Debatte der US-Vizekandidaten Ungleicher Kampf um den amerikanischen Traum
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Im Duell der Vizekandidaten tritt heute der bodenständige Tim Walz gegen J. D. Vance, den "Versteher der Vergessenen", an. Diese Debatte ist der letzte große Moment, um unentschiedene Wähler vor der Wahl zu gewinnen.
Bastian Brauns berichtet aus Washington
Beide stammen aus dem Herzen Amerikas, dem Mittleren Westen. Und beiden wollen der nächste Vizepräsident der Vereinigten Staaten werden. Das erste und einzige TV-Duell zwischen James David "J. D." Vance und Tim Walz an diesem Dienstagabend (Ortszeit) wird mehr sein als nur die Nebensache zweier Stellvertreter.
Mit J. D. Vance, dem republikanischen Senator aus Ohio, und Tim Walz, dem demokratischen Gouverneur von Minnesota, treffen zwei Männer aufeinander, die kaum unterschiedlicher sein könnten. Sie stehen nicht nur für ihre Parteien und ihre Kandidaten Donald Trump und Kamala Harris, sondern damit auch für zwei vollkommen konträre Vorstellungen von Amerikas Zukunft.
Nicht nur die Wählerinnen und Wähler aus dem Mittleren Westen, die traditionell als entscheidend für den Wahlausgang gelten, werden dabei genau hinsehen. Sondern womöglich auch die vielen noch immer unentschiedenen Menschen in den wahlentscheidenden Swing States.
Zwar werden wohl weniger Amerikaner einschalten als bei der Debatte zwischen Donald Trump und Kamala Harris im vergangenen Monat. Aber auch bei der traditionellen Vize-Präsidentschaftsdebatte dieser entscheidenden Richtungswahl in den USA schauen die Menschen das Duell nicht nur in ihren Wohnzimmern. Während Walz und Vance im CBS Broadcast Center in New York um die Gunst der Wähler ringen, werden viele Zuschauer den Schlagabtausch in zahlreichen Kneipen im ganzen Land bei Bier und Chickenwings verfolgen.
Der "Hillbilly Elegy"-Autor und seine umstrittenen Aussagen
J. D. Vance, der im Jahr 2022 in den Senat gewählt wurde, ist noch immer relativ neu auf der politischen Bühne. Doch schon jetzt gehört er zu jenen Politikern, die wohl die größten Kontroversen auslösen. Bekanntheit erlangte J. D. Vance ursprünglich durch sein Buch "Hillbilly Elegy". Ein Werk, das einen düsteren Blick auf das Leben in Amerikas ländlichen Gebieten wirft und von vielen als ein wichtiger Erklärungsversuch für die Wut der weißen Arbeiterklasse angesehen wird, die Donald Trump schon im Jahr 2016 ins Weiße Haus getragen hatte. Auch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat dieses Buch einst gelesen.
"Hillbilly Elegy" machte Vance zum Star. Und die Trump-Kampagne versucht, auf diesen Erfolg von Vance als dem "Versteher der Vergessenen" aufzubauen. Ein am Tag der Debatte der Vize-Kandidaten veröffentlichter Wahlkampfspot soll diese Strategie verstärken.
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Tatsächlich gehört Vance längst zur reichen Oberschicht Amerikas. Als Politiker ist er vorwiegend bekannt für seine kulturkämpferischen Aussagen. Zuletzt erfuhr er heftige Kritik für seine abfälligen Bemerkungen über "kinderlose Katzenfrauen", die Amerikas Zukunft gefährden würden. Vance fantasierte auch darüber, ob Amerikaner, die hingegen Kinder bekommen, womöglich auch mehr Wahlrechte bekommen sollten.
