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Wahl in Frankreich: Scharfmacher Eric Zemmour ködert die Jugend


Frankreichs neue Rechte
Gekommen, um zu bleiben

Von Camilla Kohrs, Paris

09.04.2022Lesedauer: 8 Min.
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Präsidentschaftswahl: Wie junge Franzosen einen Rechtsextremisten feiern – und warum. (Quelle: t-online)

In Frankreichs Wahlkampf hat sich eine neue, extrem rechte Partei gebildet – mit Fokus auf die Jugend. Die Wahl gewinnen wird "Reconquête" wohl nicht. Doch wer mit ihren Anhängern spricht, merkt: Sie steht erst am Anfang.

Ein Beben dröhnt durch die Halle, es wird dunkel. Eine Herzschlaglinie zieht sich über den großen Bildschirm hinter der Bühne, es kommt eine zweite dazu, dann eine dritte. Sie färben sich blau-weiß-rot, die französischen Nationalfarben. Musik ertönt. Wie ein Popstar drängt nun Éric Zemmour durch die Menge, schüttelt links und rechts Hände, lässt sich feiern.

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Die Masse zumeist junger Menschen schreit und pfeift. Es wird Minuten dauern, bis der Präsidentschaftskandidat zur Bühne vorgedrungen ist. Dort angekommen, ruft er der Menge zu: "Ihr seid jung, ihr seid klug, ihr seid patriotisch, ihr seid waghalsig, ihr seid französisch." Die Menge antwortet mit einem tosenden Applaus, stimmt einen Sprechchor an: "Wir sind französisch, wir sind französisch!"

Es ist Donnerstagabend, noch drei Tage bis zur ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen. Zemmour widmet seine letzte Wahlkampfveranstaltung den jungen Unterstützern. Und die sind zu Tausenden gekommen. Im Pariser Palais des Sports ist fast jeder Platz belegt. Fast drei Stunden zelebrieren Partei und Anhänger den Wahlkampfabschluss, Zemmour spricht eine davon.

Der Saal ist bedeckt von einem Fahnenmeer, immer wieder singen die Unterstützer die Nationalhymne, springen im Takt und reagieren auf das Gesagte mit Sprechchören. Es ist eine gewaltige Energie im Raum, die Masse ist entfesselt und die Botschaft eindeutig: Diese Bewegung steht gerade erst an ihrem Anfang.

Gegen Migranten, Islam und Feminismus

Das Phänomen Zemmour beschäftigt Frankreich seit Monaten. Schon lange bevor er seine Kandidatur offiziell bekannt gab, tauchte der TV-Moderator in den Umfragen auf, überholte dort die andere rechtsextreme Kandidatin, Marine Le Pen, und lag hinter Macron mit 17 Prozent an zweiter Stelle.

Zemmour gilt als Scharfmacher, der in seinen Kolumnen im konservativen Blatt "Le Figaro" und vor allem in einer eigenen Fernsehsendung mit aggressiver Polemik gegen Islam, Migranten und Feminismus wetterte.

So behauptete er etwa, dass alle großen Genies der Weltgeschichte Männer seien. Oder er forderte überspitzt, den Brüsseler Stadtteil Molenbeek zu bombardieren. Dort hatten sich Attentäter des Pariser Terroranschlags vom November 2015 versteckt.

Rechts an Marine Le Pen vorbei

Laut aktuellen Umfragen wird Zemmour es höchstwahrscheinlich nicht in die zweite Runde – die Stichwahl zwischen den beiden stärksten Kandidaten – schaffen. Er liegt derzeit bei knapp 9 Prozent, seine ärgste Konkurrentin Le Pen bei 23 bis 26 Prozent.

Auch wenn er sein Hoch nicht halten konnte: Aus dem Stand hat Zemmour innerhalb weniger Monate eine Massenbewegung gegründet – mit einer besonders engagierten Jugendorganisation, der Génération Z. Und das, obwohl es bereits eine extrem rechte Partei gibt. Zusammen erreichen der Rassemblement National von Marine Le Pen und Reconquête von Zemmour in den Umfragen derzeit ein Drittel der Franzosen.

