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Rechtsextremismus in Russland | Experte: "Putin spielt mit ihren Motiven"


Putin und die Rechtsextremen
"Das Regime hat sich seit Jahren in seiner Ideologie radikalisiert"

  • Marianne Max
InterviewVon Marianne Max

Aktualisiert am 28.03.2022Lesedauer: 5 Min.
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Wladimir Putin spricht zu seinen Anhängern: Experten sehen in dem Kreml-Chef und dessen Regime faschistische Züge.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin spricht zu seinen Anhängern: Experten sehen in dem Kreml-Chef und dessen Regime faschistische Züge. (Quelle: Mikhail Metzel/TASS/imago-images-bilder)

Träumt Wladimir Putin von einem neuen Russischen Reich? Einiges deutetet darauf hin. Populär ist dieses Ziel auch bei rechtsextremen Bewegungen Russlands. Wie nah stehen sie und der Kremlchef sich?

Wladimir Putin begründet den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine immer wieder damit, die Ukraine müsse "entnazifiziert" werden. Er selbst träumt, so schätzen es Experten ein, von der Rückkehr zum Russischen Reich – und bedient sich damit eines Narratives, das auch in rechtsextremen Kreisen Russlands verbreitet wird.

t-online hat mit Dr. Mihai Varga gesprochen. Er forscht am Osteuropainstitut der Freien Universität Berlin zu Rechtsextremismus und gibt Antworten darauf, in welcher Verbindung der Kreml zu rechtsextremen Bewegungen im eigenen Land steht.

t-online: Herr Varga, Putin versucht seinen Angriffskrieg auf die Ukraine mit der Behauptung zu rechtfertigen, diese müsse "entnazifiziert" werden. Warum schafft er dieses Feindbild?

Mihai Varga: Dafür gibt es mehrere Erklärungen. In erster Linie schafft Putin damit einen ideologischen Vorwand für den Krieg. Eigentlich ist es aber sein eigenes Regime, das sich seit Jahren immer stärker in seiner Ideologie radikalisiert. Es bezeichnet sich als konservativ, sucht aber tatsächlich die Nähe zu unterschiedlichen rechten Strömungen – und übernimmt auch deren Deutungsmuster, wenn es ihm passt. Ein Beispiel: In seiner Begründung für die Invasion vom 24. Februar erklärte Putin die Ukraine zu einem leninistischen und kommunistischen Projekt.

Welche Rolle spielen rechtsextreme Bewegungen in Russland?

Da muss man unterscheiden. Die früher sehr starke rechtsextreme Neonazi-Bewegung in Russland ist heute sehr schwach. Sie hat sich 2014 gespalten: Zwischen denen, die den Krieg im Osten der Ukraine begrüßt haben, und denen, die den Angriff auf das "Brudervolk" verurteilt haben. Einige – wir wissen nicht, wie viele genau – sind daraufhin in die Ukraine geflohen und haben sich dort paramilitärischen Bataillonen angeschlossen. Das Asow-Regiment ist da die Nummer eins.

Aber es gibt eine andere, viel größere rechtsextreme Szene, die imperialistische Fantasien hegt. Die ist ebenfalls antisemitisch, ebenfalls sehr stark von Ideologien der angeborenen Ungleichheit zwischen Menschen angetrieben – ähnlich wie Neonazis. Die größte Bewegung ist auf jeden Fall die orthodoxe "Dvizhenie Sorok Sorokow" (DSS).

Welchen Einfluss hat DSS denn in Russland?

Sie hat auf jeden Fall hohe Mobilisierungskraft für Demonstrationen auf den Straßen und um sich ein Netzwerk an weiteren Bewegungen, die immer dabei sind, wenn DSS etwas initiiert. Politisch kann sie so öffentlich Druck auf die Regierung aufbauen. Nicht so sehr und direkt, wie sie es sich wünscht. Aber Druck kann sie schon erzeugen. Und DSS wird von Teilen der orthodoxen Kirche begrüßt, die sie teilweise als eine Art verlängerten Arm auf der Straße ansehen.

Sind auch Mitglieder rechtsextremer Bewegungen in den Ukraine-Krieg involviert?

Nein – und das macht sie traurig. Sie wünschten sich, dabei zu sein, das ist aber offensichtlich von der russischen Regierung nicht gewollt.

Wie verhält sich Putin ansonsten gegenüber der rechtsextremen Szene?

Er wirkt ihr aktiv auf jeden Fall nicht entgegen. Die rechtsextreme Bewegung führt im eigenen Land, gerade in St. Petersburg, ein relativ ungestörtes Leben. Obwohl zum Beispiel die Russische Reichsbewegung (RID) von den USA als Terrororganisation eingestuft wurde, gab es vonseiten der russischen Regierung kaum Konsequenzen für sie – außer, dass die Website gesperrt wurde. Aber im rechtsextremistischen Bereich arbeitet damit eh niemand mehr. Die bewegen sich auf Social Media, in Telegramgruppen beispielsweise.

