Kolumne "Russendisko" Damit bringt Harris die Russen zur Verzweiflung
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Kamala Harris oder Donald Trump? Wer auch immer das Weiße Haus gewinnen wird, bekommt es mit einem Wladimir Putin zu tun, der auf Chaos setzt. Meint Wladimir Kaminer.
Das TV-Duell zwischen den beiden amerikanischen Präsidentschaftskandidaten wurde in Russland mit Synchronübersetzung übertragen und hatte mehr Zuschauer als Eishockeyspiele. Ich habe die Kommentare gelesen. Die Russen verzweifeln an Kamalas Lächeln.
Langsam wird der Bewerberin fürs Weiße Haus aber ihre Fröhlichkeit zum Verhängnis, zuerst hatte ein Schweizer Blatt ihr unterstellt, sie lächele nicht authentisch genug und wolle damit bloß ihre Unsicherheit kaschieren. Dann machte ihr plötzlich der russische Führer Wladimir Putin ein Kompliment. "Sie hat ein so ansteckendes Lächeln, dass man sofort mitlachen möchte", sagte Putin, ahmte es aber nicht nach.
Zur Person
Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit Jahrzehnten in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Sein neuestes Buch "Mahlzeit! Geschichten von Europas Tischen" erschien am 28. August 2024.
Bei der Menge Botox, die er sich gespritzt haben dürfte, darf er nur ganz vorsichtig grinsen. "Eine Person, die so gut lacht, kann kein schlechter Mensch sein", gab er als Antwort auf die Frage, welchen Präsidentschaftskandidaten in Amerika er unterstütze. Von Putin gelobt zu werden, bringt in Zeiten wie diesen keine Pluspunkte – und ist eine klare Einmischung in die US-Präsidentschaftswahl. Donald Trump bedankte sich bei Putin sofort für die kleine unterstützende Geste.
Doch eigentlich sagte Putin in diesem Fall ausnahmsweise die Wahrheit. Er setzt nicht auf den einen oder anderen Kandidaten, Putin ist insgesamt sehr daran interessiert, Amerika aus dem weltpolitischen Kontext zu tilgen, mindestens für eine Zeit lang. Sollte Kamala Harris wirklich die Präsidentschaftswahl im November gewinnen, wird ihr Widersacher seine Niederlage niemals akzeptieren.
"Biden" im russischen Fernsehen
Das gespaltene Land wäre dadurch an den Rand des Bürgerkrieges gebracht, die neue Administration müsste alles tun, um Tumulte zu vermeiden. Es könnte also durchaus passieren, dass Amerika mindestens für ein halbes Jahr vom internationalen Parkett verschwindet und sich nur um die eigenen Angelegenheiten kümmert. Nicht der eine oder der andere Kandidat, sondern das amerikanische Chaos ist Putins Freund.
Die sechs Monate möchte er dann nutzen, um die Ukraine in die Knie zu zwingen. Und der neue amerikanische Präsident, ganz egal ob Frau oder Mann, würde schließlich mit einem Sieger verhandeln müssen, nicht mit einem Verlierer. Es kommt nicht darauf an, wie ansteckend jemand lacht, sondern wann er das tut. Wer zuletzt lacht, lacht am besten.
Für Putin und ganz Russland gleichen amerikanische Politiker Schauspielern und Comedians, die eine gute Show liefern müssen: Das russische Fernsehen hat gerade eine aufwendige Comedyserie über Joe Biden produziert, sie heißt "Goodbye". Ich verrate an dieser Stelle etwas: Der Film wird sicher nicht in Deutschland gezeigt. Laut Drehbuch berät sich der amerikanische Präsident mit seiner CIA über die magische Widerstandsfähigkeit der Russen.
Dieser Mann im Weißen Haus kapiert nicht, weshalb die Russen trotz Sanktionen nicht nachgeben und wie sie überhaupt ohne amerikanische Waren, ohne McDonald’s und ohne Hollywood überleben können. Auf die einfachste Idee, dass Russland das reichste und größte Land der Welt sei, mit einer ungeheuer starken Wirtschaft, einem weisen Führer und eigenen Pelmeni, die besser als jede McDonald’s-Ware schmecken, kommen die Amerikaner in der Handlung der Serie nicht. Zu blöd.
Ohne Rubel nichts los
Also beschließt der Präsident im Laufe der Serie, inkognito nach Russland zu fliegen, um herauszufinden, wie er den Russen ein für alle Mal den Garaus machen kann. Das sagt der russische Biden und lacht sehr ansteckend. Der US-Präsident wird übrigens von einem Schauspieler dargestellt, der davor fast nur Schurken und Banditen spielte. Für diese Rolle hat er riesengroße amerikanische Zähne bekommen und lacht die ganze Zeit über. In Russland angekommen, wird der falsche Biden von gastfreundlichen Menschen mit Wodka abgefüllt, verliert seine Papiere und gerät in Not.
Denn niemand will ihm glauben, dass er amerikanischer Präsident ist. Die Rubel sind alle, Dollars sind verboten, also geht er in die Schule, um als Englischlehrer zu arbeiten. Langsam versteht diese Biden-Version, welch herzensgute Menschen die Russen sind und entdeckt sogar bei sich eine russische Seele. Der Film wurde von Gazprom-Media finanziert, einem Konzern, der zunächst fast 80 Prozent seiner Gewinne durch Putins Krieg verloren hat. Der Konzern ist aber deswegen dem Führer Putin nicht böse. Wenn die Russen über Biden abgelacht haben, wird Gazprom womöglich noch eine Serie über Kamala Harris oder Donald Trump drehen.
Nicht alle Schauspieler haben nach Beginn des Krieges das Land verlassen, ein paar sind noch geblieben, einige gute sogar, die sich für keinen Klamauk zu schade sind. Das Ganze erinnert an den alten sowjetischen Witz, wie sich Generalsekretär Breschnew und Präsident Reagan treffen.
"Wir haben bei uns absolute Meinungsfreiheit" sagt Reagan.
"Wir auch" sagt Breschnew.
"Bei uns darf jeder auf die Straße gehen und laut sagen, er finde Reagan scheiße," sagt Reagan.
"Bei uns auch", sagt Breschnew.
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Lauter Tabus
Die Russen dürfen ihren Präsidenten nicht abwählen, sie dürfen ihn nicht beschimpfen oder seine kognitiven Fähigkeiten infrage stellen. Dafür aber dürfen sie über den amerikanischen Präsidenten lachen, das entspannt. Und Amerikas Politiker bleiben unterhaltsam, sie bieten jede Menge Stoff für Seifenopern. Auch die Amerikaner lachen ihre Politiker halt gerne aus oder dreschen auf sie ein.
Zurzeit wird Kamala Harris als Kommunistin geschmäht, Elon Musk hat auf X ein KI-generiertes Foto von Harris in einer roten Uniform mit Hammer und Sichel veröffentlicht. Er warne Amerika vor einer kommunistischen Diktatur, fabulierte Musk dazu. Auf diese Weise lerne die amerikanische Jugend, was Kommunismus ist. Absurd, was Musk da nahelegt: Nicht die Arbeitslager, nicht Armut und Menschenverachtung seien der Kommunismus. Sondern eine Reichensteuer, dazu ein wenig positive Diskriminierung – sprich: Förderung von Minderheiten – und zusätzliche Investitionen in grüne Technologien. Wenn man es so dreht: eigentlich gar nicht so übel, dieser "Kommunismus".