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Skandal im Ukraine-Krieg: Die erfundenen Vergewaltigungen


Skandal in der Ukraine
Die erfundenen Vergewaltigungen


Aktualisiert am 28.06.2022Lesedauer: 4 Min.
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Betroffenheit und Leid: In der ukrainischen Bevölkerung zeigt der Krieg vielfältige Spuren, hier am Rande einer Ausstellung in Kiew. Dennoch verbreitete die Menschenrechtsbeauftragte erfundene Horrorgeschichten.Vergrößern des Bildes
Betroffenheit und Leid: In der ukrainischen Bevölkerung zeigt der Krieg vielfältige Spuren, hier am Rande einer Ausstellung in Kiew. Dennoch verbreitete die Menschenrechtsbeauftragte erfundene Horrorgeschichten. (Quelle: imago-images-bilder)

Im Ukraine-Krieg sind Vergewaltigungen grausige Realität. Nun kommt heraus, dass die zuständige Beauftragte des Landes mit erfundenen Fällen Stimmung machte.

Die Ukraine ist nicht nur mit dem Angriffskrieg der Russen konfrontiert. Immer deutlicher zeichnet sich ein Skandal ab, der das Land spaltet. Eine Zeitung deckte auf: Fälle von Vergewaltigungen durch russische Soldaten, von denen die inzwischen gefeuerte Menschenrechtsbeauftragte berichtet hatte, sind offenbar erfunden.

Das heißt nicht, dass russische Besatzer in der Ukraine nicht Frauen, Männer und Jugendliche vergewaltigen. Im Gegenteil: Außerhalb der russischen Propagandanachrichten ist diese Tatsache wenig umstritten. Diverse Medien haben Opfer entsprechender Übergriffe gefunden und gesprochen. Die Ukraine hat bereits erste mutmaßliche Täter identifiziert und angeklagt.

Und doch schilderte die damalige Menschenrechtsbeauftragte im Frühjahr offensichtlich Fälle, die es nie gab. An die Öffentlichkeit gebracht hat diesen Skandal die Journalistin Sonya Lukashova. Sie hat es seitdem alles andere als leicht. Einige Ukrainer diffamieren sie in sozialen Netzwerken als "russische Propagandaschleuder" und "Verräterin" und fragen, wieso der Geheimdienst nichts gegen sie unternehme.

"Fehler einzugestehen unterscheidet uns"

Lukashova hat für die populäre Online-Zeitung "Ukrajinska Prawda" auch bereits über Gräueltaten geständiger russischer Kriegsverbrecher berichtet. Sie hat keine Zweifel daran, dass es diese Verbrechen gibt. Was sie nun schrieb, "könnte dem Staat während des Krieges schwer schaden", räumte Lukashova ein. "Es ist aber wichtig, (...) dass die Ukraine in der Lage ist, Fehler einzugestehen und die Schuldigen zu bestrafen. Und vor allem unterscheidet es uns vom Feind."

Ihre Recherchen machen klar, warum die ukrainische Menschenrechtsbeauftragte Ljudmyla Denissowa Ende Mai vorzeitig aus dem Amt geworfen wurde. Es geht um das Eingeständnis, dass die Ombudsfrau Lukashovas Zeitung, andere Medien weltweit sowie die Vereinten Nationen mit vermeintlichen Fällen von sexualisierter Gewalt durch russische Soldaten getäuscht hat.

So gibt es keine Anzeichen, dass eine 15-Jährige in Irpin tatsächlich mehrere Tage mit den Leichen ihrer Schwester und Mutter eingesperrt war, nachdem beide vor ihren Augen vergewaltigt und ermordet worden waren. Die Behörden konnten auch nicht bestätigen, dass zweijährige Zwillinge im Raum Cherson nach Vergewaltigungen gestorben sind.

Verbreitet hatte diese Fälle die Menschenrechtsbeauftragte Denissowa. Sie wiederum hatte diese Berichte offenbar von der Verantwortlichen für eine neu eingerichtete Hotline für Missbrauchsopfer. Und das war Denissowas Tochter, Aleksandra Kvitko. Inzwischen gibt es diese Hotline nicht mehr, und es ist klar, dass Kvitko nicht die Wahrheit über die Anrufe gesagt hat.

