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Gescheiterte Wahl: Libyen droht nun ein gefährliches Vakuum


Gescheiterte Wahl
Libyens gescheiterte Wahl ist mehr als tragisch

MeinungEin Gastbeitrag von Thomas Volk, Tunis

Aktualisiert am 23.12.2021Lesedauer: 4 Min.
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Protestierende Frauen in Libyen 2019 (Archivbild): Die Wahlen zum Jahresende hätten das Land stabilisieren sollen.Vergrößern des Bildes
Protestierende Frauen in Libyen 2019 (Archivbild): Die Wahlen zum Jahresende hätten das Land stabilisieren sollen. (Quelle: Hani Amara/Reuters-bilder)

Eigentlich standen Wahlen im zerrütteten Libyen an, doch diese sind erst einmal passé. Dabei wollen und brauchen die Menschen im Land Stabilität, meint Experte Thomas Volk von der Konrad-Adenauer-Stiftung im Gastbeitrag.

Am 24. Dezember 2021 begeht Libyen seinen 70. Unabhängigkeitstag. Das ölreiche nordafrikanische Land wollte diesen besonderen Tag nach einem Jahrzehnt wiederkehrender Bürgerkriege und politischer Instabilität mit der gleichzeitigen Abhaltung von Parlaments- und Präsidentschaftswahlen krönen.

Seit dem von der Nato unterstützten Sturz des exzentrischen Despoten Muammar al-Gaddafi 2011, der das Mittelmeerland für vier Jahrzehnte autokratisch geführt hatte, kommt Libyen nicht zur Ruhe. Das Land war fortan institutionell in Ost- und Westlibyen zweigeteilt, wurde von bewaffneten Milizen dominiert und entwickelte sich spätestens seit 2019 zum Schauplatz eines Stellvertreterkonflikts internationaler Akteure.

Söldner aus Russland

Seit 2020 nimmt Deutschland in Libyen eine wichtige Vermittlerrolle ein und trug durch den von Bundeskanzlerin Angela Merkel gemeinsam mit den Vereinten Nationen (UN) initiierten Berliner Libyen-Prozess wesentlich zur Beilegung gewaltsamer Auseinandersetzungen bei. Multilaterale Erfolge schienen zurück. Von Oktober 2020 an hält ein Waffenstillstand, auch wenn nach wie vor Tausende ausländische Söldner vor Ort sind. Seit März 2021 hat das Land durch UN-Vermittlung eine Übergangseinheitsregierung (GNU), deren Mandat am 24. Dezember allerdings endet, ohne ihre drei Hauptziele erfüllt zu haben.

Thomas Volk ist promovierter Islamwissenschaftler und Leiter des Regionalprogramms Politischer Dialog im Südlichen Mittelmeerraum der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Tunis. Er beobachtet für die Stiftung die Entwicklungen in Libyen.

Der angestrebte Abzug ausländischer Söldner, vor allem aus Russland, Syrien und Sudan, stockt und wurde zuletzt auf 2023 vertagt. Die gemeinsame Militärkommission aus je fünf Vertretern der libyschen Armee und der Streitkräfte um den international kritisierten "Feldmarschall" Chalifa Haftar, die sogenannte 5+5 Joint Military Commission (JMC), tagt inzwischen regelmäßig und scheint durch vertrauensbildende Maßnahmen zumindest das Risiko erneuter gewaltsamer Kämpfe zu minimieren.

Dennoch ist das Land nach wie vor institutionell nicht wie geplant wiedervereinigt. Den wichtigsten Auftrag der GNU um Premierminister Abdelhamid Dabeiba, die ordentliche Abhaltung von Wahlen vorzubereiten, wurde ebenfalls verfehlt. Libyen scheint zum Jahresende vor einer Verlängerung des Status quo zu stehen.

Dabei deutet die hohe Zahl registrierter Libyer im offiziellen Wahlregister darauf hin, dass die Bevölkerung nach demokratischer Legitimation ihrer Volksvertreter drängt und sich einen Wechsel der handelnden Protagonisten wünscht. Knapp 2,5 Millionen der nahezu sieben Millionen Einwohner haben sich für die ersten Wahlen seit 2014 registriert. Dennoch bleibt derzeit offen, wann diese stattfinden werden und wie die unterlegenen Kandidaten in dem von persönlichen Ambitionen geprägten Konflikt anschließend reagieren könnten.