Wie erklären Sie sich das Verhalten Putins gegenüber der Szene?

Ich denke, es gibt eine schrumpfende ideologische Distanz der russischen Regierung zu diesen monarchistischen und ultraorthodoxen Gruppen. Putin spielt manchmal mit ihren Motiven. Zum Beispiel argumentiert er seit 2012 für die Anerkennung und symbolische Hervorhebung der russischen ethnischen Nation als "staatsgründend" und spricht damit anderen ethnischen Gruppen, wie Ukrainern, Esten oder Dagestanis ab, an der Gründung beteiligt gewesen zu sein. Dieser Diskurs der angeborenen Ungleichheit definiert die Rechten am meisten. Putin hat das natürlich nie so extrem gesagt, wie das in rechtsextremen Kreisen der Fall ist, aber der Unterschied ist nicht so groß, auch wenn Putin schon den multinationalen und multikonfessionellen Charakter seines Landes akzeptiert. Das ist nicht die Vorstellung der imperialen Bewegung.

Außerdem treten diese Gruppen in der Öffentlichkeit nicht mehr so auf, wie früher. Sie rufen keine antisemitischen Parolen mehr, danach muss man lange suchen – obwohl der Antisemitismus für sie nach wie vor ein zentrales Muster bleibt. Damit kann aus der Sicht Rechtsextremer, verschwörungstheoretisch flexibel, die gesamte Geschichte Russlands und der Welt erklärt werden – vom 19. Jahrhundert bis ins 21. Jahrhundert.

Sie haben gesagt, die Gruppen zeigen sich nicht mehr so offensichtlich rechtsextrem. Wie verhalten sie sich denn im Alltag?

Gruppen wie DSS treten offiziell für Familie, Religion und Kirche ein – es sind also keine Begriffe, die man sofort mit Rechtsextremismus assoziieren würde. Wenn sie demonstrieren, wie zum Beispiel gegen den Film "Matilda", verzichten sie auf die typischen rechten Parolen. Es ist eine neue Sprache und eine neue Generation des Rechtsextremismus. Innerhalb der Organisation ist die Kommunikation aber eine ganz andere. Die Wahrnehmung, dass die Russen führen müssten und Demokratie etwas Schlechtes sei, wird dort offen verbreitet.

Der von orthodoxen Hardlinern angefeindete Film "Matilda" erzählt von der außerehelichen Beziehung zwischen dem russischen Thronfolger und späteren Zaren Nikolaus II. mit der polnischstämmigen Tänzerin Matilda Kschessinskaja. Orthodoxe Kritiker verurteilen den historischen Film als Sakrileg, weil der 1918 ermordete Zar von der russisch-orthodoxen Kirche heiliggesprochen worden ist. Er sollte am 26. Oktober 2017 in die russischen Kinos kommen. Große Kinoketten nahmen ihn nach gewaltsamen Protesten und einer Reihe von Anschlägen jedoch aus dem Programm.

Und mit dieser Strategie wollen sie die breite Masse ansprechen?

Genau. Sie sind sich bewusst: Je moderater der Diskurs ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, die Leute anzuziehen. Und dann im Laufe der Zeit können sie ihnen auch weitere radikalere Aspekte vorstellen. Das ist ja im Grunde ein Erfolgsrezept für Rechte überall in Europa. Auch die AfD in Deutschland geht so vor.

Die AfD zeigt auch im Ukraine-Krieg auffällig viel Verständnis für Putins Angriffskrieg. Welche Verbindungen sehen Sie da?

Es gibt offensichtlich Stimmen in der AfD, die für das Putin-Regime mobilisiert haben. Das stimmt. Aber es gibt auch ein Problem für die AfD: Wie soll sie sich in Bezug auf die Flüchtlingsströme aus der Ukraine positionieren? Auf der einen Seite wird in der Partei die Ansicht vertreten, der Krieg sei eine legitime Reaktion des Putin-Regimes.

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Auf der anderen Seite wollen sie mit der deutschen Öffentlichkeit das Spielchen spielen, dass die ukrainischen Migranten als weiße Europäer besser und schützenswerter sind als zum Beispiel Schwarze. Es ist eine Gratwanderung: die Gründe für die Flucht nicht anzusprechen und doch die Flüchtenden zu begrüßen, um die Flüchtenden aus vorigen Wellen in ein schlechtes Licht zu rücken.

Abschließend: Inwieweit könnte denn der Krieg Russlands Einfluss auf die rechtsextreme Szene in Deutschland haben?

Mein Eindruck ist, dass sich die Szene spaltet. Die einen Rechtsextremen sympathisieren eher mit der Ukraine und dem Asow-Bataillon, die anderen eher mit dem Putin-Regime. Mehr wissen wir dazu aber noch nicht. Das hängt sehr davon ab, welche Seite in dem russisch-ukrainischen Krieg am Ende ein besseres Bild angibt.

Herr Varga, vielen Dank für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit PD Dr. Mihai Varga
  • Eigene Recherche
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