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Uvalde-Anschlag | Amokläufe an Schulen: Das haben die Attentäter gemeinsam


Schulattentäter
Ein tödlicher Cocktail

Von Miriam Hollstein

25.05.2022Lesedauer: 4 Min.
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Salvador R.: Der Attentäter von Uvalde war auf Instagram aktiv.Vergrößern des Bildes
Salvador R.: Der Attentäter von Uvalde war auf Instagram aktiv. (Quelle: salv8dor_/Instagram/imago-images-bilder)

Columbine, Sandy Hook, Winnenden, Uvalde immer wieder verüben junge Männer blutige Schulmassaker. Ihre Biografien zeigen dabei auffällige Gemeinsamkeiten.

Was macht junge Männer zu Schulattentätern? Nach dem Massaker von Uvalde stellt sich die Frage erneut. Wie schon bei der Ermordung von 20 Lehrern und Schülern an einem Gymnasium in Erfurt 2002, bei der blutigen Tat von Winnenden, bei der ein 17-Jähriger insgesamt 15 Menschen und am Ende sich selbst erschoss, oder beim Anschlag an der Columbine High School in Littleton, bei dem die beiden Abschlussklässler Eric H. und Dylan K. am 20. April 1999 zwölf Mitschüler, einen Lehrer und sich selbst töteten.

Die Forschung zeigt, dass es trotz der Unterschiedlichkeit dieser Anschläge und ihrer Umstände auch zahlreiche Gemeinsamkeiten bei den Tätern gibt.

Fast ausschließlich handelt es sich um junge Männer, zwischen 16 und Anfang 20 Jahre alt. In vielen Fällen wird berichtet, dass die späteren Täter in der Schule gemobbt worden seien. So auch im Fall des Amokläufers von Uvalde. Er sei wegen eines Sprachfehlers gehänselt worden, erzählte ein Schulfreund der "Washington Post".

Der Mythos vom gemobbten Täter

Schaut man genauer hin, ist die Dynamik meist komplexer: Viele der Täter verhielten sich zunehmend merkwürdig, kapselten sich ab, pflegten Hobbys ohne reale Begegnungen wie exzessives Computerspiel. Das stieß in ihrer Umgebung auf Befremden, Distanz und teilweise auch auf Spott, Letzteres aber nicht immer. Im Prozess gegen den Vater des Amokläufers von Winnenden sagten mehrere Zeugen, Tim K. sei nicht gemobbt worden. Er sei eher ein "Mitläufer" gewesen, der aber auch nicht richtig integriert gewesen sei.

"Ob real oder nicht, der Täter fühlt sich abgelehnt und ungerecht behandelt", sagt Henning Ernst Müller, Professor für Kriminologie und Jugendstrafrecht an der Universität Regensburg. Mit seiner Tat wolle er dann als Racheakt "der ganzen Welt zeigen, was in ihm steckt".

Die meisten hatten Leistungsprobleme

Fast alle der Schulamoktäter hatten schulische Probleme. Robert S., der am 26. April 2002 an einem Gymnasium in Erfurt 16 Menschen und anschließend sich selbst erschoss, war kurz vorher ohne Abschluss von der Schule verwiesen worden. Der Winnenden-Attentäter Tim K. litt laut seiner Nachhilfelehrerin unter Versagensängsten. Der Amokläufer von Uvalde soll ersten Berichten zufolge kurz vor der Tat mit seiner Großmutter in Streit darüber geraten sein, warum er keinen Schulabschluss geschafft habe.

Alle Täter hatten eine narzisstische Störung

Bei allen Tätern war eine narzisstische Störung vorhanden. Während sie kleine alltägliche Kränkungen emotional aufbauschten, verstiegen sie sich in die Vorstellung von der eigenen Grandiosität. Über Tim K. sagte ein Gutachter, es habe eine "unglaubliche Diskrepanz" zwischen seinen Gefühlen und seiner Darstellung nach außen gegeben. Seine Persönlichkeitsstörung sei mit sozialer Phobie, narzisstischen Tendenzen, Überempfindlichkeit und einem mangelnden Selbstwertgefühl einhergegangen.

Der Columbine-Attentäter Eric H. beschrieb in Aufsätzen, dass niemand auf der Welt das Computerspiel "Doom" so gut beherrsche wie er. Im Alltag blieben er und die anderen Täter den Beweis des Genialen schuldig. Mitschüler machten sich lustig über die Mischung aus Angeberei und Versagen.

