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Gazastreifen: US-Wachleute feuern wohl mit scharfer Munition auf Hungernde


Verteilung von Hilfsgütern in Gaza
US-Wachleute feuern wohl mit scharfer Munition auf Hungernde

Von t-online, sic

03.07.2025 - 12:25 UhrLesedauer: 4 Min.
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Palästinenser stehen im Gazastreifen zur Verteilung von Essen an (Archivbild): US-Sicherheistkräfte sollen dabei mit der israelischen Armee zusammenarbeiten. (Quelle: IMAGO/Moiz Salhi/imago)
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Für Millionen Menschen ist die Situation im Gazastreifen prekär. Sicherheitskräfte einer US-Firma halten die Menschen an Verteilzentren für Hilfsgüter in Schach – und schießen dabei wohl sogar in die wartende Menge.

US-Sicherheitskräfte, die im Gazastreifen die Verteilung von Hilfsgütern überwachen, setzen offenbar scharfe Munition, Blendgranaten und Pfefferspray gegen hungernde Palästinenser ein. Das berichtet die Nachrichtenagentur AP. Zwei US-Auftragnehmer, die anonym bleiben wollen, beschrieben die Einsätze als "gefährlich und verantwortungslos". Dies geht aus Zeugenaussagen und Videomaterial hervor, die der AP vorliegen.

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Demnach feuerten die Sicherheitskräfte bei der Ausgabe von Hilfsgütern teils wahllos in die Luft, auf den Boden und in Richtung der Menschenmenge. In einem Fall habe ein Auftragnehmer gesehen, wie jemand getroffen zu Boden ging. "Es gibt unschuldige Menschen, die verletzt werden. Schlimm. Unnötig", sagte einer der Auftragnehmer der AP.

Die Vorfälle sollen an Verteilzentren der Gaza Humanitarian Foundation (GHF) stattfinden – einer US-Organisation, die im Februar gegründet wurde und laut eigenen Angaben in Kooperation mit dem israelischen Staat Hilfsgüter verteilt. Die US-Regierung hat der Organisation im Juni 30 Millionen Dollar zugesagt. Andere Geldgeber sind nicht bekannt.

"Ich glaube, du hast einen getroffen"

Israel hatte Anfang März eine Blockade für Hilfslieferungen in den Gazastreifen verhängt. Erst Ende Mai wurde die Blockade teilweise wieder aufgehoben. Daraufhin nahm die GHF ihre Arbeit auf und eröffnete vier Verteilzentren im Süden und im Zentrum des Palästinensergebiets.

Videos zeigen, wie Palästinenser zwischen Metallgittern um Lebensmittel kämpfen, während Schüsse und Explosionen zu hören sind. In einem der Videos feuern Sicherheitskräfte offenbar aus einer erhöhten Position in Richtung einer Menge, die gerade Essen erhalten hatte. "Ich glaube, du hast einen getroffen", sagt ein Mann in englischer Sprache. Ein anderer antwortet: "Hell, yeah, boy!"

Die beauftragte Logistikfirma Safe Reach Solutions (SRS) weist die schweren Vorwürfe zurück. Es habe bislang keine ernsthaften Verletzungen gegeben, erklärte ein Sprecher der AP. Scharfe Munition sei in den Boden und weg von Menschen abgefeuert worden – in Situationen "größter Verzweiflung", um die Sicherheit zu gewährleisten.

Wohl bereits mehr als 57.000 Palästinenser getötet

Gaza leidet seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 unter einer katastrophalen humanitären Lage. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums des Gazastreifens sind seit Beginn des Krieges mehr als 57.000 Palästinenser getötet worden. Das Ministerium unterscheidet dabei nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern. Israel bestreitet, absichtlich auf Zivilisten zu schießen, und spricht von Warnschüssen. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Die Vereinten Nationen, deren Hilfslieferungen Israel zuvor blockiert hatte, setzen bei ihren Einsätzen keine bewaffneten Wachen ein. GHF soll das UN-System ersetzen. Nach Angaben von Palästinensern wird auf den Straßen zu den Verteilzentren fast täglich geschossen. Hunderte Menschen seien getötet oder verletzt worden, so das Gesundheitsministerium in Gaza.

