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Wie Rechte das Wende-Motto zur Hassparole machen


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"Wir sind das Volk"
Wie Rechte das Wende-Motto zur Hassparole machen

MeinungEin Gastbeitrag von Robert Feustel

Aktualisiert am 30.08.2018Lesedauer: 5 Min.
Eine Demo der Rechten in Berlin. Immer wieder betonen die Populisten, dass die Verhältnisse in Deutschland denen in der DDR gleichen.Vergrößern des Bildes
Eine Demo der Rechten in Berlin. Immer wieder betonen die Populisten, dass die Verhältnisse in Deutschland denen in der DDR gleichen. (Quelle: IPON/imago-images-bilder)

Die neuen Rechten schmücken sich mit dem berühmten Spruch zur Wende. Dabei haben sie seine Botschaft nicht verstanden.

Seit Pegida in Dresden für Wirbel sorgt, hat der wohl wichtigste Slogan von 1989 "Wir sind das Volk" im Osten wieder Konjunktur. Wenn ihn gegenwärtig Rechtspopulisten im Chor mit Neonazis skandieren wie unlängst in Chemnitz zu beobachten, schlagen sie gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe.

Sie erinnern assoziativ an die Wende, also an einen Konflikt zwischen einem entrechteten Volk und einem diktatorischen Staat. Die aktuelle Verwendung des Spruchs deutet also eine Dringlichkeit an, die jener von damals in nichts nachstehe. Die Bundesrepublik sei wie das SED-Regime oder schlimmer und müsse gestürzt werden.

Ungeachtet aller tatsächlichen politischen und sozialen Schieflagen ist die Gleichsetzung abenteuerlich, triggert aber Emotionen und verstärkt den ohnehin schon grassierenden Opfermythos rechter Akteure. Allerdings gibt es einen wichtigen Unterschied zu 1989: Das Volk ist nicht immer das Volk gewesen, und die Oppositionellen von damals meinten damit etwas ziemlich anderes als die Rechten von heute, selbst wenn sich einige Bürgerrechtler von einst mittlerweile rechts einreihen. Zwei Varianten des Begriffs Volk überlagern sich gegenwärtig, eine soziale und eine völkische.

Das Volk waren einfache Leute, keine Nationen

Im deutschen Sprachraum ist das Wort Volk seit dem Mittelalter belegt. Es bedeutete soviel wie Menge. In Begriffen wie voll, viele oder Pulk klingt es durch. Eine Blutsverwandtschaft oder eine kulturell geschlossene Gemeinschaft war dieses Volk jedoch nicht. Vielmehr umschrieb das Wort die einfachen Leute, die Dorf- und Stadtbewohner ohne Adelsrang oder klerikale Position. Das Volk war eine soziale Schicht und zog seine Grenze nicht zu anderen Völkern. Vielmehr bestand es aus den einfachen Menschen, die von Zeit zu Zeit Widerstand gegen die Obrigkeit, gegen Staat und Klerus, leisteten.

Wenn heute von Popkultur oder dem Pöbel die Rede ist, klingt dieser soziale Volksbegriff durch, der im Herbst 1989 zur Mobilisierung der Massen eine zentrale Rolle spielte. Wenn rechte Akteure heute wieder "Wir sind das Volk" skandieren, hat dies wenig mit 1989 zu tun. Zwar wird die Nähe zwischen damals und heute unablässig betont. Die Penetranz jedoch, mit der die Vergleiche gezogen werden, zeigt schon, wie wenig das eine mit den anderen zu tun hat: Was nicht ist, muss lauthals herbeigeredet werden. Zwar signalisiert der Spruch erneut, für die Gesamtheit des Volkes zu sprechen.

Deutschland ist eine Realfiktion

Gemeint ist allerdings eine andere Vorstellung von Volk, die 1989 zunächst nicht von Bedeutung war. Mit "Wir sind das Volk" wird dieser Tage auf ein authentisches, echtes oder wahres Volk verwiesen, in Abgrenzung zur Vielheit der Bevölkerung, zu Menschen mit Migrationsgeschichte und politischen Gegnern. Letztere werden unvermittelt und explizit zu "Volksverrätern", einem Nazi-Begriff und Straftatbestand zu Zeiten des Nationalsozialismus.

Das rechte Lager macht sich also einen Begriff von Volk zu eigen, der im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts geprägt wurde. Also zu jener Zeit, als Sozialdarwinismus und Rassenwahn salonfähig wurden und "das Volk" zum homogenen, reinrassigen Staatsvolk mutierte. Das Zerrbild einer geschlossenen, natürlichen Gemeinschaft, die es historisch genauer besehen nie gab und nie geben kann, hieß fortan auch Volk.