Besonders problematisch waren zuletzt seine rassistischen Falschbehauptungen, wonach haitianische Migranten in der Stadt Springfield, in seinem Heimatbundesstaat Ohio, Haustiere essen würden – eine Lüge, die von den örtlichen Behörden vehement dementiert wurde. Vance selbst gestand kürzlich sogar in einem Interview ein, dass er "Geschichten erschaffen" würde, um mediale Aufmerksamkeit zu erregen, was ihm weitere Kritik einbrachte. (Mehr dazu lesen Sie hier)
Kommentare wie diese machten ihn schon früh zur Zielscheibe von Spott aus dem gegnerischen politischen Lager und führten insgesamt dazu, dass seine Beliebtheit in Umfragen relativ schwach ist – seine negativen Bewertungen überwiegen die positiven deutlich.
Der Volksnahe aus Minnesota mit stabiler Basis
Auf der anderen Seite steht Tim Walz, der zwar seit etlichen Jahren politisch aktiv ist. Bis zu seiner Ernennung als Vizekandidat war der Gouverneur außerhalb von Minnesota allerdings weitgehend unbekannt. Walz, ein ehemaliger Lehrer und Footballtrainer, verkörpert den bodenständigen, volksnahen Politiker, der stark auf Gemeinschaft und Fürsorge setzt. Seine Beliebtheitswerte sind stabil, und er hat sich als ruhiger, sachorientierter Gegenpol zu Vance positioniert. Er gilt nicht zuletzt auch als eine Art Geheimwaffe gegen Donald Trump.
Walz hat allerdings auch mit eigenen Herausforderungen zu kämpfen. Zum einen haben ihm falsche Aussagen zu seiner militärischen Laufbahn deutliche Kritik nicht nur von politischen Gegnern eingehandelt. Walz hatte fälschlicherweise den Anschein erweckt, in Afghanistan gekämpft zu haben. Ungenauigkeiten in Bezug auf eine medizinische Schwangerschaftsunterstützung bei ihm und seiner Frau kamen hinzu. Ansonsten versuchen die Republikaner, ihn als Kommunisten zu brandmarken, weil er zu enge Beziehungen zu China pflege und Amerika viel zu weit nach links würde führen wollen.
Die Bedeutung der Debatte: Mehr als nur eine Show?
Laut statistischen Erhebungen haben Vizepräsidentschaftsdebatten selten den Wahlausgang entscheidend beeinflusst. Allerdings sind solche Auswirkungen auch kaum tragbar zu messen. Denn auch sie können eine Dynamik entfachen, die den Verlauf des Wahlkampfs verändern kann. Gerade in diesem Jahr, inmitten von wirtschaftlicher Unsicherheit, einem Klima der politischen Spaltung und einer schwelenden Diskussion um Abtreibungsrechte könnte gerade diese Debatte mehr Einfluss haben, als viele erwarten.
Denn Walz und Vance kämpfen auf mehreren Ebenen um Einfluss:
Die Mobilisierung der Basis: Für den Wahlerfolg ist es für Demokraten und Republikaner entscheidend, die eigenen Wähler flächendeckend zum Wählen zu motivieren. Auch Vance und Walz haben dabei die Aufgabe, zu versuchen, die Kernwähler ihrer Parteien zu aktivieren. Vance wird darum insbesondere versuchen, die konservativen, kulturkämpferischen Wähler zu mobilisieren. Walz muss den moderaten und progressiven Flügel der Demokraten ansprechen.
Die Unabhängigen gewinnen: Vor allem in den Schlüsselstaaten des Mittleren Westens spielen unabhängige Wähler eine entscheidende Rolle. Walz wird versuchen, mit seiner moderaten und pragmatischen Politik zu punkten, während Vance hofft, durch populistische Rhetorik die wirtschaftlichen Sorgen vieler dieser Wähler aufzugreifen, also seine alte Stärke als "Versteher der Vergessenen" auszuspielen.
Das Abtreibungsthema: Seit der Aufhebung des Grundsatzurteils "Roe v. Wade" ist das Thema der Abtreibungsrechte zu einem entscheidenden Faktor im Wahlkampf geworden. Hier könnte ein großer Vorteil für Walz liegen, die Rechte von Frauen in den Mittelpunkt zu stellen. Vance hingegen wird sich gezwungen sehen, nicht nur die eigene radikale Position, sondern auch die zahlreichen Widersprüche in seinem eigenen politischen Lager zu erklären.
