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Alfredo Cospito: Der Anarchist, der Giorgia Meloni unter Druck setzt


Giorgia Meloni unter Druck
Was passiert, wenn er sich zu Tode hungert?

Von Tobias Eßer

23.02.2023Lesedauer: 5 Min.
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Der gefangene Anarchist Alfredo Cospito (links): Sein Hungerstreik setzt Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (rechts) unter Druck.Vergrößern des Bildes
Der gefangene Anarchist Alfredo Cospito (links): Sein Hungerstreik setzt Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (rechts) unter Druck. (Quelle: Screenshot / Twitter, Florian Gaertner / Kontributor, Montage: Uf / t-online)

Alfredo Cospito sitzt lebenslänglich in einem italienischen Gefängnis. Im Oktober trat er in den Hungerstreik. Die Regierungschefin Giorgia Meloni sitzt deshalb in einer Zwickmühle.

Isolation, Überwachung der Post und aller Gespräche, kein Kontakt zu Familienmitgliedern – und das alles in einer 3,75 Quadratmeter großen Zelle. 22 Stunden pro Tag müssen die Gefangenen dort verbringen: Die Haftbedingungen von Inhaftierten unter dem Artikel "41-bis" des italienischen Strafvollzugsgesetzes sind brutal. Eigentlich sind sie für hochrangige Mafia-Größen vorgesehen. So soll verhindert werden, dass sie aus dem Gefängnis ihre kriminellen Geschäfte fortführen.

Doch auch der Anarchist Alfredo Cospito sitzt unter diesen Auflagen im Gefängnis. Inhaftiert wurde er im Jahr 2014, seit Mai 2022 ist er Gefangener unter den Bedingungen des Artikels "41-bis". Im vergangenen Oktober trat er in einen Hungerstreik, der mittlerweile 120 Tage dauert. 50 Kilogramm hat der 1967 geborene Cospito mittlerweile verloren, seinen Anwälten zufolge gehe es ihm mittlerweile äußerst schlecht.

Der Streik setzt die Regierung der postfaschistischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni unter Druck. Natürlich will der Staat nicht riskieren, dass sich ein Häftling in seiner Obhut zu Tode hungert. Andererseits gilt Cospito in Italien als Terrorist – und mit denen will die Regierung von Giorgia Meloni nicht verhandeln. Keine einfache Situation – denn der ganze Fall Alfredo Cospito hat Sprengpotenzial, das die Regierung beschädigen oder sogar zerstören könnte.

Cospito schoss einem Manager mehrfach ins Knie

Warum aber gilt der inhaftierte Anarchist als Terrorist? 2012 schoss er Roberto Adinolfi, Chef des Atomkonzerns Ansaldo Nucleare, dreimal ins Knie. Das Verbrechen hat der Anarchist gestanden, er wurde deshalb zu zehn Jahren und acht Monaten im Gefängnis verurteilt.

Außerdem wird Cospito beschuldigt, im Jahr 2006 zwei Paketbomben vor einer Rekrutenschule der Carabinieri zur Explosion gebracht zu haben. Diese Tat hatte er bestritten, sie konnte ihm nicht eindeutig nachgewiesen werden. Trotzdem wurde er dafür zunächst zu 20 Jahren im Gefängnis verurteilt.

Gericht wertet Verbrechen als "Anschlag gegen den Staat"

Der Kassationsgerichtshof, das höchste italienische Gericht, wertete im Frühjahr 2022 den Bombenanschlag als "Anschlag gegen die Sicherheit des Staates". Das Strafmaß ist drastisch: lebenslange Haft ohne Chance auf vorzeitige Entlassung. Als Reaktion auf das Urteil unterschrieb die ehemalige Justizministerin Marta Cartabia ein Dekret, mit dem Cospito unter den Bedingungen des Artikels "41-bis" inhaftiert wird. Ein Präzedenzfall, denn eigentlich betrifft der umstrittene Artikel nur Mafiagrößen.

Begründet wurden die Zwangsmaßnahmen damit, dass Cospito der Chefideologe und aus dem Gefängnis heraus agierende Anführer der anarchistischen Gruppierung Federazione Anarchica Italiana / Fronte Rivoluzionario Internazionale (FAI/FRI) sei – was die Gruppe umgehend dementierte.

Cospito selbst wehrt sich gegen den Versuch, ihn nicht nur lebenslang wegzusperren, sondern auch zum Schweigen zu bringen: "Als man sah, dass ich vom Gefängnis aus weiter für die anarchistische Presse arbeitete, beschloss man, mir mit der Anwendung des Artikels '41-bis' für immer das Maul zu stopfen", erklärte er Anfang Dezember in einem Brief, der aus dem Gefängnis herausgeschmuggelt werden konnte.

Internationale Solidarität mit Alfredo Cospito

Nicht nur in Italien, sondern in vielen weiteren Ländern solidarisieren sich anarchistische Gruppen mit Cospito – und verursachten weitere Anschläge. Am 29. Januar ging das Auto eines italienischen Diplomaten in Berlin in Flammen auf. In Barcelona schlugen Unbekannte eine Scheibe des italienischen Generalkonsulats ein. Auch die italienischen Konsulate in Bolivien und Griechenland wurden angegriffen und in Solidarität mit Cospito mit Graffiti beschrieben. Demonstrationen gegen seine Haftbedingungen gab es in der Schweiz, in Chile, den USA und vielen weiteren Ländern.

