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Fall Özil – Reinhard Grindel im Fokus: Wie tickt der DFB-Chef?


Özils Vorwürfe gegen Grindel
Kriterien, ein Deutscher zu sein

Eine Analyse von Jonas Schaible

Aktualisiert am 23.07.2018Lesedauer: 6 Min.
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Mesut Özil (2.v.l.) und DFB-Präsident Reinhard Grindel (m.): Warum stützte er Özil nicht?Vergrößern des Bildes
Mesut Özil (2.v.l.) und DFB-Präsident Reinhard Grindel (m.): Warum stützte er Özil nicht? (Quelle: Getty Images/DFB//dpa)

Mesut Özil wirft dem DFB-Präsidenten vor, ihn nur im Erfolg als Deutschen zu akzeptieren. Welche Positionen vertritt Reinhard Grindel? Eine Suche in alten Reden.

Mesut Özils Erklärung, nicht mehr für die Nationalmannschaft spielen zu wollen, hat mehrere Debatten eröffnet. Eine handelt von rassistischen Strukturen in Deutschland. Die zweite kreist um den DFB-Präsidenten Reinhard Grindel.

Ihn kritisiert Özil besonders: "Ich weiß, dass er mich nach dem Foto aus der Mannschaft haben wollte", schreibt Özil. Und weiter: "In den Augen von Grindel und seinen Unterstützern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen, aber ein Einwanderer, wenn wir verlieren." Später fragt er: "Gibt es Kriterien dafür, ein vollwertiger Deutscher zu sein, die ich nicht erfülle?"

In vielen Medien wurden diese Aussagen zusammengefasst als: Özil werfe Grindel Rassismus vor.

Eine naheliegende Frage könnte daher lauten: Ist Grindel wirklich Rassist? Allerdings ist diese Frage an sich problematisch. Es gibt nur wenige überzeugte Rassisten mit geschlossenem Weltbild. Nationalsozialisten beispielsweise. Die meisten Menschen haben so ein geschlossenes Weltbild nicht. Sie würden zu Recht von sich weisen, Rassisten zu sein. Aber manchmal sagen oder tun sie dennoch Dinge, die rassistisch sind. Mal absichtlich, oft ohne darüber nachzudenken.

Dass Grindel ein geschlossenes rassistisches Weltbild pflegt, hat ihm Özil nicht unterstellt. Wer sich dennoch auf die Suche nach Anhaltspunkten macht, findet keine Belege dafür, dass Grindel ein überzeugter menschenfeindlicher Rassist ist. Im Gegenteil: Am 20. Januar, dem Tag der Befreiung von Auschwitz, posierte Grindel mit einem Schild, auf dem #weremember steht: Wir erinnern uns. Er markierte auch ein Foto auf Facebook mit "Gefällt mir", das eine "Schule ohne Rassismus" bewirbt. Als DFB-Chef warb er für Toleranz. In all den Jahren wurden keine skandalösen Aussagen bekannt.

Das heißt aber eben nicht, dass er nicht vielleicht doch Positionen vertritt, die es Menschen wie Özil schwer machen. Wer sich von der Frage löst, ob Grindel durch und durch Rassist sei, und wer dann in Plenarprotokollen wühlt, findet aufschlussreiche Reden. Sie geben Hinweise darauf, wie Grindel denkt. Warum er Özil nicht stützte – und sie legen nahe, dass ein Vorwurf nicht unplausibel ist: der nämlich, für Grindel seien nicht alle gebürtigen Deutschen selbstverständlich Deutsche.

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"Multikulti ist in Wahrheit Kuddelmuddel"

Özil selbst verweist auf eine Rede im Bundestag vom 2. Dezember 2004. Grindel, der von 2002 bis 2016 für die CDU Abgeordneter war, sagte in dieser Rede unter anderem: "Multikulti ist in Wahrheit Kuddelmuddel. Es ist eine Lebenslüge." Damit bewegt sich Grindel, der innenpolitisch als Hardliner galt, noch auf der Linie seiner Parteichefin Angela Merkel. Sie sagte 2010: "Multikulti ist gescheitert, absolut gescheitert."

In derselben Rede griff Grindel die damalige rot-grüne Bundesregierung an, die im Jahr 1999 ein neues Staatsbürgerschaftsrecht verabschiedet hatte – und diese Passage ist für die aktuelle Debatte weit aufschlussreicher.

Bis zum Jahr 2000 galt stets: Deutscher ist, wer von Deutschen abstammt. Man nennt dieses Prinzip "ius sanguinis", wörtlich: das "Recht des Blutes", oder Abstammungsprinzip. Mit der Reform führte Rot-Grün erstmals in Deutschland das so genannte "ius soli" ein, das "Recht des Bodens", auch Geburtsortprinzip genannt. Es besagt im Kern: Wer in Deutschland geboren ist, ist Deutscher. Es galt allerdings mit einigen Einschränkungen, zum Beispiel wenn ein Elternteil seit mindestens acht Jahren in Deutschland lebte. Aber es löste doch Nationalität von Herkunft.

Grindel kämpfte vehement gegen den Doppelpass

Mit dem ius soli kam auch der "Doppelpass". Kinder von Ausländern, die in Deutschland geboren wurden, konnten von da an zwei Staatsbürgerschaften haben: eine deutsche und zum Beispiel eine türkische. Erst mit 23 Jahren sollten sie entscheiden, welchen Pass sie behalten möchten – das war die so genannte Optionspflicht. (Für Özil galt all das nicht, weil er 1988 geboren wurde und die Reform rückwirkend nur bis zum Jahrgang 1990 galt).