  • Vor der Präsidentschaftswahl in Frankreich: Die Aufholjagd von Le Pen

"Ich rede nicht mit Journalisten"

Die fahnenschwenkende Masse ist Teil dieser Bewegung: Viele hier sind Anfang bis Mitte zwanzig. Einige tragen weiße T-Shirts mit einem blau-roten "Z" oder Cappys mit der Aufschrift "Zemmour 2022", andere sind besonders förmlich gekleidet, so als wollten sie in die Oper und nicht zu einer politischen Veranstaltung. Wieder andere würde man mit ihren übergroßen Jeansjacken und durchlöcherten Hosen eher in einer angesagte Bar vermuten.

Rund 5.000 von ihnen sind an diesem Abend in den Sports Dome nach Paris gekommen. Und auch die Polizei ist mit einem Großaufgebot vor Ort – bei vorherigen Veranstaltungen war es bereits zu Gewalt gekommen.

Die Presse ist nicht bei jedem hier gern gesehen. "Ich rede nicht mit Journalisten", sagen mehrere, die vor dem Eingang auf Einlass warten. Einer, der es doch tut, ist ein junger Mann aus dem Norden Frankreichs, der seinen Namen nicht nennt. Er steht kurz vor Beginn der Veranstaltung in einem Gang, blättert durch Zemmours Programm. "Frankreich ist fast tot und Zemmour ist der Einzige, den das kümmert", sagt er. Was das bedeute, "fast tot"? Die Bevölkerung werde ausgetauscht. Sein eigenes Viertel würde er nicht wiedererkennen, beklagt er, bevor er in die Halle geht.

Er spricht den Kern von Zemmours Programmatik an: "Le Grand Replacement" ("Der Große Austausch"). Diese nicht-wissenschaftliche Theorie des rechtsextremen Publizisten Renaud Camus besagt, dass Eliten die weiße europäische Bevölkerung durch Massenmigration zur Minderheit machen wollen. Auch der Name der Partei – Reconquête heißt Rückeroberung – stammt aus diesem Ideenkosmos.

Eine junge Frau aus der Region Paris hofft hingegen aus anderen Gründen auf Zemmour: Seit Jahrzehnten gehe es mit der Wirtschaft Frankreichs bergab, immer sei Krise, sagt sie. Und sie ist sich ebenfalls sicher: Zemmour sei der Einzige, der das ändern wolle.

In allen Schichten gleichermaßen beliebt

Zemmour, der Heiland. So sehen ihn nicht nur hier viele, seine Worte finden Widerhall in der französischen Gesellschaft. Im Dezember veröffentlichte das Institut Elabe eine Umfrage zu Zemmours Aussagen. Die Antworten werfen ein erschreckendes Licht darauf, wie viele Franzosen ihr Land sehen.

Rund die Hälfte der Befragten gab an, das Gefühl zu haben, nicht mehr in dem Land zu leben, das sie kennen. Der Aussage, die Republik müsse nicht reformiert, sondern gerettet werden, stimmten 51 Prozent zu. Und 49 Prozent waren der Meinung, dass die Einwanderung zwar nicht die Ursache aller Probleme in Frankreich sei, diese aber verschärfe.

Von allen Präsidentschaftskandidaten greift Zemmour dieses Gefühl am deutlichsten auf. Er zeichnet das Bild eines Landes, das kurz vor dem Untergang steht, sieht die französische Kultur kurz vor der Ausrottung.

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Während Le Pen vor allem in der "classe populaire", also der unteren Mittelschicht, ihre Wähler findet, ist Zemmour über die Klassengrenzen hinweg gleichermaßen erfolgreich – er erreicht Handwerker wie auch die reiche Oberschicht. Was sie eint: Das Gefühl, Frankreich sei nicht mehr ihr Land, sowie der unbedingte Wille, eine stilisierte Idee von einem vergangenen, starken und auch "weißeren" Frankreich wiederherzustellen.