Erst am Donnerstag soll es erneut zu Toten durch israelische Angriffe gekommen sein. 63 Menschen seien seit dem Morgen getötet worden, meldete die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa unter Berufung auf medizinische Kreise. Viele der Opfer hätten in verschiedenen Gebieten auf Hilfsgüter gewartet. Ob sie auf UN-Lieferungen oder Hilfspakete der umstrittenen Gaza Humanitarian Foundation (GHF) warteten, wurde zunächst nicht mitgeteilt.

"Warum schießt ihr auf uns?"

Laut den Aussagen der Auftragnehmer im Gespräch mit AP wird das Geschehen an den Verteilzentren von US-Analysten und israelischen Soldaten in einer gemeinsamen Schaltzentrale überwacht. Dort werden Videoaufnahmen live ausgewertet, teils mit Gesichtserkennungssoftware. Die israelische Armee bestreitet, während der Verteilungen vor Ort zu sein.

Ein Auftragnehmer berichtete, die israelische Armee nutze die Sicherheitsmaßnahmen, um Informationen zu sammeln. Personen, die als verdächtig gelten, würden identifiziert und an das israelische Militär gemeldet. "Wir haben die Leute kommen sehen, um Essen für ihre Familien zu holen. Sie sagten zu uns: ‚Warum schießt die israelische Armee auf uns? Warum schießt ihr auf uns?‘", so der Auftragnehmer.

Interne Berichte von Safe Reach Solutions zeigen laut AP, dass bei 31 Prozent der Verteilungen im Juni Menschen verletzt wurden. Die Art und Schwere der Verletzungen bleiben unklar. Bei einer einzigen Verteilung wurden laut internen Nachrichten 37 Blendgranaten, 27 Gummigeschosse und 60 Dosen Pfefferspray eingesetzt. Scharfe Munition sei in dieser Aufzählung nicht enthalten.

Journalisten können Verteilung von Hilfsgütern nicht beobachten

Der Betrieb der GHF wird von israelischen Behörden genehmigt, ist aber für Journalisten bislang nicht zugänglich. Unabhängig überprüfen ließ sich der Bericht von AP daher nicht. Tonanalysen von Videos legen laut zwei Audio-Forensikern jedoch nahe, dass scharfe Munition in unmittelbarer Nähe abgefeuert wurde.

Sicherheitsfirmen bestreiten schwere Versäumnisse. UG Solutions, die US-Firma, die die Sicherheitskräfte stellt, sprach von umfangreichen Prüfungen und Schulungen des Personals. Die Vorwürfe über Schüsse auf Zivilisten wollte die Firma ohne Kenntnis der Videos nicht kommentieren.

Die beiden Auftragnehmer warnen: "Wenn die Operationen so weiterlaufen, werden weiter unschuldige Menschen verletzt – und möglicherweise getötet."

GHF: "Wir haben eine Aufgabe zu erfüllen"

Die Gaza Humanitarian Foundation will derweil ihren Einsatz zur Verteilung von Hilfsgütern im Gazastreifen trotz scharfer Kritik weiterhin fortsetzen. "Wir schließen nicht. Wir haben eine Aufgabe zu erfüllen", erklärte GHF-Präsident Johnnie Moore am Mittwoch vor Journalisten in Brüssel. "Jeden Tag kostenlose Lebensmittel für die Menschen im Gazastreifen bereitzustellen ist sehr einfach", fügte er hinzu. Seinen Angaben zufolge hat die GHF seit Beginn ihrer Arbeit Ende Mai bereits mehr als eine Million Kisten Lebensmittel ausgegeben.

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Die von der radikalislamischen Hamas kontrollierten Behörden im Gazastreifen werfen der israelischen Armee vor, auf Zivilisten zu schießen, die für Hilfsgüter anstehen. Bei den Vorfällen hat es nach Angaben der Hamas zahlreiche Tote gegeben.

Moore wies die Vorwürfe zurück. "Wir hatten keine gewalttätigen Zwischenfälle an unseren Verteilzentren" oder in deren unmittelbarer Nähe, erklärte er. Der GHF-Chef betonte, dass die GHF ihre Arbeit auch fortführen wird, wenn es zu einer Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas kommen sollte. "Sofern wir nicht dazu gezwungen werden, haben wir nicht die Absicht, diese Menschen im Stich zu lassen", sagte er.

Die UNO und große Hilfsorganisationen verweigern die Kooperation mit der Stiftung. Sie werfen ihr vor, sich nach den Plänen der israelischen Armee auszurichten und damit gegen grundlegende humanitäre Prinzipien zu verstoßen.

Verwendete Quellen
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