Die CDU hatte von Anfang an heftig gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gekämpft. Und noch heftiger gegen Forderungen, die Optionspflicht abzuschaffen und also dauerhaft die doppelte Staatsbürgerschaft zu ermöglichen. Besonders intensiv kämpfte: Reinhard Grindel.

Deutscher & Türke – ein Loyalitätskonflikt?

In einer Rede im Jahr 2009 begründete er seine Haltung: "Wir lehnen die doppelte Staatsbürgerschaft auch wegen der Loyalitätskonflikte, die sich daraus ergeben, ab." Im Jahr 2013 sagte er: "Wer Ja zu Deutschland sagt, wer gerne bei uns leben will, von dem kann ich auch die Entscheidung für die deutsche Staatsbürgerschaft unter Ablegung seiner alten Staatsbürgerschaft erwarten." Denn: "Wenn wir auf Dauer zulassen, dass es auch bei der Staatsbürgerschaft ein Nebeneinander gibt, sogar mit unterschiedlichen Loyalitäten – ich erinnere an ein entsprechendes Zitat von Erdogan –, dann führt das in die Irre."

Besonders gelte das, sagte er, für die Türkei: "Wir sind in einer Wertegemeinschaft mit Schweden, Österreich und allen anderen EU-Ländern. Deswegen sagen wir: Deren Staatsbürger können, wenn sie es wollen, beide Staatsbürgerschaften beibehalten. Aber von der Türkei sind wir meilenwert entfernt."

Liest man all das, überrascht es nicht mehr, dass Grindel Özil fallen ließ.

Özil ließ Loyalität zur Türkei erkennen

Dabei hat sich Özil aktiv für Deutschland entschieden; seine türkische Staatsbürgerschaft gab er freiwillig ab. Aber dass er, wie viele andere, die Nationalhymne vor Länderspielen nicht mitsang; dass er während der Hymne nach eigener Auskunft betete; und dass er durch das Foto mit Erdogan Loyalität zur Türkei erkennen ließ – all das müsste Grindel arg verstimmt haben. Dass Grindel Özil wirklich aus der Mannschaft haben wollte, ist damit nicht belegt. Aber es würde nicht überraschen.

Grindels Ausführungen zum Doppelpass im Bundestag sind auch erhellend, wenn es um Özils Vorwurf geht, er sei von Grindel nicht selbstverständlich als Deutscher akzeptiert worden.

"Nichts von den Ausländern verlangen"

Eine Forderung Grindels, die sich mehrfach in Plenarprotokollen findet, lautet, wie aus dem Jahr 2009: "Die Einbürgerung steht am Ende und nicht am Anfang eines gelungenen Integrationsprozesses." Davon ausgehend sprach er sich dagegen aus, dass Kinder ausländischer Eltern einen deutschen Pass bekommen, nur weil sie in Deutschland geboren wurden. So war es aber im Regelfall nach der rot-grünen Reform.

Am 2. Juli 2009 debattierte der Bundestag über die mögliche Abschaffung der Optionspflicht. Sie hätte es Menschen ermöglicht, zwei Pässe zu behalten. Grindel lehnte das ab: "Der Kampf um die doppelte Staatsbürgerschaft kommt mir vor wie der letzte Kampf der Multikultigläubigen; nichts von den Ausländern verlangen, alles dulden, und der fromme Glaube: Wer in Deutschland geboren ist, der integriert sich automatisch."

Zwei Arten von Kindern

Weiter Grindel: "Anders als bei der Einbürgerung muss der Optionsverpflichtete keinerlei Integrationsleistungen erbringen. Er muss nicht deutsch sprechen können. Er kann kriminell sein. Das Grundgesetz muss er auch nicht achten." Daher sei wenigstens das Bekenntnis zu Deutschland nötig, also die Aufgabe der zweiten Staatsangehörigkeit.

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Diesen Zitaten liegt offensichtlich ein Gedanke zugrunde: Es gibt zwei Arten von Kindern, die in Deutschland geboren werden. Die einen sind Kinder von Deutschen – sie müssen nichts dafür tun, um deutsch zu sein. Die anderen sind Kinder von Ausländern – sie müssen sich den deutschen Pass verdienen, von ihnen muss man eine Gegenleistung verlangen.

In einer Rede aus dem Jahr 2004 wetterte Grindel gegen die "Optionsregelung (...), mit der ausländische Kinder Deutsche werden können, ohne Deutsch sprechen zu können". Die Kinder, von denen er sprach, waren aber nach dem Gesetz seit ihrer Geburt (auch) Deutsche. Zu einem Zeitpunkt, an dem sie wie alle Deutschen noch gar nicht sprechen konnten. Weder Deutsch noch eine andere Sprache.

Zwei Debatten fließen zusammen

Man könnte sagen: In Grindels Argumentation aus diesen Jahren galt das Abstammungsrecht noch, als es längst abgeschafft war. Er trennte zwischen Deutschen dem Gesetz nach und irgendwie echten Deutschen.

Ob er das wirklich glaubte und wenn ja, ob er heute noch so denkt, weiß nur er selbst. Dass er öffentlich Deutschen mit nicht-deutschen Eltern mehr abverlangte, um als Deutsche akzeptiert zu werden, ist aber offenkundig.

An dieser Stelle fließen die beiden Debatten wieder zusammen: Die um Reinhard Grindel und die um rassistische Strukturen in Deutschland. Grindel sprach im Bundestag für seine Partei, die CDU. Er zeigte, in Özils Worten, dass es für viele tatsächlich Kriterien fürs Deutschsein gibt, die Özil nicht erfüllt.

Verwendete Quellen
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