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Belarus | Alexander Lukaschenko: So abhängig ist er von Putin


Scheinwahlen in Belarus
"Es findet eine systematische Russifizierung statt"


Aktualisiert am 27.02.2024Lesedauer: 5 Min.
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Russlands Präsident Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko, Präsident von Belarus (Archivbild): Die beiden Autokraten schmieden gemeinsame Pläne.Vergrößern des Bildes
Russlands Präsident Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko, Machthaber von Belarus (Archivbild): Die beiden Autokraten schmieden gemeinsame Pläne. (Quelle: SPUTNIK/reuters)

Erstmals seit den Protesten 2020 stehen in Belarus wieder Wahlen an – Scheinwahlen, um genau zu sein. Doch wie viel Macht hat Diktator Lukaschenko noch?

Sie sollen durch die Straßen patrouillieren und jegliche Kritik an ihm im Keim ersticken: Belarus' Machthaber Alexander Lukaschenko hat in dieser Woche bewaffnete Straßenpatrouillen für sein Land angeordnet. "Patrouillen müssen mit Kleinwaffen bewaffnet sein, mindestens mit Pistolen", sagte er am Dienstag – nur wenige Tage vor Beginn der Parlamentswahlen in Belarus.

Unter Beobachtern gelten die Wahlen als Scheinwahlen. Es sind die ersten, seitdem Lukaschenko nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2020 landesweite Massenproteste der belarussischen Bevölkerung niederschlagen ließ. "Lukaschenko hat damals in den Abgrund seiner Entmachtung geblickt", sagt Jakob Wöllenstein, Politikwissenschaftler und Belarus-Experte der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). "Für ihn war diese Wahl ein Trauma." Zehntausende Belarussen gingen damals im ganzen Land auf die Straße, um gegen Lukaschenko zu protestieren. Es gilt als sicher, dass er die Wahl manipulierte und sich so erneut zum Präsidenten ernannte.

Dem Widerwillen des Volkes zum Trotz befindet sich Lukaschenko auch heute noch an der Spitze des Landes – und hat nicht vor, das zu ändern. Für seinen Machterhalt ist er sogar bereit, sein Land der Ideologie und dem Kriegstreiben des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu unterwerfen.

"Er wusste, Putin würde ihn stützen"

"Es ist nicht so, dass Russland da durchruft und Lukaschenko dann über jedes Stöckchen springt", sagt Wöllenstein. Doch der belarussische Herrscher hat sich und sein Land seit den pro-demokratischen Protesten 2020 mehr und mehr in die Hände von Putin begeben. "Er wusste, Putin würde ihn als autoritären Herrscher stützen", so Wöllenstein. Auch bei den kommenden Scheinwahlen will er sich seine Macht erneut sichern. Den Anfang bilden die Parlaments- und Kommunalwahlen an diesem Sonntag.

Im Frühjahr sollen dann 1.200 Delegierte in die neu gegründete sogenannte "Allbelarusische Volksversammlung" einberufen werden. Lukaschenkos Plan, so Wöllenstein, sieht vor, dass er den Vorsitz der Volksversammlung einnimmt. Als dieser könne er einen künftigen Präsidenten dann einsetzen, kontrollieren und nach Belieben auch wieder absetzen. "So sichert er sich innenpolitisch seine Macht", sagt Wöllenstein.

Doch um sicherzugehen, dass sich Proteste, wie sie 2020 stattfanden, nicht wiederholen, hat Lukaschenko vorgesorgt: "Er hat eine Atmosphäre der Angst geschaffen", sagt Wöllenstein. Neben den bewaffneten Straßenpatrouillen habe Lukaschenko etwa auch die Armee und die Luftwaffe in Alarmbereitschaft versetzt. "Zudem muss man sagen, dass diese Wahlen durch und durch manipuliert sind", betont der Experte. So wurde erstmals kein einziger Oppositionskandidat zugelassen. Kandidaten, die Lukaschenko gefährlich werden könnten, hat er inhaftieren, teils unter unklaren Umständen verschwinden lassen.

"Exporte gehen inzwischen fast nur noch durch Russland"

Doch auch Lukaschenko hat für seinen Machterhalt einen Preis zu zahlen – und er zahlt mit der Souveränität seines Landes. Am 24. Februar 2022 stellte er Putin sein Territorium zur Verfügung, um von dort die russische Invasion in die Ukraine zu starten. Für Tausende Söldner der russischen Wagner-Gruppe ließ er im vergangenen Jahr ein Zeltlager nahe der belarussischen Hauptstadt Minsk errichten und seit Oktober vorigen Jahres will Russland in Belarus auch taktische Atomwaffen stationiert haben. Wie viele es sein sollen, ist unklar. Für seine Unterstützung des russischen Angriffskrieges durch das Regime belegte die EU auch Belarus mit Sanktionen.

"Spätestens damit sind für Lukaschenko alle Möglichkeiten weggebrochen, sich zumindest wirtschaftlich nach Westen hinzuorientieren", so Wöllenstein. Die Folge: Die Wirtschaft von Belarus ist nun einseitig nach Russland ausgerichtet, das Land ist damit noch abhängiger von Putin als zuvor. Sind Exportgüter zuvor etwa über Litauen oder den Hafen der ukrainischen Stadt Odessa transportiert worden, so müssen diese wegen des Krieges nun durch Russland exportiert werden. "Die Exporte von Belarus gehen inzwischen fast nur noch durch Russland", so der Experte.

