"

Doch auch eine geringe Wahlbeteiligung wird den Machtwechsel nicht verhindern, das geringe Interesse an der Wahl zeigt vor allem den Frust in der Bevölkerung. Vor allem sind die Menschen von Ruhani und den Reformern enttäuscht, die viele ihrer Versprechen nicht gehalten haben. Hinzu kommt die seit drei Jahren andauernde Wirtschaftskrise wegen der US-Sanktionen. Letzten Monat sorgte dann noch das Wahlgremium – auch Wächterrat genannt – landesweit für Empörung.

Ohne Erklärung schloss der Rat mehrere renommierte Politiker von der Wahl einfach aus. Unter ihnen waren auch ein amtierender Vize-, ein langjähriger Parlaments- und in der Person von Mahmud Ahmadinedschad gar ein Ex-Präsident und einst Vorzeigepolitiker des Systems.

Die Reaktionen darauf waren heftig, auch in den Kreisen des Regimes. "Mein Großvater wollte eine islamische Republik und keine islamische Herrschaft, die Entscheidungen hinter geschlossenen Türen trifft", sagte Hassan Chomeini, Enkel des iranischen Revolutionsführers. Selbst Irans oberster Führer Ajatollah Ali Chamenei war nicht erfreut über die Aussortierungen. In den Medien war die Rede von "Abrechnung" der Hardliner mit den Reformern und "Putsch" gegen Präsident Ruhani. Viele Iraner wollen daher diese inszenierte und undemokratische Wahl boykottieren. "Ich auch", outete sich sogar Ahmadinedschad als Wahlverweigerer.

Hardliner ist großer Favorit

Zugelassen wurden sieben Kandidaten, fünf vom Hardliner-Flügel und zwei weniger bedeutende Reformer. Drei haben sich inzwischen zurückgezogen, bleiben also noch vier. Als Favorit für die Nachfolge von Hassan Ruhani gilt der erzkonservative Kleriker Ebrahim Raeissi. Vor vier Jahren war er noch an Ruhani gescheitert, aber diesmal ist sein Weg ins Präsidialamt wesentlich einfacher. Denn Ruhani darf nach zwei Amtsperioden nicht mehr antreten.

Der 60-jährige Raeissi ist Chef des Obersten Gerichtshofs und ein enger Vertrauter von Ajatollah Ali Chamenei, dem geistlichen und politischen Oberhaupt der Islamischen Republik. Er übt eine Schlüsselposition im milliardenschweren religiösen Konglomerat Astan Kods Rasawi, dem größten Landbesitzer im Iran, aus, zu dem Bergwerke, Textilfabriken, ein Pharmaunternehmen und mehrere große Öl- und Gasfirmen gehören. Für die Exil-Opposition ist sein Name unauslöschlich mit den Massenhinrichtungen von Marxisten und anderen Linken 1988 verbunden, als Raeissi stellvertretender Staatsanwalt des Revolutionsgerichts in Teheran war.

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Raeissis Kontrahenten, denen allenfalls Außenseiterchancen eingeräumt werden, kommen alle aus dem iranischen Machtapparat: Angehörige des Schlichtungsrates, früherer Regierungsmitglieder, Ex-Militärs. Alles andere als ein klarer Sieg Raeissis wäre eine riesengroße Überraschung.

Gefahr neuer Konflikte

Die öffentliche Debatte kreist fast ausschließlich um Raeissi. Der 60-jährige Justizchef ist nicht nur Spitzenkandidat der Hardliner, sondern auch Wunschpräsident des Establishments. Politisch ist Raeissi ein unbeschriebenes Blatt, hat aber in den vergangenen Jahren mehrmals den moderaten Kurs von Ruhani scharf kritisiert – auch das Atomabkommen von 2015 mit den fünf UN-Vetomächten und Deutschland.

Aber gerade der Atomdeal – und die damit verbundenen Differenzen mit den USA – könnte Raeissis erste Amtshandlung sein. Er muss relativ schnell entscheiden, wie es bei den Verhandlungen zur Rettung des Wiener Abkommens weitergehen soll. Sonst hätte er weiterhin die US-Sanktionen und damit auch die lähmende Wirtschaftskrise am Hals. Mit Sicherheit fortsetzen wird er die feindselige Iran-Politik gegenüber Erzfeind Israel sowie die Unterstützung für anti-israelische Gruppen und Syriens Machthaber Baschar al-Assad.

Für die iranische Bevölkerung sind das keine guten Nachrichten. Das Land steht schon jetzt am Abgrund, aber die nächsten Jahre könnten noch stürmischer werden. Für die Stabilisierung der Wirtschaft wären in internationalen Verhandlungen pragmatische Kompromisse erforderlich, aber das ist von der künftigen iranischen Führung kaum zu erwarten. Im Gegenteil: Nun steigt erneut die Gefahr für Kriege und Konflikte in der Region. Ein neuer Atomdeal wird nach dieser Präsidentschaftswahl auch massive Anstrengungen von US-Präsident Joe Biden und von den EU-Staaten erfordern. Vor allem Biden erbt den Scherbenhaufen, den Trump auch in der Iran-Politik hinterlassen hat.

Wie im Iran der Präsident gewählt wird

Zulassung der Kandidaten: Zur Wahl hat der einflussreiche Wächterrat sieben Kandidaten zugelassen. Bis auf zwei gehören alle dem Lager der erzkonservativen Hardliner an. Insgesamt hatten sich 592 Bewerber registriert. Viele gemäßigte und konservative Bewerber, darunter auch prominente Politiker, wurden abgelehnt.

Der Wächterrat fungiert als Hüter der Verfassung. Er besteht aus sechs führenden Geistlichen, die das geistliche und politische Oberhaupt des Irans ernennt, und sechs islamischen Juristen. Das erzkonservative Gremium überprüft bei allen Wahlen die Kandidaten auf ihre generelle Eignung sowie auf ihr Bekenntnis zu Islam, Verfassung und den Werten der Islamischen Republik.

Wahlablauf: Wählen dürfen alle Bürgerinnen und Bürger des Irans ab 18 Jahren. Damit sind mehr als 59,3 Millionen der insgesamt rund 85 Millionen Iraner wahlberechtigt.

Die Wahllokale öffnen am Freitag um 7 Uhr Ortszeit (4.30 Uhr MESZ) und schließen um Mitternacht (21.30 Uhr MESZ). Die Zeit für die Stimmabgabe kann allerdings verlängert werden.

Gewonnen hat, wer mindestens 50 Prozent der abgegebenen Stimmen plus eine Stimme erhalten hat. Dabei werden auch leere Stimmzettel zur Menge der abgegebenen gültigen Stimmen gezählt. Erreicht keiner der Kandidaten in der ersten Runde die nötige Mehrheit, findet am ersten Freitag nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses eine Stichwahl zwischen den beiden führenden Kandidaten statt. Das wäre voraussichtlich der 25. Juni.

Präsidentschaft: Die Amtszeit des derzeitigen Präsidenten Hassan Ruhani endet nach Regierungsangaben am 3. August. Sein Nachfolger wird voraussichtlich bis Mitte August sein Kabinett benennen.

Der Präsident ist der Regierungschef. Die höchste geistliche und politische Instanz im Iran ist dagegen der sogenannte Oberste Rechtsgelehrte. Das betrifft alle Angelegenheiten des Staates, also auch die Atom- und Außenpolitik. Seit dem Tod von Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Chomeini im Jahr 1989 ist Ajatollah Ali Chamenei das geistliche und politische Oberhaupt.

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