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Sigmar Gabriel wechselt zur Deutschen Bank – und das ist nicht verwerflich


Wechsel in die Wirtschaft
Der Fall Gabriel sollte zum Normalfall werden

  • Gerhad Spörl
MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

27.01.2020Lesedauer: 4 Min.
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Bei Hauptversammlung: Die Deutsche Bank holt Sigmar Gabriel in den Aufsichtsrat. (Quelle: Reuters)

Sigmar Gabriel hat genug von der Politik und wechselt zur Deutschen Bank. Ist das verwerflich? Nein, er hat ein Recht auf ein zweites Leben – wie Joschka Fischer oder Roland Koch oder auch Gerhard Schröder.

Wenn alles so geht, wie er sich das wünscht, dann wird Sigmar Gabriel bald dem Aufsichtsrat der Deutschen Bank angehören. Er wechselt das Metier, was für einen Politiker der gehobenen Art noch immer nicht selbstverständlich ist, aber auch nicht mehr völlig ungewöhnlich.

Gabriel war mal Wirtschaftsminister, sodass er Kompetenz für den neuen Job mitbringt. Die Deutsche Bank hat in erschreckendem Maß an Reputation verloren. Bei dem Institut, das ehedem die Inkarnation deutscher Ehrbarkeit war, blieb kein Stein auf dem anderen. Da kann Gabriel, der sich neu erfinden will, eine Hilfe sein.

Wenn die Karriere eines Politikers ausläuft oder unfreiwillig endet, stellt sich zwangsläufig die Frage: Was soll er jetzt tun, wo er sich doch noch in Saft und Kraft wähnt? Er kann Bücher schreiben, die niemand lesen will. Er kann mit einem Kabarettisten auf Tour gehen wie Peer Steinbrück, dessen enormes Ego eigentlich Humor ausschließt. Eine Alternative bietet Rudolf Scharping, der Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat war, bevor er aus der Kurve getragen wurde. Seit nunmehr 14 Jahren ist er Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer und verhält sich politisch weitgehend enthaltsam.

Gerhard Schröder wollte vor allem Geld verdienen

Am weitesten ist natürlich der Gerd gegangen, wie sie Gerhard Schröder in der SPD halb bewundernd, halb mit Abscheu nennen. Nicht nur an seiner Agenda 2010 arbeitet seine Partei sich ab, sondern auch an seiner zweiten Karriere im Schlepptau Wladimir Putins. Was er privat über Russlands Eingreifen in Syrien und Libyen denkt, über den Bruch mit dem Völkerrecht auf der Krim oder den Krieg in der Ostukraine oder über die Versuche, den Westen zu schwächen, wo immer es geht: All das behält der Gerd für sich.

Worum es ihm damals ging, als er die Kanzlerschaft hinter sich hatte, daraus machte er keinen Hehl. Ums Geldverdienen. Darüber kann man sich empören, muss man aber nicht. Ihm schwebte keineswegs vor, zum Kapitalisten aufzusteigen, sondern ihn beseelte der Wunsch nach monetärer Befreiung aus der Drangsal. Aus kleinsten Verhältnissen gekommen, befand er sich dank etlicher Scheidungen fast immer in prekären Verhältnissen.

Bei unserer Beobachtung der uns Regierenden vergessen wir Journalisten nur zu leicht, dass sie verdammt viel für verdammt wenig tun. Wer möchte schon ernsthaft mit einem Abgeordneten des Deutschen Bundestages tauschen, der in Berlin wie auf Montage lebt und am Wochenende Termin auf Termin im Wahlkreis hat, weil er möglichst immer ein offenes Ohr für die Belange seiner Wähler und seiner Partei haben muss?

Ein/e Bundeskanzler/in verdient rund 350.000 Euro. Dafür ist er/sie 24 Stunden lang an sieben Tagen pro Woche im Dienst. Dabei gibt er/sie sich zum Beispiel mit Leuten aus Industrie und Wirtschaft ab, die das 20- bis 40-fache verdienen und die ihn/sie das auch spüren lassen. Und natürlich bitten gerade diese hochmögenden Herren den Staat um Hilfe, zum Beispiel die Banker, die 2007 ihre Banken in die Grütze geritten hatten, oder die Energieversorgungsunternehmer, die Subventionen ohne Ende von der Bundesregierung verlangen – siehe Steinkohle, siehe Atomkraft, siehe Braunkohle. In solchen Fällen verlässt sie sogar die Arroganz. Vorübergehend.

Gabriel stammt aus kleinen Verhältnissen, es ist sein zweites Leben

Sigmar Gabriel ist 60 Jahre alt, stammt aus kleinen Verhältnissen. Der Vater war ein unbelehrbarer Nazi und ein Prügler. Mehr als 40 Jahre tummelte sich Gabriel in der Politik. War allerlei, auch Ministerpräsident in Niedersachsen, dazu acht Jahre lang SPD-Vorsitzender, zuletzt Außenminister. Ein Unvollendeter, der zweimal auf die Kanzlerkandidatur verzichtete. Aus Einsicht oder Angst? Wüsste man im Nachhinein gerne.

Jedenfalls hat er sich ein Anrecht auf ein zweites Leben in der Wirtschaft erworben, oder etwa nicht?

Den weitesten Weg ging Roland Koch, der elf Jahre lang Hessen mit eiserner Hand regierte und sich Hoffnung auf die Kanzlerschaft machen durfte. Glücklicherweise kam es dank Angela Merkel nicht so weit. Der Volljurist Koch verließ die Politik und stieg zum Vorstandsvorsitzenden beim Bilfinger-Konzern auf, der unter ihm damit begann, sich vom Bau- und Immobiliengeschäft zum Industriedienstleister zu verwandeln. Das Intermezzo dauerte drei Jahre lang. Dann mussten Gewinnerwartungen zurückgeschraubt werden, dann hatten CEO und Aufsichtsrat unterschiedliche Auffassungen über die Zukunft. Koch musste gehen.

Wir sollten Sigmar Gabriel Glück wünschen

Kommt vor. Passiert auch anderen. Ist kein Beweis für die billige These, dass der Schuster bei seinem Leisten bleiben sollte. Im Gegenteil wäre es besser für das Verhältnis der Politik zur Wirtschaft, wenn das Herüberwechseln zum Normalfall würde. In anderen Ländern ist das so, bei uns komischerweise nicht. Da werden Selfmade-Unternehmer mit politischem Ehrgeiz wie Harald Christ als seltsame Wesen begutachtet, die möglichst auf Distanz zu halten sind, vor allem in der SPD, die doch auf frisches Blut dringend angewiesen ist.

Mich würde interessieren, welche Erfahrungen Schröder oder Koch oder Fischer auf der anderen Seite gemacht haben. Wie hat der Wechsel sie verändert? Was hatten sie unterschätzt? Fehlt ihnen das Politische?

Nun begibt sich Sigmar Gabriel auf neues Gelände. Wir sollten ihm Glück wünschen – und dürfen gespannt sein, ob er seiner Partei trotzdem Ratschläge erteilt, die sie nicht hören möchte.

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