Diese Rolle spielt der "Werther-Effekt"

Auch der sogenannte "Werther-Effekt" spielte bei allen Schulattentaten eine zentrale Rolle. Der Begriff spielt ursprünglich auf das Phänomen an, dass nach dem Erscheinen des Romans "Die Leiden des jungen Werther" von Johann Wolfgang von Goethe, der von einem Selbstmord berichtet, die Zahl der Selbstmorde unter jungen Menschen stieg.

Auch bei Schulattentaten ist nach Ansicht des Strafrechtlers Müller der Nachahmungseffekt zentral. Die Gefahr, dass eine intensive Berichterstattung zu Folgetaten anregt, wird von Kriminologen deshalb als hoch angesehen. Fakt ist: Alle Täter beschäftigten sich im Vorfeld intensiv mit Berichten über andere Attentäter, verehrten diese geradezu.

Adam L., der Attentäter von der Sandy-Hook-Grundschule, führte eine Liste mit detaillierten Informationen über Attentate, sammelte Material. Insbesondere vom Schulattentat in Columbine soll er regelrecht "besessen" gewesen sein. Auch Tim K. recherchierte vor der Tat im Internet umfangreich zu Amoktaten, insbesondere zu jenen in Erfurt und an der Columbine High School.

Nicht immer problematische Familienverhältnisse

Falsch ist der Mythos, dass Amoktäter immer aus problematischen Familienverhältnissen kämen. Häufig entstammen sie Elternhäusern, die unauffällig wirken. "Es sind in keiner Weise 'broken homes', sondern kleinbürgerliche Elternhäuser oder Mittelschichtfamilien, in denen ein gemeinsames Familienleben mit geregelten Mahlzeiten und Sorge um das Wohlergehen des Kindes festzustellen ist", schreibt die Gießener Strafrechtlerin Britta Bannenberg im Buch "Amok".

Eine zentrale Rolle – das Verhältnis zum Vater

Eine weitere Gemeinsamkeit: Fast alle Amoktäter hatten erfolgreichere und sozial besser integrierte Geschwister. Und: Auffällig war das Verhältnis zum Vater. In einigen Familien von Attentätern wird er als eher abwesend beschrieben. In anderen war er es auch physisch. Die Eltern von Adam Lanza, der am 14. Dezember 2012 in der amerikanischen Kleinstadt Newtown 28 Menschen ermordete, darunter 20 Kinder, hatten sich drei Jahre vor der Tat scheiden lassen, lebten bereits länger getrennt. Im Jahr darauf brach der Kontakt zwischen Vater und Sohn komplett ab. Beim Amokläufer von Uvalde ist in ersten Berichten nur von einer Mutter die Rede, die auch finanziell die Verantwortung für die Familie trug.

Ein abwesender Vater oder ein schwieriges Verhältnis zu diesem kann laut Psychologen bei jungen Männern häufig auch zu Problemen mit der eigenen männlichen Identität führen. Es sind keine positiven Vorbilder vorhanden.

Ein Amoklauf ist der Versuch, ultimative Macht zu beweisen und auszuüben. In zahlreichen Fällen übersahen die Eltern oder der Elternteil, bei dem der Täter lebte, Anzeichen einer drohenden Gefahr. In anderen Fällen reagierten sie gedanken- oder hilflos. Der Vater von Tim K., ein Unternehmer, versuchte, den schwierigen Kontakt zum Sohn durch die gemeinsame Waffenleidenschaft zu verbessern. Er bewahrte die Waffe, mit der Tim K. später Menschen erschoss, unverschlossen in seinem Schlafzimmer auf.

Eltern fällt es nicht nur schwer, sich einzugestehen, dass ihr Kind Hilfe braucht, sondern auch, dass sie ihm diese nicht geben können. Zehn Jahre nach dem Columbine-Attentat in den USA hat die Mutter von Dylan K. ihre Gefühle so beschrieben: "Ich habe geglaubt, dass wenn man jemanden so tief liebt wie ich meinen Sohn, man weiß, wenn er in Schwierigkeiten steckt. Dass meine Mutterinstinkte ausreichen würden, um ihn zu beschützen. Ich hatte keine Ahnung."

Verwendete Quellen
  • Britta Bannenberg (2010), Amok: Ursachen erkennen – Warnsignale verstehen – Katastrophen verhindern. Gütersloher Verlagshaus
  • Ralf Junkerjürgen und Isabella von Treskow (Hg./2015), Amok und Schulmassaker, transcript Verlag
  • Joachim Gaertner (2009), Ich bin voller Hass – und das liebe ich. Eichborn Verlag
  • Georg Milzner (2010), Die amerikanische Krankheit. Amoklauf als Symptom einer zerbrechenden Gesellschaft. Gütersloher Verlagshaus
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