Die internationale Solidarität mit Cospito setzt die italienische Regierung unter Druck. Giorgia Meloni und ihr Kabinett erklären allerdings immer wieder, eine Hafterleichterung Cospitos abzulehnen: "Ich habe mich über den Gesundheitszustand des Häftlings Cospito informiert und seine Verlegung in eine Justizvollzugsanstalt in Mailand angeordnet", hieß es Ende Januar aus dem Büro des Justizministers Carlo Nordio. Cospitos Haftbedingungen unter dem Artikel "41-bis" würden allerdings nicht erleichtert.

Gründe dafür nennt Italiens Innenminister Matteo Piantedosi. "Das Unterstützungsnetzwerk des Häftlings schreckt nicht vor Vandalismus, Brandstiftungen und Demonstrationen zurück", erklärt er in einer Pressemitteilung. "Die große Aufmerksamkeit um seine Person ist ein Grund für die Anwendung des Artikels '41-bis'", hieß es vom Innenminister im vergangenen Januar.

In Melonis Regierung herrscht Unsicherheit

Was klingt wie die entschlossenen Ansagen eines starken Staates, löst in der italienischen Regierung Unsicherheit aus. Giovanni Donzelli von der regierenden postfaschistischen Partei Fratelli d'Italia und Vizechef des Geheimdienstausschusses plauderte in einer Parlamentssitzung sensible Informationen aus eigentlich geheimen Abhörprotokollen aus.

Die Staatsanwaltschaft hat deswegen Ermittlungen wegen des Verdachts auf Geheimnisverrat eingeleitet. Die sozialdemokratische Oppositionspartei Partito Democratico forderte Donzelli deshalb zum Rücktritt auf. Der Postfaschist unterstellte den Sozialdemokraten daraufhin eine Nähe zu Cospito und der Mafia, da vier Abgeordnete den Anarchisten im Gefängnis besucht hätten – ein Standardbesuch, um den Gesundheitszustand des sich im Hungerstreik befindenden Gefangenen zu überprüfen.

Juristisch ist Italien in einer heiklen Situation

Auch nach 120 Tagen im Hungerstreik will Alfredo Cospito nicht aufgeben, erzählt Daniela De Robert der "Tagesschau". Sie gehört dem staatlichen Aufsichtsgremium für die Rechte von Häftlingen an und darf den Anarchisten im Gefängnis besuchen. Cospito wolle nicht künstlich ernährt werden, sagt De Robert.

Das könnte für den italienischen Staat zum Problem werden, sollte der Inhaftierte das Bewusstsein verlieren. Denn laut Artikel 32 der italienischen Verfassung hat der Staat den Auftrag, "die Gesundheit als Grundrecht des Einzelnen" zu schützen. Demnach darf niemand gezwungen werden, sich einer medizinischen Behandlung zu unterziehen, zu der auch die Zwangsernährung gehört.

Nach geltendem Recht habe Alfredo Cospito deshalb auch das Recht, sich selbst durch seinen Hungerstreik zur Bewusstlosigkeit zu bringen oder sich sogar zu töten, analysiert der Jurist Massimo Greco für das italienische Onlineportal "altalex.com". Der Staat kann quasi nichts tun, um den Hungerstreik des inhaftierten Anarchisten zu verhindern.

Staat will sich nicht erpressbar machen

Sollte der Staat sich allerdings dazu entschließen, die Haftbedingungen nach dem Artikel "41-bis" aufzuheben, würde er sich erpressbar machen, schreibt Greco. Das könne zu Nachahmungen weiterer Häftlinge führen, die ebenfalls zu diesen Bedingungen inhaftiert sind – immerhin mehr als 700 Menschen, die mehrheitlich einen Mafia-Hintergrund haben.

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Und dann gibt es noch die Möglichkeit, dass Cospito in staatlicher Obhut stirbt. Für diesen Fall haben anarchistische Gruppen in Italien und dem europäischen Ausland zu "Tagen des Zorns" ausgerufen. Der inhaftierte Anarchist könnte so zum Märtyrer einer Bewegung werden, die zumindest in europäischen Ländern wie Italien, Spanien und Griechenland ein enormes Zerstörungspotenzial hat. Giorgia Meloni und ihrer Regierung dürfte es vor dem Tag grauen, an dem Anarchistinnen und Anarchisten mit Molotowcocktails und Schlagwaffen ihrer Wut über den möglichen Tod von Alfredo Cospito Ausdruck verleihen.

Ein Dilemma für die Regierung

Der Fall ist also ein absolutes Dilemma für die Regierung von Giorgia Meloni. Wie der Staat auch handelt, er kann eigentlich nur verlieren. Beobachterinnen und Beobachter schauen deshalb mit Spannung nach Rom, wo der Kassationsgerichtshof an diesem Freitag über die Berufung der Anwälte Cospitos entscheidet. Möglicherweise wird seine Haft nach der Entscheidung nicht mehr unter den Bedingungen des Artikels "41-bis" fortgeführt. Das gilt verschiedenen Quellen zufolge allerdings als unwahrscheinlich.

Eigentlich hätte die Berufungsverhandlung erst am 7. März stattfinden sollen, wurde jedoch aufgrund der körperlichen Verfassung des Anarchisten vorgezogen.

Bis zur Entscheidung des Kassationsgerichtshof hat Cospito seinen Hungerstreik zwar nicht beendet, er nimmt aber zumindest Nahrungsergänzungsmittel zu sich. Laut Informationen der Nachrichtenagentur Agi soll er allerdings angekündigt haben, diese Mittel bei einer negativen Entscheidung zu seinen Haftbedingungen wieder auszusetzen – so hält ein einziger Anarchist den italienischen Staat auch weiterhin in Atem.

Verwendete Quellen
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