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Ukraine-Krieg: Russische Kriegsblogger sollen Putin von "Chaos" berichtet haben


Bei Treffen im Juni
Kriegsblogger sollen Putin von Chaos an der Front berichtet haben


Aktualisiert am 13.07.2022Lesedauer: 3 Min.
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Kremlchef Putin: "Langes und sehr offenes Gespräch".Vergrößern des Bildes
Kremlchef Putin: "Langes und sehr offenes Gespräch". (Quelle: imago-images-bilder)

Auf Telegram schreiben russische Kriegsblogger unzensiert über den Krieg gegen die Ukraine. Das passt der Armeeführung offenbar gar nicht.

Wer sich in Russland einen realistischen Eindruck vom Kriegsgeschehen in der Ukraine verschaffen will, landet häufig auf Telegram. Anders als Presse und Fernsehen untersteht der 2013 gegründete Messengerdienst nicht der Zensur des Kremls. Telegram-Gründer Pawel Durow geriet schon früher mit der Regierung in Konflikt und ging 2014 ins Exil. Seit dem Überfall auf die Ukraine nutzen viele russische Kriegsblogger, Journalisten und Soldaten die Plattform, um offen von der Front zu berichten – oft für Hunderttausende von Abonnenten. Das geht Präsident Wladimir Putin offenbar zunehmend gegen den Strich.

So berichtet Blogger "Rybar", dem auf Telegram mehr als 626.000 Nutzer folgen, von Bemühungen der Armeeführung, die offene Berichterstattung von der Front unter Kontrolle zu bringen. Schon Ende Mai habe ein Berater des Verteidigungsministers, Andrey Ilnitsky, eine stärkere Selbstzensur von den Bloggern verlangt; diese sollten ausschließlich von einem "ideologischen Standpunkt" aus über den Krieg berichten, ohne über eigene oder ukrainische Angriffe zu berichten.

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Russischer Kriegsblogger berichtet von schwarzen Listen

"Jetzt bereiten sie sich darauf vor, die Schrauben noch fester anzuziehen", schreibt "Rybar". "Journalisten werden überprüft und in vertrauenswürdig und nicht vertrauenswürdig eingeteilt, Telegram-Nutzer und Blogger werden zwangsweise deanonymisiert und zur Rechenschaft gezogen. Im besten Fall übernehmen sie die Kontrolle über den Kanal, im schlimmsten Fall, nun ja, Sie werden sehen." Es seien Listen erstellt worden, mit Personen, die Informationen erhalten dürften und solchen, die keine erhalten dürften.

Verschärft habe sich die Situation nach einem Treffen mehrerer Kriegsblogger mit Wladimir Putin am 17. Juni in Sankt Petersburg, berichtet "Rybar". Zwei prominente Kriegsberichterstatter hätten dem Kremlchef dabei von "Chaos" an der Front berichtet. Das habe die Verantwortlichen im Verteidigungsministerium alarmiert, die normalerweise den Informationsfluss an Putin kontrollieren. Seither würden die Beamten die Kriegsblogger nicht länger als "schlecht kontrolliertes Problem" betrachten – sondern als Bedrohung, so "Rybar".

Massive Kritik an der russischen Armee

Dass es das Treffen der Blogger mit Putin gab, wird von anderen Quellen bestätigt. Kremlsprecher Dmitri Peskow kündigte das Treffen schon am 12. Juni an, und am 20. Juni sprach Kreml-Propagandistin Margarita Simonjan in ihrem Telegram-Kanal von einem "langen und sehr offenen Gespräch" Putins mit Kriegsreportern. US-Fachleute vom renommierten Institute for the Study of War (ISW) gehen davon aus, dass Putin mit dem Treffen die wachsende Unzufriedenheit unter den Bloggern abfangen wollte.

Die ließ sich spätestens nach dem Desaster am Siwerskyj Donez wohl nicht länger ignorieren. Mitte Mai starteten russische Einheiten den Versuch, den Fluss im Osten der Ukraine zu überqueren und erlitten dabei durch wiederholte ukrainische Angriffe starke Verluste. Fachleute zählten auf Satellitenbildern später mehr als 80 zerstörte russische Fahrzeuge, mutmaßlich starben Hunderte russischer Soldaten. Auf Telegram äußerten Kriegsblogger anschließend massive Kritik an den Verantwortlichen in der russischen Armee.

Zensurmöglichkeiten des Kreml offenbar begrenzt

Vom Versuch verstärkter Einflussnahme auf die Kriegsblogger berichtete vorige Woche auch Daniil Bezsonow, Informationsminister der selbst ernannten "Volksrepublik Donezk" und selbst Kriegsblogger. Auf Telegram schrieb Bezsonow, dass "gesichtslose Experten" eine Zensur seiner Frontberichte forderten. Offizielle Kriegsreporter unterstünden laut Bezsonow ohnehin der Zensur: So dürften diese keine Positionen russischer Einheiten nennen oder Gesichter von Soldaten zeigen; andernfalls werde ihnen die Erlaubnis zur Berichterstattung entzogen.

Das US-Institut ISW hält die Möglichkeiten des Kreml zur Zensur der Kriegsblogger allerdings für begrenzt. Moskau habe sich bislang unfähig gezeigt, das Unternehmen zur Löschung bestimmter Kanäle oder Inhalte zu zwingen; so bliebe den Behörden nur die Möglichkeit, einzelne Blogger mit "legalen oder extralegalen" Mitteln einzuschüchtern und von der Publikation abzuhalten. Ein solches Vorgehen sei aber auch für den Kreml riskant.

Bericht: 57 Prozent der Russen für Fortsetzung des Krieges

"Sowohl die Kriegsblogger als auch die offiziellen Korrespondenten sind explizit für den Krieg, häufig extrem nationalistisch eingestellt und erreichen mit ihren Beiträgen vornehmlich ein Publikum aus ergebenen Putin-Anhängern", heißt es in einem Bericht des ISW. "Sie zu bedrohen oder mundtot zu machen, könnte für Putin nach hinten losgehen. Die Blogger durch Druck zu stärkerer Selbstzensur anzuhalten, könnte der Versuch sein, dieses Risiko zu umgehen".

Kriegsmüdigkeit scheint sich in der russischen Gesellschaft aber nicht zu verbreiten. So berichtet das investigative russische Portal "Meduza" von einer Umfrage im Auftrag des Kreml, in der sich 57 Prozent der Befragten für eine Fortsetzung des Krieges ausgesprochen hätten. Allerdings habe die Regierung die Ergebnisse zurückgehalten, weil sich 30 Prozent der Befragten für ein sofortiges Ende der "Feindseligkeiten in der Ukraine" ausgesprochen hätten.

Verwendete Quellen
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