Der Wirtschaftskampf: Beide Kandidaten werden wahrscheinlich viel Zeit darauf verwenden, über die wirtschaftliche Situation der Amerikaner zu sprechen. J. D. Vance wird dabei wohl vorwiegend die hohen Preise und die damit verbundene wirtschaftliche Unsicherheit der Biden/Harris-Ära anprangern. Walz wird hingegen auf die positiven Entwicklungen wie die niedrige Arbeitslosigkeit und steigende Löhne hinweisen.
Die Frage nach der Authentizität: Beide Kandidaten stehen vor der Herausforderung, als authentische Vertreter der Mittelschicht wahrgenommen zu werden. Walz hat hier aufgrund seiner langjährigen politischen Erfahrung und seiner bodenständigen Herkunft einen Vorteil. Vance hingegen wird versuchen, seine Geschichte als Selfmademan und Anwalt, der es aus der ländlichen Arbeiterklasse nach ganz oben geschafft hat, in den Vordergrund zu stellen. Vance ist ein Mann, der für den American Dream steht. Walz ist ein Mann, der die American Reality zu managen versucht.
Die entscheidende Rolle der Swing States: Die Bundesstaaten Wisconsin, Michigan und Pennsylvania sind Teil der sogenannten Blue Wall und gelten als Schlüssel zur Präsidentschaft. Gerade hier, in einer Region, die oft als der politische Spiegel des Landes angesehen wird, werden Walz und Vance besonders genau beobachtet.
Walz, der sich als bodenständiger und volksnaher Vertreter des Mittleren Westens inszeniert, spricht in diesen Bundesstaaten vorwiegend Familien, Lehrer und gewerkschaftlich organisierte Arbeiter an. In Staaten, in denen die Demokraten traditionell stark waren, in den vergangenen Jahren aber immer häufiger Trump wählten, könnte Walz Wähler ansprechen.
J. D. Vance hingegen spricht eine ganz andere Wählerschaft an: ländliche und weiße Arbeiter, die sich von einer globalisierten Wirtschaft und Lebensweise abgehängt fühlen. Seine harte Rhetorik gegen Einwanderung, seine populistische Linie und sein Fokus auf Themen wie Drogenmissbrauch und Arbeitslosigkeit treffen die Lebensrealität vieler Amerikaner in den Swing States. Die Frage bleibt aber, ob Vance darüber hinaus Wählergruppen erreichen kann, die zwischen Großstadt und Einöde leben, also in den Vorstädten und kleineren Städten. Es sind genau jene Wähler, die oft den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ausmachen.
Nach der Vize-Debatte: Ein Moment der Klarheit?
Ob diese Stellvertreter-Debatte den Wahlkampf entscheidend beeinflussen kann, werden insbesondere die ersten Umfragen kurz nach Abschluss des TV-Duells zeigen. Klar ist: Sie bietet eine seltene Gelegenheit, die beiden möglichen Vizepräsidenten im direkten Vergleich zu sehen – zwei Männer, die trotz ihrer unterschiedlichen Biografien und politischen Philosophien beide für das Gleiche kämpfen: die Zukunft Amerikas, speziell im Mittleren Westen.
Weil es wohl kein weiteres Aufeinandertreffen von Kamala Harris und Donald Trump geben wird, könnte die Vize-Debatte das letzte größere nationale Wahlkampfereignis vor der US-Wahl sein. Damit ist es eine der letzten Chancen, unentschlossene Wähler zu überzeugen. Umso wichtiger wird es für Vance und Walz, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, der bis zum kommenden 5. November tragen kann.
- Eigene Überlegungen und Recherchen
- cbsnews.com: "Tim Walz and JD Vance's 2024 VP debate is tomorrow. Here's what to know." (Englisch)