Bestätigte Fälle und hohe Dunkelziffer

Sexualisierte Gewalt wird in Kriegsgebieten weltweit eingesetzt, um den Feind zusätzlich zu demütigen. Im UN-Sicherheitsrat erklärte Pramila Patten, die UN-Sonderbeauftragte für sexuelle Gewalt bei Konflikten, dass den Vereinten Nationen bei einer Mission in der Ukraine bis zum 3. Juni 124 Verdachtsfälle bekannt wurden. Die "Washington Post" berichtete, einige davon seien bereits auf Plausibilität überprüft und bestätigt worden. Viele Taten werden russischen Soldaten zugeschrieben, einige aber auch ukrainischen. Die Dunkelziffer ist hoch. Opfer seien häufig nicht in der Lage oder nicht bereit, sich bei den Strafverfolgungsbehörden zu melden, erklärte Patten.

Das war auch ein Argument Ljudmyla Denissowas, als erste Zweifel an ihren Schilderungen aufkamen. Sie könne ja nicht überprüfen, was Opfer anonym am Telefon erzählten, verteidigte sich die 61-Jährige. Denissowa hatte die Hotline im März eingerichtet, also kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieges.

Der Fall könnte auch unangenehm für das Kinderhilfswerk Unicef werden. Denn die UN-Organisation war Kooperationspartnerin für das Sorgentelefon – und beschäftigte somit auch die Tochter von Denissowa. Die wiederum sagte bei Vernehmungen, sie habe ihrer Mutter "beim Tee" erzählt, was sie am Telefon so zu hören bekomme. Die vermeintlichen Tatsachen gab die Menschenrechtsbeauftragte dann wohl ohne Überprüfung weiter.

Kritik an Denissowas Schilderungen gab es von Fachfrauen und Journalistinnen aus der Ukraine bereits zu einem frühen Zeitpunkt. Zu drastisch, zu detailliert sei das, was sie an die Öffentlichkeit trage. Und vor allem: nicht belegt.

"Ich habe übertrieben"

Denissowa räumte schließlich ein, sie habe übertrieben. Sie habe versucht, die Welt davon zu überzeugen, Waffen bereitzustellen und Druck auf Russland auszuüben. Für diese Mission war sie in Italien und auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Sie sei dort unabgestimmt hingereist, hieß es aus der Ukraine. Auch das war wohl ein Grund, warum ihre Absetzung zum 31. Mai beschlossen wurde.

Journalistin Lukashova liefert jetzt einen möglichen weiteren Grund: "Falsche Geschichten werden dem Feind nur in die Hände spielen." Ihre Recherche macht deutlich, wie sehr vonseiten Denissowas und ihrer Tochter Kvitko übertrieben wurde. Von 1.040 Anrufen bei der Hotline in anderthalb Monaten war die Rede, 450 hätten allein Vergewaltigungen von Kindern betroffen. Laut Staatsanwaltschaft sind in dem Zeitraum tatsächlich insgesamt nur 92 Anrufe eingegangen, berichtet "Ukrajinska Prawda".

Aleksandra Kvitko konnte laut der Zeitung auch nicht sagen, an welche Ärzte sie Opfer verwiesen hat. Es ist auch unklar, ob tatsächlich fünf Psychologen dort arbeiteten. Sie und ihre Mutter wollten sich auf Anfrage der Journalistin nicht äußern, Kvitko hat inzwischen auch ihr Facebook-Profil dichtgemacht.

Die Journalistin Lukashova spekuliert, es könne auch einen anderen Grund als Patriotismus gegeben haben, mit den Schilderungen derart zu übertreiben. Denissowa habe Unicef mehrfach dazu gedrängt, mehr Geld für die Arbeit der Hotline zu zahlen. Wie viel dafür tatsächlich seitens des Kinderhilfswerks geflossen ist, ist bisher unklar. t-online hat Unicef dazu angefragt.

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