Auch in Kultur und in Bildung greift der russische Einfluss: "Es findet eine systematische Russifizierung statt", so Wöllenstein. Zu sehen sei das etwa daran, dass die belarussische Sprache zurückgedrängt werde. Im vergangenen Jahr zeigte sich das daran, dass die 'Latinka' abgeschafft wurde – eine Umschrift der belarussischen Sprache mit lateinischem Alphabet.

Auch würde die Geschichte umgeschrieben und belarussische Helden, etwa aus den Aufständen gegen die russische Zarenherrschaft im 19. Jahrhundert, würden nun zu "anti-belarussischen Figuren" erklärt. In der Schule würden Kinder nun Geschichte auf Grundlage russischer Propaganda lernen. "Sogar ein gemeinsames Geschichtsbuch mit Russland ist angekündigt", sagt Wöllenstein. Wann das erscheinen soll, ist allerdings unklar.

"Das hat Lukaschenko schnell verstanden"

Während Putin in Belarus auf kultureller und wirtschaftlicher Ebene mehr und mehr Einfluss nimmt, überlässt er Lukaschenko, was die Repressionen in dessen Land angeht, hingegen freie Hand. "Diese Gewalt prägt Lukaschenkos Machtsystem seit Langem", so Wöllenstein. So habe Lukaschenko seit Beginn seiner Amtszeit 1994 etwa zwar seine Armee rückgebaut und damit dem Westen versucht zu signalisieren, dass er sich für Frieden in Europa einsetze. Gleichzeitig aber habe er seine Polizei und Sicherheitskräfte hochgerüstet, die er im Inland einsetzt.

"Für Lukaschenkos Herrschaft geht die größte Bedrohung vom eigenen Volk aus", so Wöllenstein, "das hat er schnell verstanden." Spätestens nach den Protesten 2020 zerstörte er die Medienlandschaft vollständig, machte die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen unmöglich, verbot Parteien und führte Organisationen zu seinen Gunsten ein. "Es gibt Beobachter, die sagen, dass Russland sich die Repressionen bei Belarus abschaut", sagt Wöllenstein. Lukaschenkos Geheimdienste bedienten sich, so der Experte, zwar grundsätzlich "aus der Mottenkiste der Sowjetzeit", doch legen sie bei ihren Methoden durchaus auch immer wieder eigene "Kreativität" an den Tag. Was Erfolg zeige, werde dann in Russland umgesetzt.

Die Zahl der politischen Gefangenen in Belarus übersteigt Russland relativ gesehen zudem. Am Freitag zählte die Menschenrechtsorganisation Viasna offiziell 1.420 politische Gefangene in Belarus' Gefängnissen. Immer wieder dringen aus den Zellen zudem Berichte von Folter und Demütigungen. In den zurückliegenden neun Monaten starben unter diesen Bedingungen offiziell vier Menschen, so etwa der politische Gefangene Ihar Lednik. Sein Tod wurde drei Tage nach dem Tod des Kremlgegners Alexej Nawalny bekannt gegeben, der in russischer Gefangenschaft starb. Mehr dazu lesen Sie hier. Weitere Kritiker, wie die inhaftierte Oppositionsführerin Maria Kolesnikowa, gelten seit Monaten als vermisst.

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Gemeinsame Verfolgung von Gegnern?

Künftig wollen die Machthaber auch bei der Repression von politischen Gegnern stärker zusammenarbeiten: Wie die staatliche belarussische Nachrichtenagentur Belta Anfang des Monats berichtete, planen die beiden Länder, ihre Liste von "Extremisten" zu synchronisieren. In diesen werden sowohl in Belarus als auch in Russland Oppositionelle, Regimegegner und Menschen geführt, die etwa der LGBTQ-Community angehören oder die Ukraine unterstützen.

Für Belarus hätte die Synchronisierung einen entscheidenden Vorteil: Wöllenstein weist darauf hin, dass immer wieder Oppositionelle über die Grenze nach Russland flüchten. Dort seien sie nicht erfasst und könnten so ungehindert etwa weiter nach Georgien. Doch der Experte zweifelt daran, dass das Vorhaben bald umgesetzt wird. "Der Kreml hat kein Interesse daran, dass Lukaschenko direkt mitbestimmt, wer in Russland als Extremist gilt", so Wöllenstein.

Von den USA und der EU fordert der Experte gezieltere Sanktionen gegen die Verantwortlichen für die Repressionen, denn bisher werde auf zu einfache Lösungen gesetzt, kritisiert er. "Wenn EU-Länder etwa einfach ihre Grenze schließen, fühlen sich die Menschen in Belarus, als nehme der Westen sie in Kollektivhaft, mit der Diktatur", so Wöllenstein. Stattdessen müssten etwa politische Amtsträger, Folterer und Richter auf die Sanktionslisten des Westens genommen werden. "Es gibt Hunderte, wenn nicht gar Tausende Menschen, die diese Repressionen ausüben", so der Experte. Diese gelte es zu treffen.

Verwendete Quellen
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