Blockade im Land

Das derzeit größte Problem stellt die institutionelle Blockade zwischen dem im Osten ansässigen Parlament um dessen Vorsitzenden Agila Saleh und der zweiten legislativen Kammer, dem High Council of State (HCS), dar. Die beiden Kammern konnten oder wollten sich 2021 auf kein Wahlgesetz einigen.

Der HCS pocht auf die Abhaltung eines Verfassungsreferendums vor möglichen Wahlen und lehnt kategorisch ab, dass umstrittene Kandidaten wie Haftar oder der Sohn des früheren Machthabers, Saif al-Islam al-Gaddafi, teilnehmen. Letzterer wird vom Internationalen Strafgerichtshof wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgt und gilt in Libyen dennoch als aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat.

Die Gaddafi-Nostalgie nimmt zu, das Lager hofft insbesondere auf eine Mehrheit im zukünftigen Parlament. Saleh hingegen wird eine Unterstützung Haftars nachgesagt. Haftar musste zuletzt erheblich an Unterstützung einbüßen – er gilt heute bei Wahlen weit weniger aussichtsreich als GNU-Premierminister Dabeiba. Dieser sicherte sich durch sozialpolitische Geschenke hohe Beliebtheitswerte, obschon er gemäß der verabredeten Roadmap als Übergangspremierminister eigentlich selbst gar nicht bei den nächsten Wahlen antreten dürfte. Alle drei haben ihre Kandidatur eingereicht, allerdings bleibt deren formale Zulassung bisher offen.

Die libysche Wahlbehörde, selbst zunehmend ein politischer Spielball, gab bisher auch noch nicht die zugelassenen Kandidaten der 5.385 Bewerber für die Parlamentswahl bekannt. Ferner bleibt unklar, wie genau der Wahlprozess ablaufen soll bzw. wann genau Parlamentswahlen stattfinden würden, sollten zuerst Präsidentschaftswahlen durchgeführt werden. Inzwischen wird vermutet, dass die Furcht vor möglichen Ausschreitungen der Unterstützer nicht zugelassener Kandidaten wesentlich zu dieser Verzögerung beiträgt.

Es ist noch ein langer Weg

Der internationalen Staatengemeinschaft und der UN-Mission in Libyen, UNSMIL, wird daher eine besondere Verantwortung zuteil. Der im Berliner Libyen-Prozess festgehaltene Anspruch eines libyschen "Ownership" des politischen Prozesses bleibt richtig, benötigt allerdings internationale Flankierung. Die innerlibysche Blockade legislativer Rahmenbedingungen für mögliche Wahlen gepaart mit persönlichen Machtinteressen wesentlicher Handlungsakteure ließen das sture Festhalten am 24. Dezember als Wahltermin bereits seit Monaten fraglich erscheinen.

Zahlreiche Beobachter befürchten, dass schlecht vorbereitete bzw. durchgeführte Präsidentschaftswahlen die bestehenden und derzeit kosmetisch bedeckten Konflikte eher verschärfen könnten. Eine Grundvoraussetzung für freie, faire und transparente Wahlen dürfte die Übereinkunft eines breit getragenen Wahlgesetzes sein, das auch die Zulassungsvoraussetzungen für Kandidaturen präzise regelt. Ferner sind internationale Wahlbeobachtungsmissionen wichtig, um Vorwürfe von Wahlmanipulationen glaubhaft entkräften zu können.

Die verfahrene Situation in Libyen verdeutlicht abermals, wie komplex das politische Gefüge in diesem Transformationsland ist. Obschon Libyen zeitnah Legitimation schaffende Wahlen benötigt – und die Bevölkerung diese auch einfordert – bleibt derzeit offen, wann und in welcher Form diese durchgeführt werden und ob sie tatsächlich zu einer Stabilisierung des Landes beitragen können.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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