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Russland und der Ukraine-Krieg: Beamte wollen Putin überleben


Kolumne "Russendisko"
Sie wollen Putin überleben

MeinungEine Kolumne von Wladimir Kaminer

10.07.2025 - 08:53 UhrLesedauer: 4 Min.
Wladimir Putin: Der Tod seines Verkehrsministers erregte Aufsehen.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Der Tod seines Verkehrsministers erregte Aufsehen. (Quelle: Anton Vaganov/reuters)
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Russlands Verkehrsminister starb auf ominöse Weise, die russischen Beamten sind auf der Hut. Ihr Ziel heißt überleben, meint Wladimir Kaminer.

Der russische Schriftsteller Anton Tschechow, der seinen Lebensunterhalt als Arzt verdiente, heilte nebenbei seine zahlreichen cholerischen Freunde. Er wusste, dass viele Krankheiten durch Einbildung und Stress entstehen. "Stehen Sie auf, ziehen Sie sich etwas Schönes an, gehen Sie in die Kantine und bestellen Sie eine Fischsoljanka", schrieb Tschechow seinen kranken Freunden. "Und vergessen Sie nicht, zwei kalte Wodka mit Salzgurke als Vorspeise zu sich zu nehmen. Ich versichere Ihnen, es wird Ihre Krankheitssymptome deutlich mildern."

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Tschechows Heilmethode funktionierte ausgezeichnet. Nur sich selbst konnte er damit nicht heilen. Er diagnostizierte sich sehr früh Tuberkulose und schrieb wahrscheinlich deswegen keine dicken Romane. Er wusste nicht, wie viel Zeit ihm noch bleiben würde und hatte Angst, einen Roman nicht zu Ende bringen. Stattdessen konzentrierte er sich auf lustige Kurzgeschichten. Eine, die er vor über 140 Jahren verfasste, heißt "Der Tod des Beamten".

(Quelle: Frank May)

Zur Person

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit Jahrzehnten in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Sein aktuelles Buch ist "Mahlzeit! Geschichten von Europas Tischen", am 27. August 2025 erscheint dann "Das geheime Leben der Deutschen".

In dieser nur eine halbe Seite langen Erzählung niest ein in der zweiten Reihe sitzender Beamter während der Theatervorstellung versehentlich auf die Glatze eines vor ihm in der ersten Reihe sitzenden Generals. Der Angenieste merkt es nicht einmal, doch unser Beamter erschrickt und versucht, sich beim General zu entschuldigen. Je unterwürfiger sich der Beamte entschuldigt, umso genervter wird der General.

Der Nieser bekommt es mit der Angst zu tun, er entschuldigt sich immer wieder aufs Neue, bis ihn der General anschreit. Zu Tode erschrocken bekommt unser Beamter daheim einen Schlaganfall und stirbt. Im Grunde war es Suizid, in seiner Angst vor dem Mächtigen hatte er sich in eine Sackgasse manövriert und umgebracht. An diese Erzählung haben sich viele Russen erinnert, als vergangene Woche der frischgebackene Ex-Verkehrsminister starb, ein sportlicher Marathonläufer namens Roman Starowoit.

Zahme Drachenzähne?

Die offizielle Nachricht von seinem Tod lautete, der russische Präsident habe ihn von seinen Aufgaben entbunden, woraufhin Starowoit sich zwei Stunden später mit seiner Dienstwaffe in seinem Dienstauto in den Kopf geschossen habe. Die Pistole hatte er als Auszeichnung für seine Dienste von ebendiesem Präsidenten 2023 bekommen. Erstaunlich, mit welcher Schnelligkeit sich die Nachricht von seinem Tod verbreitete.

Wenig später hieß es, Roman Starowoit habe sich am Abend davor erschossen, bevor er suspendiert wurde. Das hieße, Putin entließ einen bereits toten Minister, aufgrund seines Ablebens. Angeblich wusste der Minister, dass gegen ihn ermittelt wurde und wollte nicht ins Gefängnis kommen. Starowoit war Gouverneur des Kursker Gebiets, bevor er zum Verkehrsminister befördert wurde. Das Gebiet bekam 2023 eine üppige Finanzierung für die Sicherung der Grenze zur Ukraine. Es mussten zahlreiche Panzersperren aus Stahlbeton, im Volksmund Drachenzähne genannt, entlang der Grenze errichtet werden.

Sie wurden bestellt und aufgestellt, hinderten jedoch die ukrainischen Streitkräfte nicht daran, die Grenze zu überschreiten und für ein halbes Jahr russisches Staatsgebiet zu besetzen. Irgendetwas war beim Errichten der Drachenzähne schiefgegangen, sie waren anscheinend zu weit auseinander aufgestellt worden und nicht alle waren aus Stahlbeton, einige gar aus Kalkbeton. Nachdem die russischen Streitkräfte die Ukrainer wieder rausgekämpft hatten, begann die Untersuchung.

Der stellvertretende Gouverneur wurde verhaftet, sein Chef zum Verkehrsminister ernannt, eine gängige Art, jemanden an der kurzen Leine zu halten, damit er nicht wegläuft. Die Duma, das russische Parlament, das nach der geltenden Gesetzgebung jeden Ministerposten absegnen muss, hatte die Kandidatur von Starowoit mit einer Rekordzahl an Stimmen unterstützt. Angeblich hatte dann der Stellvertreter gegen seinen Chef ausgesagt, womit die Tage des Ministers gezählt waren.

Der Weg ist versperrt

Diese Geschichte schlug wie eine Bombe in der oberen Beamtenriege ein. Ein Kollege des Verkehrsministers, der während einer Regierungssitzung die Nachricht von dessen Suizid erhielt, erlitt direkt im Saal einen Schlaganfall und starb auf der Stelle. Die Nerven der Beamten liegen blank. Die von Putin angeordnete "militärische Sonderoperation" gegen die Ukraine hatte die oberen Regierenden in eine Sackgasse manövriert. Früher waren die Risiken ihrer Jobs überschaubar: Verlust des Arbeitsplatzes, Frührente, im schlimmsten Fall eine Verbannung.

Der Tod als Strafe stand nie auf dem Programm. Früher konnten sie sich im Notfall zurückziehen, ihr Eigentum schützen, sich selbst samt Familie ins kultivierte Ausland retten, in Staaten mit funktionierendem Rechtsschutz. Damit war es mit Beginn des Krieges vorbei. Die wenigen Wege nach draußen, die noch geblieben sind, Türkei, Kasachstan oder Dubai, sind keine sicheren Orte. Dort können sie ebenfalls verhaftet, ausgeliefert, gar umgebracht werden.

Sie sitzen in der Falle. Natürlich werden diese Menschen keinen Widerstand leisten, ihre einzige Hoffnung ist es, den Chef zu überleben, zu warten, bis sich die Sache mit dieser verfluchten "Militäroperation" irgendwie von allein auflöst. Laut Berichten ist der Alkoholmissbrauch unter den Beamten der höheren Dienstgrade enorm gestiegen, denn mit Fischsoljanka allein ist ihnen nicht mehr zu helfen.

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