Seither überlagert das nationale Konstrukt, die imaginierte biologische Gemeinschaft, den älteren sozialen Volksbegriff. Dieses völkische Denken war allerdings immer schon auf Sand gebaut. Staat und Volk, Regierung und Masse waren nie natürliche Lebewesen, die nur zu sich finden müssten.

Vielmehr ist Deutschland das, was die Geschichtswissenschaft als Realfiktion kennt: Eine gedachte Gemeinschaft, die irgendwann Realität wurde, aber kein natürliches Fundament und keine authentische Kultur hat. Sprache, Werte und so weiter sind vielfältig und immer im Übergang begriffen, sie verändern sich permanent: Deutschland ist ein komplexes Gebilde jüngeren Datums, das nie etwas anderes war als Vielheit. Wenn es geschichtliche Konstanten gibt, dann sind sie Migration und Veränderung. Das verbindende Element in Deutschland ist bestenfalls eine Sprache, die jedoch selbst nicht natürlich und sprachgeschichtlich nichts anderes ist als eine Kombination vielfältiger sprachlicher und politischer Einflüsse (wie alle anderen Sprachen auch).

Dieses Denken hinterlässt verbrannte Erde

Die völkische Schließung bleibt also ein irrationales Wunschbild, dessen Übersetzung in Tagespolitik unmöglich ist und daher über kurz oder lang katastrophale Folgen hat. Der Nationalsozialismus zeigt dies ziemlich eindrucksvoll: Der Wahn der reinen Rasse und des reinen Staatsvolkes richtete sich nach außen wie nach innen und hinterließ verbrannte Erde. Es ist ein gefährlicher Trugschluss zu glauben, dass die Zeit von 1933 bis 1945 nur ein bitterer Fehler einer an sich selbstverständlichen Nationalgeschichte sei. Ganz im Gegenteil: Die Vorstellung einer natürlichen Nation und eines natürlichen und homogenen Volkes – also die Verwechslung von Geschichte und Natur – sind die Basis für den völkisch-nationalistischen Irrweg.

Nicht zufällig mischen sich heute immer wieder die Sprechchöre "Wir sind das Volk" mit Hitlergrüßen. Ohne Zweifel sind nicht alle Menschen Nazis, die in Dresden, Chemnitz oder wo auch immer besorgt demonstrieren. Berührungsängste gibt es jedoch keine. Und die falsche Annahme, es sei so selbstverständlich wie vernünftig, dass sich das deutsche Volk "verteidigen" müsse, teilen alle. Wer schließlich Geschichte oder Politik mit Natur verwechselt, muss die eigene Haltung nicht mehr als politisch und damit streitbar deuten; es reicht der Verweis auf das natürliche Recht zur Selbstverteidigung.

Das Etikett "rechts" lässt sich auf diesem Weg leichtfüßig ablehnen. Was biologisch oder natürlich notwendig ist, kann nicht politische Verhandlungsmasse sein, also Gegenstand unterschiedlicher legitimer Ansichten. Diese Logik erlaubt es etwa den Demonstranten in Chemnitz, rechte Parolen zu grölen und gleichzeitig im Brustton tiefster Überzeugung zu behaupten, sie seien nicht rechts. Demokratisch ist das freilich nicht.

Fantasie einer natürlichen Gemeinschaft ist nicht neu

Bleibt die Frage, warum gerade derzeit ein nationalistisches Identitätsangebot einen solchen Sog hervorrufen kann. Dafür gibt es sicher viele Gründe: Spätkapitalistische oder neoliberale Verwerfungen, eine immens auseinanderklaffende soziale Schere, unklare Zukunftsperspektiven und eine durch neue Medien und die globale Vernetzung chaotische oder chaotisch erscheinende Welt.

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All das (und sicherlich einiges mehr) führt dazu, dass das Phantasma einer natürlichen Gemeinschaft reaktiviert wird. Reaktiviert, weil es nicht wirklich weg oder überwunden war. Auch vor knapp 30 Jahren hat es seine Rolle gespielt und als nationale Einheitserzählung das Revolutionsgeschehen blitzartig übernommen: Unmittelbar nach dem 9. November 1989 tönte nicht mehr "Wir sind das Volk", sondern "Wir sind ein Volk" durch die Straßen, und die nationale Einheitsbegeisterung überlagerte die soziale und politische Revolution.

Robert Feustel ist Politikwissenschaftler und Historiker, arbeitet am Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena und forscht zur Geschichte des Wissens und zum Rechtspopulismus. Er ist Mitautor und Mitherausgeber des Wörterbuchs des besorgten Bürgers (Ventil-Verlag, 3. Auflage 2018)

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