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"Porch Pirates" in den USA klauen massenhaft Pakete


Absurdes Massenphänomen in den USA
Der Millionenraub

  • Bastian Brauns
Von Bastian Brauns, Washington

Aktualisiert am 26.12.2022Lesedauer: 4 Min.
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Ein Paketzusteller des US Postal Service bei der Arbeit.Vergrößern des Bildes
Ein Paketzusteller des US Postal Service bei der Arbeit. (Quelle: Scott Olson)

Paketboten in den USA legen die Ware meistens vor der Haustür ab. Das machen sich moderne Piraten zu nutze: Millionenfach klauen sie die Pakete.

Die Piraten kommen an einem grauen Wintermorgen kurz vor Weihnachten. Ihr Meer sind die Vorgärten in den Straßen der US-Hauptstadt Washington. Ohne Schiff, aber mit viel Schläue verfolgen sie den Lieferwagen von Amazon.

Ich sitze am Schreibtisch im ersten Stock des Hauses, in dem ich wohne. Bevor ich die modernen Piraten bemerke, haben sie längst Beute gemacht: ein Handmikrofon, ein Schaumstoffaufsatz und ein dreibeiniger Teleskopständer. Waren im Wert von umgerechnet rund 200 Euro verschwinden von meiner Veranda. Zurück bleibt ein leerer Karton, der mich unschuldig anstarrt, als ich die Haustür öffne.

Es müssen Sekunden gewesen sein. Eben erst kam eine E-Mail von Amazon in meinem digitalen Postfach an: "Ihre Bestellung wurde geliefert." Dazu ein Foto von dem noch verschlossenen Karton. Fürs Klingeln oder Klopfen an der Tür hatte der Paketbote keine Zeit. Oder keine Lust. Ich hörte nur den metallischen Klang des Gartentors, das hinter ihm ins Schloss fiel. Ich hätte sofort ins Erdgeschoss rennen müssen, um wenigstens noch zu sehen, wer gleich nach dem Boten gekommen und noch schneller geflohen sein muss. Als ich draußen stehe, fühlt es sich ungut an. Die Diebe können nur wenige Meter entfernt sein.

Ich denke mir: Richtig angekommen ist man in den USA offenbar erst, wenn etwas, das man bestellt hat, sofort wieder weg ist. Denn erstaunt stelle ich fest, dass ich nur eines von sehr, sehr vielen Opfern des Ganoven-Phänomens bin, das hier "Porch Pirates" heißt, also Veranda-Diebe. Deren lukrativste Saison sind regelmäßig jene rund sechs Wochen zwischen Thanksgiving, Black Friday, Weihnachten und Neujahr.

Jeder zweite Amerikaner ist betroffen

In einer Umfrage gab mehr als jeder zweite Befragte an, ihm seien in den vergangenen zwölf Monaten gleich mehrere Pakete gestohlen worden. Denn wegen der Corona-Pandemie haben die Fälle dieser ganz eigenen Art von Produktpiraterie einen neuen Höchststand erreicht. 2021 sollen in den USA rund 260 Millionen zugestellte Pakete gestohlen worden sein, 50 Millionen mehr als 2020. Die Zählung für 2022 ist noch nicht abgeschlossen.

Während die Armut vieler Menschen immer weiter zugenommen hat, haben die anderen mehr bestellt denn je. Das Land der Freiheit entwickelt sich so zunehmend zum Land der Freibeuter, deren Geschäftsmodell die unrechtmäßige Umverteilung ist.

Von Seattle bis San Diego, von Boston bis New Orleans – das Problem ist so eklatant, dass nun sogar ein Gesetzesentwurf im Kongress vorliegt. Mit dem "Porch Pirates Act of 2022" soll der ganz große Klau bekämpft werden. Bislang wird Diebstahl von kommerziellen Paketen nämlich nicht von einem Bundesgesetz erfasst. Wer hingegen Briefe stiehlt, die mit dem United States Postal Service verschickt werden, begeht eine Straftat. In vielen Bundesstaaten ist nicht klar geregelt, was passiert, wenn ein Paket vor dem eigenen Haus gestohlen wird. Druck auf die Politiker in Washington kommt nicht nur von den vielen Millionen betroffenen Kunden, sondern auch von den privaten Lieferdiensten.

Mehr als ein Wohlstandsproblem

Lance Mangum, Lobbyist der Paketzustellers FedEx, lässt sich mit den Worten zitieren: "Wir freuen uns über die Einführung von Bundesgesetzen, die landesweit einheitliche Strafen für den Diebstahl von Paketen festlegen würden." Neben FedEx unterstützt auch das Paketdienstunternehmen UPS das Vorhaben.

Gestartet hat die Gesetzesinitiative der demokratische Kongressabgeordnete Dean Philipps. Auch viele Politiker der Republikaner unterstützen ihn. Für Philipps sind Porch Pirates mehr als nur ein Wohlstandsproblem der Gutverdiener, die sich Waren bequem nach Hause liefern lassen. Er beschreibt es als "ein zunehmend gefährliches Verbrechen, da sich immer mehr Amerikaner, insbesondere unsere Senioren, auf Lieferdienste für lebensnotwendige Güter wie Medikamente und Lebensmittel verlassen".

Die Klauflation schlägt zu

Ob sich die Paketpiraten von einem neuen Gesetz abschrecken lassen? Ich habe daran Zweifel, wenn sie nicht erwischt werden. Es bleibt eine Tat mit geringem Risiko.

Weshalb Paketboten in den USA nicht klingeln? Warum sie die Pakete nicht bei Nachbarn abgeben oder sie wieder mitnehmen und eine Postkarte hinterlassen? In den auf Effizienz getakteten amerikanischen Logistikketten ist für solche Manöver keine Zeit.

Während ich mir diese Fragen stelle, kontaktiere ich die Reklamationsabteilung von Amazon. Ich brauche das Mikrofon dringend für meine Arbeit. Im Service-Chat ist man bemüht darum, dass ich mir keine Sorgen mache. "Ich werde eine Ersatzbestellung an dieselbe Adresse schicken, ok?", schreibt die Person von Amazon. "Klingt gut", antworte ich. Was ich denke: Wie verhindere ich, wieder bestohlen zu werden?

Was Amazon unkompliziert klingen lässt, um die Kunden nicht zu frustrieren, löst das Problem allerdings nicht. Der millionenfache Warenverlust schlägt sich am Ende in höheren Preisen für alle nieder. Zur anhaltend hohen Inflation kommt eine zunehmende Klauflation.

Zum Schutz empfehlen Behörden und Verbraucherschützer bislang, Kameras vor der Eingangstür anzubringen. Unter dem Stichwort Porch Pirates sind im Internet daher auch viele Videos zu finden, in denen Paketdiebe auf frischer Tat gefilmt wurden. Wie viele von ihnen geschnappt wurden, ist unbekannt.

Oft helfen nur Nachrichten an die Nachbarn. "Hey, bist du zu Hause? Ich glaube, ich habe gerade ein Paket bekommen. Ist es noch da?", ist die häufigste Mitteilung, die ich etwa von meinen bekomme.

Wer nicht zu Hause ist, hat Pech gehabt. Für die Piraten ist es ein Glück.

Verwendete Quellen
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