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Aussage im Ibiza-Ausschuss: Sebastian Kurz in seiner größten Krise


Kurz' größte Krise
Jetzt wird schon über Nachfolger getuschelt

Von Christian Bartlau, Wien

Aktualisiert am 01.07.2021Lesedauer: 6 Min.
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Sebastian Kurz: Österreichs Kanzler steht im Ibiza-Untersuchungsausschuss enorm unter Druck.Vergrößern des Bildes
Sebastian Kurz: Österreichs Kanzler steht im Ibiza-Untersuchungsausschuss enorm unter Druck. (Quelle: Eibner Europa/imago-images-bilder)

Der Ibiza-Ausschuss hat Sebastian Kurz ein Ermittlungsverfahren eingebrockt. Jetzt muss Österreichs Kanzler erneut aussagen. Seine ÖVP wettert gegen das "politische Tribunal", die Opposition fühlt sich verhöhnt.

Gernot Blümel will nichts sagen, und er wird auch nichts sagen. Österreichs Finanzminister, der engste politische Weggefährte von ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz, sitzt am schwülwarmen Donnerstag in der Wiener Hofburg vor dem Ibiza-Ausschuss, durch eine Plexiglaswand von den Abgeordneten getrennt. Geladen ist Blümel als Auskunftsperson, aber auf Auskünfte warten die Parlamentarier vergeblich. Insgesamt 35 Mal beruft er sich auf §43, Absatz 1, Ziffer 1 der Verfahrensordnung, jeder hier im Kaminsaal der Nationalbibliothek weiß, was das bedeutet: Blümel beruft sich auf sein Recht auf Aussageverweigerung.

"Eine Verhöhnung des Parlaments" nennt die Opposition den vierstündigen Auftritt des Finanzministers; Blümel findet, das Gremium habe "dem politischen Diskurs in diesem Land geschadet". So geht das jetzt seit über einem Jahr und insgesamt 53 Sitzungen: Der Ibiza-Ausschuss ist die größte politische Arena Österreichs, Bühne für erbitterte Auseinandersetzungen und Machtspielchen.

Das hat es noch nie gegeben

Um das legendäre Ibiza-Video geht es nur am Rande, in der Hofburg soll eine viel grundlegendere Frage geklärt werden: War oder ist Politik in Österreich käuflich? Kann man sich wirklich gegen Spende einen hübschen Posten oder handliche Gesetze aussuchen? Was war es, das Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache der angeblichen Oligarchen-Nichte bei Unmengen Wodka-Red-Bull erzählt hat – Wahrheit oder Mist? Etliche Reiche und Mächtige mussten schon Rede und Antwort stehen, Karstadt-Eigentümer René Benko war da, Waffen-Patriarchin Kathrin Glock und die gesamte politische Elite der Republik von Bundeskanzler Sebastian Kurz abwärts.

An diesem Donnerstag kommt es quasi zum Showdown, wenn Sebastian Kurz zum zweiten Mal als Auskunftsperson Platz nimmt. Mit seinem ersten Auftritt hat sich der jüngste Regierungschef Europas in die größte Krise seiner Amtszeit manövriert: Die Justiz ermittelt wegen Falschaussage, eine Anklage droht, mit unabsehbaren politischen Folgen für seine Koalition mit den Grünen. Ein aktiver Kanzler auf der Anklagebank, das hat es noch nie gegeben in Österreich.

Alle gegen die Kanzlerpartei

Beim Bundeskanzler hören die Ermittlungen noch nicht auf, im Visier der Justiz stehen auch mächtige Figuren aus dessen Umfeld, unter anderen Finanzminister Blümel, Kurz' Kabinettschef, der Ex-Finanzminister, zwei Ex-Vizekanzler, eine Ex-ÖVP-Parteivize, ein hoher Justizbeamter und der Ex-Chef der Staatsholding. Die Vorwürfe reichen von Falschaussage über Verletzung des Amtsgeheimnisses bis hin zu Bestechung.

