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Ukraine-Krieg | Russland-Experte über Kremlchef: "Putins Macht schwindet"


Krieg gegen die Ukraine
Russland-Experte: "Putins Macht schwindet"


Aktualisiert am 26.07.2022Lesedauer: 4 Min.
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Kremlchef Wladimir Putin: "Ein guter Spieler weiß, wann es Zeit ist, auszusteigen."Vergrößern des Bildes
Kremlchef Wladimir Putin: "Ein guter Spieler weiß, wann es Zeit ist, auszusteigen." (Quelle: Alexey Maishev/dpa)

Kaum jemand kennt Russland und die Ukraine so gut wie Timothy Snyder. Jetzt äußert sich der US-Historiker zur Situation von Kremlchef Putin.

Fünf Monate nach dem Überfall auf die Ukraine sieht der US-Historiker Timothy Snyder deutliche Anzeichen für einen Machtverfall im Kreml. "Putins Macht schwindet", schreibt der Experte für osteuropäische Geschichte in einem längeren Beitrag auf Twitter, der hier in Auszügen aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt wurde.

So deutet Snyder die jüngsten Äußerungen hochrangiger Politiker wie die des früheren Präsidenten Dmitri Medwedew oder des Tschetschenenführers Ramsan Kadyrow als Beginn eines Machtkampfes für die Zeit nach Putin. "Neuerdings äußern sich regelmäßig andere Leute als Putin über die Bedeutung des Krieges und welche schlimmen Konsequenzen der Ukraine und dem Westen drohen", schreibt Snyder. "Das ist ein Zeichen, dass Putin die Kontrolle verliert. Vor dem Krieg fühlte sich selten jemand ermächtigt, solche Ansagen zu machen."

Was bezweckt Medwedew mit seiner Rhetorik?

Dmitri Medwedew war von 2005 bis 2008 Ministerpräsident unter Putin und von 2008 bis 2012 russischer Präsident. In Wahrheit behielt Putin wohl auch in diesen Jahren die Macht, die russische Verfassung sah damals aber nur zwei Amtszeiten für einen Präsidenten vor. Von 2012 bis 2020 war Medwedew dann wieder Ministerpräsident sowie Chef der Kremlpartei "Einiges Russland".

In den vergangenen Wochen äußerte der 57-Jährige auf seinem Telegram-Kanal immer radikalere Drohungen gegen die Ukraine und den Westen. Nach Ansicht von Timothy Snyder bereitet sich Medwedew mit dieser "Weltuntergangspropaganda" auf die Zeit nach Putin vor.

"Auf den ersten Blick wirkt diese Rhetorik wie Loyalität zu Putin", analysiert Snyder. "Denn solange Russland verliert, besteht die größte Hoffnung des Kreml darin, den Westen von der Unbesiegbarkeit Russlands zu überzeugen." Wer sich jetzt besonders radikal äußere, müsse sich nach einer Niederlage nicht vorwerfen lassen, zu früh aufgegeben zu haben.

"Ich glaube nicht, dass Medwedew selbst an seine Hetzreden gegen Juden, Polen und den Westen glaubt", schreibt Timothy Snyder. "Er erzeugt ein Profil von sich, das ihm später noch nutzen könnte, so wie ihm früher sein Image als Beamter half." Medwedews drastische Äußerungen seien ein Hinweis darauf, "dass wichtige Russen glauben, dass Russland den Krieg verliert".

Plant Kadyrow schon die Unabhängigkeit Tschetscheniens?

Solche Hinweise erkennt Snyder auch im Verhalten von Tschetschenenführer Ramsan Kadyrow. Dessen Kämpfer, die nach ihm benannten Kadyrowiten, hätten es geschafft, ihre Verluste in der Ukraine gering zu halten. "Aus Kadyrows Sicht ist das nur sinnvoll: So stehen sie ihm für einen späteren Machtkampf zur Verfügung."

Das sei auch das Kalkül hinter Kadyrows jüngster Forderung nach Luftabwehrsystemen für Tschetschenien. "Als Grund nennt Kadyrow einen möglichen ukrainischen Angriff auf sein Territorium, aber das ist unglaubwürdig. Es klingt eher wie Vorbereitung auf die Zeit nach Putin, in der sich Tschetschenien für unabhängig erklären könnte."

Die größte Gefahr für Putins Macht sieht Snyder in der Schwäche des Militärs. "Die Armee ist eine wichtige Stütze für Putin, der Mythos ihrer Unbesiegbarkeit ein wichtiger Teil seiner Propaganda." In der Ukraine würde die Armee aber so hohe Verluste an Menschen und Material erleiden, dass sie ihre anderen Aufgaben nicht mehr erfüllen könne und als Institution bedroht sei, so Snyder: "Putin kann eine schwache Armee überleben, aber irgendwann wirkt eine schwache Armee auch nicht mehr stark." Eine Armee, die im Iran Kampfdrohnen besorgen müsse, sei keine Armee von Weltklasse.

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Snyder: Putin hat sich in eine Falle manövriert

Aus der Schwäche des Militärs erwächst nach Ansicht von Snyder auch Putins nächstes Problem: "Der russische Staat kann die Menschen zwar emotional für den Krieg mobilisieren, aber nicht körperlich." So schrecke Putin vor einer Generalmobilmachung zurück aus Sorge, dass der Schritt seine Beliebtheit im Volk untergraben und sein Regime zu Fall bringen könnte.

Stattdessen müssten die Teilrepubliken der Russischen Föderation jetzt hochbezahlte "Freiwillige" aufstellen, die nach kurzem Training zum Sterben in die Ukraine geschickt würden. "Putin hat die Unterstützung des Volkes nur, solange der Krieg eine Show im Fernsehen ist."

Die aggressive Rhetorik russischer Politiker wie Medwedew und Kadyrow sei daher kein Ausdruck nationaler Einigkeit über den Krieg, sondern verdecke vielmehr das Fehlen eben dieser Einigkeit: "So lange sich alle an die nationalistische Rhetorik halten, bleibt das Gleichgewicht von Putins Macht erhalten. Es läuft aber darauf hinaus, dass alle den anderen etwas vormachen."

Tatsächlich befinde sich Putin längst in der Falle zwischen seinen Rivalen, der Öffentlichkeit und der Armee, so Snyder: "Sie geben Putin nach außen hin recht und sagen, wir gewinnen den Krieg. Aber wenn der Krieg verloren geht, werden sie die ganze Schuld bei Putin abladen." Dieser Falle könne Putin nur entkommen, indem er einen Sieg verkündet.

"Putin wettet wie immer darauf, dass dem Westen die Sanktionen eher wehtun als ihm. In der Vergangenheit hat sich Putin als geschickter Spieler erwiesen. Ein guter Spieler weiß aber auch, wann Zeit ist, aus dem Spiel auszusteigen."

Verwendete Quellen
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