Alte Argumente mit radikalem Anstrich

Zemmours Argumente im Wahlkampf sind an sich nicht neu. Doch er trägt sie in einer Radikalität vor, die es so lange nicht gab. Marine Le Pen versuchte in den vergangenen Jahren genau das Gegenteil: Sie hat hart daran gearbeitet, ihrer Partei einen bürgerlicheren Anstrich zu verleihen, um auch für die Mitte wählbar zu sein.

Frühere Le-Pen-Wähler favorisieren nun aber teilweise Reconquête: Le Pen sei zu weich geworden, einige bezeichnen sie gar als zu links. Viele Hardliner, darunter auch Le Pens Vater, mussten die Partei verlassen oder gingen freiwillig.

Besonders für Aufsehen sorgte die Entscheidung von Le Pens Nichte, Marion Maréchal, sich Zemmours Bewegung anzuschließen. Oder auch der Beitritt von Phillipe de Villiers, dem ehemaligen Vorsitzenden einer nationalkonservativen Partei. Sie beide sprechen ebenfalls an diesem Abend, als zwei der vielen Anheizer für Zemmour.

Vorwurf faschistischer Rhetorik

De Villiers benennt dabei explizit die Gegner der Bewegung. Wie die Antifa-Jugend, bei deren Erwähnung die Menge mit Buhrufen antwortet. Oder die Jugend des "Abschaums", die in den Vorstädten Polizeiautos abbrenne, während die Polizisten noch darin säßen. Die Drogen-Jugend, die mit Bergen von Crack deale. Die Dschihadisten-Jugend, die ihre Frauen wie Lastwagen bedecke.

Und zu guter Letzt: Die Emmanuel-McKinsey-Jugend, junge globale Führer von überallher, die alles zerlegen würden, sagt de Villiers und greift damit eine Wortschöpfung auf, die in der Bewegung besonders beliebt ist. Emmanuel ist der Vorname des französischen Präsidenten Macron, McKinsey ist eine Beratungsfirma, mit der er zusammenarbeitete. Erst am Mittwoch wurde bekannt, dass die Finanzstaatsanwaltschaft nun wohl in Zusammenhang mit unüblich hohen Beraterhonoraren wegen Steuerbetrugs ermittle.

Wie sich die Génération Z sieht, macht ein anderer Redner deutlich: "Ihr werdet die Welt verändern", ruft er der Menge zu. "Weil ihr die brennende Notre-Dame beweint habt, weil ihr die LGBTQ-Lobby (wofür die Abkürzung steht, lesen Sie hier) von unseren Schulen verjagen wollt, weil ihr aufsteht, wenn ihr die Marseillaise (französische Nationalhymne) singt."

Es ist dieses "Wir" und "die anderen", das die Programmatik der Partei prägt. "Wir" halten uns an die Gesetze, arbeiten hart, behandeln unsere Frauen gut. Und "die anderen", die tun das eben nicht. Das ist nicht nur zugespitzte Rhetorik – es hat der Partei auch die Kritik eingebracht, sie bediene sich faschistischer Methoden.

Ukraine ist kein Thema

Die harte Wortwahl gefällt nicht jedem der Zuschauer, wie etwa dem 21-jährigen Jean, der seinen Nachnamen nicht nennen will. Ihm gefalle, dass Reconquête explizit das Nationale in den Fokus stelle, die französischen Werte hervorhebe. Andererseits mache er sich Sorgen um die Meinungsfreiheit, sollte Zemmour tatsächlich einmal an die Macht kommen. Ganz sicher sei er sich noch nicht, wen er wählen möchte. Der linkspopulistische Kandidat Jean-Luc Mélenchon sei ebenfalls eine Möglichkeit.

Auch wenn die beiden Kandidaten Zemmour und Mélenchon viel trennt, in einem finden sie dieselbe Rhetorik: Sie wettern gegen die Eliten, sehen das Land einem zunehmenden US-amerikanischen Einfluss ausgesetzt. Zemmour fiel zudem durch eine deutliche Sympathie für Russland und dessen Präsidenten Wladimir Putin auf. Zwar distanzierte er sich nach der russischen Invasion in die Ukraine und verurteilte den Angriff. Der Krieg aber war ihm am Donnerstag keinen Satz wert.