Straches Proseminar in die österreichische "Freunderlwirtschaft" auf Ibiza hat genügend Anfangsverdacht für Razzien geliefert, bei denen Korruptionsjäger die Handys einiger VIPs einsammelten. Die Ermittlungsakten wandern in der Folge an den Ausschuss, der die politische Verantwortung klären soll. Weil Ermittler nicht nur Spuren zu Straches Ex-Partei FPÖ fanden, sondern vor allem zur Kanzlerpartei, ergibt sich im Ausschuss eine merkwürdige Konstellation: Alle gegen die ÖVP – auch die Koalitionspartner von den Grünen. "Politisches Tribunal" hat ÖVP-Mann Andreas Hanger den Ausschuss deswegen einmal genannt.

Tatsächlich geht es nicht gerade österreichisch gemütlich zu: Regelmäßig bremsen heftige Geschäftsordnungsdebatten die Fragerunden aus, Abgeordnete müssen sich schon mal rechtfertigen, weil sie angeblich zu genüsslich ins Leberkässemmel beißen, und immer wieder treiben Auskunftspersonen die Parlamentarier mit dem Morbus Ibiza-Ausschuss in die Verzweiflung: spontane Demenz. Den Rekord hält Finanzminister Gernot Blümel, der sich in seiner ersten Befragung 86 Mal auf Erinnerungslücken berief.

"Die gehn mir am Oasch, alle!"

Es war der Tag, an dem Stephanie Krisper bekannter wurde, als ihr lieb ist: Die Fraktionsführerin der liberalen Neos, entnervt von der Mauertaktik, fluchte vor sich hin – weil sie ihr Mikrofon aus Versehen nicht ausgeschaltet hatte, konnte der ganze Saal ihren Wiener Grant hören: "Die gehn mir am Oasch, alle!"

Krisper verdreht die Augen, wenn man sie auf den Satz anspricht: "Das war entbehrlich, es hat vom Auftritt von Herrn Blümel abgelenkt." Die gelernte Anwältin mag ihre Antworten knapp und schnörkellos, so wie auch ihre Fragen im Ausschuss. Mit ihrer No-Bullshit-Attitüde hat sie sich einen guten Ruf als Aufklärerin erworben, jede Ablenkung vom eigentlichen Thema des Ausschusses ist ihr zuwider, man kann es ihr ansehen, wenn wieder einmal Geschäftsordnungsdebatten vom Zaun gebrochen werden, die wertvolle Zeit kosten. So wie beim ersten Auftritt von Sebastian Kurz vor etwa einem Jahr, bei dem er sich den vielleicht folgenschwersten Fehler seiner Laufbahn geleistet hat.

Als Auskunftsperson stand der Bundeskanzler unter Wahrheitspflicht, wie üblich wurde er vor seiner Befragung darüber belehrt. Was folgte, war eine vierstündige Tour de Force durch Postenschacher, Spenden und Hinterzimmerpolitik, durchaus konfrontativ. Kurz blieb stets auf der Höhe. Als Krisper ihn einmal unterbrach, kontert der Kanzler: "Ich bin noch am Wort, oder?"

"Völlig entspannt", so hat Krisper den Kanzler an diesem denkwürdigen Tag erlebt: "Er hat uns das Gefühl gegeben, er sei erhaben über den Ausschuss." So tritt Kurz auch danach vor die Presse, wiederholt seinen wichtigsten Punkt: "Ich war nicht auf Ibiza." Doch in einer entscheidenden Detailfrage hat er nicht die Wahrheit gesagt, meint die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft: Bei der Bestellung seines Weggefährten Thomas Schmid zum Chef der milliardenschweren Staatsholding ÖBAG will Kurz nur "involviert im Sinne von informiert gewesen sein". Offenbar ahnte er nicht, was die Ermittler auf Schmids Handy lesen würden.

"Ich liebe meinen Kanzler"

Ein paar Wochen bevor die Ermittler sein Telefon bei einer Razzia einkassierten, hatte jener Thomas Schmid all seine Chats gelöscht. Doch IT-Experten fanden ein Back-up, rund 300.000 Nachrichten waren wieder da, ein Goldesel für die Justiz. Im März dieses Jahres tauchten schließlich Nachrichten von Sebastian Kurz an Thomas Schmid in den Medien auf: "Kriegst eh alles, was du willst", schrieb der Bundeskanzler, gefolgt von drei Bussi-Emojis. Die Antwort: "Ich liebe meinen Kanzler."

