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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Situation im Gazastreifen Wenn Ärzte ohne Narkose operieren

Fast drei Monate lang sind keine Hilfsgüter mehr in den Gazastreifen gelangt. Wie haben Hilfsorganisationen auf diese Zeit geblickt?
Nach zweieinhalb Monaten völliger Blockade hat die UN in der Nacht zu Donnerstag mit der Verteilung von Hilfsgütern für den Gazastreifen begonnen. Am Mittwoch seien "rund 90 Lastwagenladungen mit Gütern am Kerem-Schalom-Übergang abgeholt" worden, erklärte UN-Sprecher Stéphane Dujarric.
Erstmals seit Anfang März seien damit Hilfsgüter in dem Palästinensergebiet verteilt worden, in dem die Menschen von einer Hungersnot bedroht sind. Die israelische Militäroffensive im Gazastreifen nach dem Terrorangriff der Hamas im Oktober 2023 ging derweil unvermindert weiter: Am Donnerstag rief die israelische Armee die Bevölkerung in 14 Gebieten zur Evakuierung auf.
Die Blockade der Hilfsgüter hatte international massive Kritik ausgelöst, nicht nur in der Politik, sondern auch bei den Hilfsorganisationen selbst. Christof Johnen, Leiter des Bereichs Internationale Zusammenarbeit beim Deutschen Roten Kreuz (DRK), sagte t-online, dass die Menschen dort unter katastrophalen Umständen leben würden: "Die Situation im Gazastreifen ist für die Zivilbevölkerung untragbar." Es gebe "keine sicheren Orte für die Zivilbevölkerung."
Aufgrund der fehlenden Hilfsgüter sind laut Johnen in den vergangenen Wochen einzelne Medikamente im Gazastreifen ausgegangen. Es sei "dringend erforderlich, dass endlich ausreichend humanitäre Hilfsgüter nach Gaza kommen – und zwar dauerhaft und mit sicherem Zugang zu den Menschen in Not."
Zudem fordert Johnen auch einen besseren Schutz für die Hilfsorganisationen selbst. Seit den Terroranschlägen der Hamas vom 7. Oktober 2023 wurden 30 Helfer des palästinensischen Roten Halbmonds und sechs Helfer des israelischen Hilfswerks Magen David Adom getötet. "Das zeigt, unter welcher Gefahr die humanitär Helfenden arbeiten, obwohl das humanitäre Völkerrecht ihren Schutz vorsieht."
Auch die Caritas international schätzt die Lage im Gazastreifen als katastrophal ein. Das Hilfswerk teilte t-online mit, dass insgesamt zwei Millionen Menschen von Hunger, Mangel- und Unterernährung betroffen seien: "Es fehlt an Wasser, Lebensmitteln, Hygieneartikeln, Medikamenten, Zelten, Decken und an Treibstoff, der unter anderem für Notstromaggregate benötigt wird."
Dass die Hilfslieferungen jetzt wieder anlaufen, reicht für die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" nicht aus. Bisher hätte die israelische Regierung nur Lieferungen in "lächerlich kleinem Umfang" genehmigt, sagte Pascale Coissard, Notfallkoordinatorin von "Ärzte ohne Grenzen" in Chan Junis. "Sie wollen sich offenbar nicht dem Vorwurf aussetzen, die Menschen im Gazastreifen auszuhungern, während sie sie gleichzeitig nur gerade so am Leben halten." Vor Oktober 2023 erreichten laut UN-Angaben täglich 500 Lastwagen mit Hilfsgütern den Gazastreifen. Die jetzt zugelassenen 100 Lastwagen pro Tag seien angesichts der katastrophalen Lage vollkommen unzureichend.
Die Organisation forderte zudem, die "Zerstörung des Gesundheitswesens" im Gazastreifen zu stoppen. Allein im Verlauf der vergangenen Woche seien mindestens 20 medizinische Einrichtungen in dem Gebiet beschädigt worden. Das Nasser-Krankenhaus in Chan Junis sei etwa vor wenigen Tagen zum dritten Mal in zwei Monaten beschossen worden. Dabei sei eines der Geschosse nur 100 Meter entfernt von der Intensivstation eingeschlagen.
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Ähnlich wie das DRK klagte auch "Ärzte ohne Grenzen" über einen Mangel an Medikamenten, der die medizinische Versorgung erschwere. UN-Angaben zufolge gibt es derzeit im gesamten Gazastreifen noch etwa Tausend Krankenhausbetten – gegenüber 3.500 vor dem Krieg.
Was die Bedingungen für Verletzte und Mediziner bedeuten, hatte der Rettungsmediziner Tankred Stöbe t-online im vergangenen Jahr erläutert. Da es den Ärzten mitunter an Narkosemittel mangele, habe er schon lebensnotwendige Operationen im Gazastreifen ohne Betäubungsmittel durchgeführt. "Das bedeutet extreme Schmerzen. Für uns ist das unvorstellbar, aber es gibt dazu in Gaza manchmal keine Alternative", sagte Stöbe t-online.
- Eigene Recherche
- Statements vom DRK und Caritas International
- Pressemitteilung von Ärzte ohne Grenzen
- Nachrichtenagentur AFP