Einfache Antworten auf komplexe Fragen

Dafür punktet er bei Themen, auf die vor allem die linken Parteien keine einfachen Antworten finden – zum Beispiel innere Sicherheit und Kriminalität. Es ist seit Jahren eines der bestimmenden Probleme in Frankreich, das von allen EU-Ländern in den vergangenen Jahren am meisten von islamistischen Anschlägen erschüttert wurde. Hinzu kommen immer wieder aufsehenerregende Gewaltdelikte in den Vororten großer Städte.

Zemmour hat kein Problem damit, einfache Antworten auf komplexe Fragen zu geben: Kein Geld mehr für Migration, Grenzen dicht machen, abschieben, lautet seine Lösung. Wird hingegen der linkspopulistische Mélenchon gefragt, wie kürzlich in einer Debatte zwischen beiden Kandidaten, antwortet der mit sozialwissenschaftlichen Konzepten.

Misstrauen gegen Staat und Medien

Auch der aktuelle Wahlkampf wurde durch ein Verbrechen erschüttert. Ein behinderter jüdischer Mann wurde in dem Pariser Vorort Bobigny von einer Gruppe angegriffen, wurde geschlagen, bis er auf dem Boden lag und dann getreten. In Panik flüchtete er über eine Straße, wo er von einer Straßenbahn erfasst wurde. Die Polizei deklarierte es zunächst als tödlichen Unfall, bis der Vater des Opfers selbst Aufnahmen von Anwohnern besorgte.

Für Zemmour ist es ein klarer Fall: Der Staat habe das Verbrechen verheimlichen wollen, die Medien hätten über die wahren Hintergründe gelogen. Die Polizei hingegen sprach von schwierigen Ermittlungen, weil Bewohner des Viertels große Vorbehalte gegen den Staat hätten und kaum mit Polizisten zusammenarbeiten wollten. Zemmour lässt seine Anhänger an dem Donnerstagabend in Paris eine Schweigeminute abhalten.

Dass andere Parteien Probleme haben, sich auf diesem Feld gegen Zemmour oder Le Pen zu behaupten, liegt auch daran, dass die französische Rechte längst zwei Themen untrennbar miteinander verbunden hat: die Kriminalität und die Migration. Zemmour bezeichnete etwa einmal minderjährige Geflüchtete pauschal als "Diebe, Mörder und Vergewaltiger". Er wurde dafür wegen Volksverhetzung verurteilt – zum dritten Mal.

Angebliche Wahrheiten

Es ist eine der besonderen Stärken Zemmours, negative Stimmungen wahrzunehmen und sie in besonders zugespitzten Worten aufzugreifen. Experten blicken darauf mit großer Sorge.

Auch für seine Rede am Donnerstagabend präsentiert er den jungen Anhängern angebliche Wahrheiten, die diese frenetisch bejubeln. Etwa, dass das heutige Frankreich jungen Menschen aus weniger wohlhabenden Haushalten das Studium verwehre und sie einem "anti-weißen Rassismus" aussetze. Dass von der Jugend verlangt werde, sich selbst zu zensieren. Dass das Bildungssystem mit einer Ideologie durchsetzt sei, die darauf ausgelegt sei, die Jugend zu zerstören, anstatt ihnen beizubringen, ihr Land zu lieben.

Mit der Wahrheit nimmt er selbst es hingegen nicht so genau: So erzählt er immer wieder, dass unter der Präsidentschaft Macrons zwei Millionen Zuwanderer ins Land gekommen seien – eine bewiesenermaßen falsche Behauptung. Doch das scheint viele der Zuschauer am Donnerstagabend nicht zu stören. Nach Ende der Veranstaltung strömen sie aus der Halle, laufen mit wehenden Fahnen die Straßen entlang.

So kurz vor der Wahl sei es an der Zeit, "zu sagen, welches Frankreich wir wollen", hatte Zemmour ihnen kurz zuvor noch gesagt. "Welches Frankreich das Ziel unseres Sieges ist." Die Menge antwortete abermals im Chor: "On va gagner" – "Wir werden gewinnen". Es klang nicht so, als sei damit nur die Wahl gemeint.

Verwendete Quellen
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