Krisper schickte sofort eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft. Es ist nicht das erste Mal, dass sie einer Auskunftsperson in einem Ausschuss eine Falschaussage unterstellt, aber das erste Mal, dass Ermittlungen aufgenommen wurden. Eine Überraschung? "Aufgrund meiner Erfahrungen: Ja. Aufgrund des Tatsachensubstrats: Nein."

Das Verfahren gegen Kurz wurde im Mai bekannt, eine Zäsur für den Ausschuss: War der Ton schon immer rau, wurde er jetzt unversöhnlich. Kurz erinnert sich plötzlich an "Untergriffe und Unterstellungen" bei seiner Befragung und zitiert den angeblichen Ausspruch einer ehemaligen Verfahrensrichterin: "Jeder Mörder wird vor Gericht besser behandelt als eine Auskunftsperson im Ausschuss."

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Finanzminister lässt Kleinkrieg eskalieren

Sein Parteifreund Wolfgang Sobotka ließ mit einem denkwürdigen Vorschlag aufhorchen: Er könne sich vorstellen, die Wahrheitspflicht für die Auskunftspersonen abzuschaffen. Sobotka ist übrigens Parlamentspräsident, gleichzeitig Vorsitzender des Ausschusses und musste zweimal auf den Sitz der Auskunftsperson wechseln, weil er als Präsident einem Institut vorsteht, das Zuwendungen des Glücksspielkonzerns Novomatic erhalten hat – ein Thema, auf das man Stephanie Krisper und andere Abgeordnete besser nur anspricht, wenn man viel Zeit hat. In Kurzform: Alle Parteien außer der ÖVP halten Sobotka für befangen, für befangen erklären kann er sich allerdings nur selbst. Eine Tücke der Verfahrensordnung.

Finanzminister Gernot Blümel ließ derweil seinen eigenen Kleinkrieg mit dem Ausschuss eskalieren: Er verweigerte eine Aktenlieferung, trotz Urteilsspruch des Verfassungsgerichtshofes. Mittlerweile musste Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Weisung "exekutieren", er schickte Richter in Blümels Ministerium, die nach weiteren Akten suchen. Ein einmaliger Vorgang in Österreichs Nachkriegsgeschichte.

Sorge um den Rechtsstaat

"Fast eine Verfassungskrise", nennt das Peter Filzmaier. Der Politikprofessor ist Stammgast im österreichischen Fernsehen und bekannter als so mancher Minister, er kennt sich aus mit Ränkespielen und Machtkämpfen. Aber wie die ÖVP gerade gegen Parlament und Justiz ausreite, sehe er "mit großen Bedenken".

Kurz selbst witterte in der Justiz "rote Netzwerke", also SPÖ-Connection, seine Parteifreunde im Ausschuss greifen sogar einzelne Staatsanwälte namentlich an und unterstellen ihnen Befangenheit. "Zu befürchten ist, dass die Justiz dadurch beschädigt wird", sagt Filzmaier.

Eine Sorge, die auch Würdenträger teilen – Anfang Juni wendeten sich die Vorsitzenden der vier Oberlandesgerichte gegen "Versuche, aus parteipolitischen, persönlichen oder populistischen Gründen das Vertrauen in die Justiz (…) zu erschüttern."

Der Adressat taucht nicht namentlich auf, nötig ist das ohnehin nicht. Die Angriffe erfolgen mehr oder weniger offen, selbst der Koalitionspartner von den Grünen sah sich schon genötigt, der ÖVP Zurückhaltung zu empfehlen. Über eine Anklage gegen Kurz wegen Falschaussage wird im Spätsommer oder Herbst entschieden, ob die Grünen die Koalition mit einem Kanzler auf der Anklagebank weiterführen wollen, ist unklar. Die ÖVP scheint sich auf den Worst Case vorzubereiten, erstmals seit Kurz' Aufstieg zum Parteichef und Bundeskanzler 2017 kursieren Namen möglicher Nachfolger durch das politische Wien. Was Kurz braucht, ist ein Befreiungsschlag – vielleicht schon am Donnerstag im Ibiza-Ausschuss.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Stephanie Krisper, Abgeordnete zum Nationalrat und Fraktionsvorsitzende der NEOs im Ibiza-Ausschuss
  • Gespräch mit Peter Filzmaier, Professor für Demokratiestudien und Politikforschung an der Donau-Universität Krems
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