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Kampf gegen Corona-Krise – Angela Merkel wird Teil des Problems


Kampf gegen Corona
Merkel wird Teil des Problems

  • Lamya Kaddor
MeinungVon Lamya Kaddor

Aktualisiert am 21.01.2021Lesedauer: 5 Min.
Meinung
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Angela Merkel: Eine alleine, die maßgeblich die Pandemie-Politik steuert? Das muss sich ändern, findet unsere Autorin.Vergrößern des Bildes
Angela Merkel: Eine alleine, die maßgeblich die Pandemie-Politik steuert? Das muss sich ändern, findet unsere Autorin. (Quelle: Steffen Kugler/Bundesregierung/dpa)

Die Bund-Länder-Konferenzen in der Corona-Krise weckten zuletzt viel Unmut und lieferten wenig überzeugende Ergebnisse. Daran ist Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht ganz unschuldig. Zeit für grundsätzliche Veränderungen, findet unsere Kolumnistin.

Angela Merkel versucht, eisern ihren Weg zu gehen und ihre Vorstellungen in der Corona-Pandemie durchzusetzen. Das klappt seit einigen Monaten nur mehr schlecht als recht. Bei jedem Treffen zwischen ihr und den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten gibt es mehr Zoff. "Ich lasse mir nicht anhängen, dass ich Kinder quäle oder Arbeitnehmerrechte missachte", soll die Kanzlerin Medienberichten zufolge während der Bund-Länder-Konferenz am Dienstag gepoltert haben. "Es geht langsam an die Substanz", sagte Bayerns Regierungschef Markus Söder auf der anschließenden Pressekonferenz.

Offenkundig ist endgültig die Zeit gekommen, grundlegende Entscheidungen über weitere Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie in die Verantwortung des Bundestags zu legen, wie es Oppositionsparteien schon seit Monaten fordern. Die Abgeordneten sollten das Heft des Handelns an sich nehmen und künftig die Impulse zur Krisenbewältigung geben. Seit fast einem Jahr versucht Angela Merkel mit ihren Bund-Länder-Konferenzen eine Art exekutives Verordnungsregime aufrechtzuerhalten, wie es der Frankfurter Rechtsphilosoph Uwe Volkmann nennt. In den ersten Monaten dieser schlimmsten Krise in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg war das angesichts der Überwältigung aller Beteiligten durch das Coronavirus richtig und nachvollziehbar. Im Frühjahr 2020 war die Zeit zum Handeln, nicht zum Diskutieren.

Der Bundestag muss übernehmen

Die mangelhaften Ergebnisse dieser Runden zwingen nun zum Umdenken, und gesetzt den Fall die Corona-Krise würde noch ein Jahr weitergehen, oder gar zwei, drei oder mehr: Wie lange sollen die Bund-Länder-Konferenzen und damit die Umgehung der Parlamente dann noch andauern?

Der Bundestag hätte schon nach dem Sommer übernehmen können, Zeit genug wäre gewesen. Doch Angela Merkel lässt das bis heute nicht zu, in jedem Fall setzt sie sich nicht offen dafür ein. Über die Gründe kann man nur spekulieren. Vielleicht ist ihr zu Kopf gestiegen, dass so viele Menschen der Meinung sind, sie habe die Probleme der vergangenen Jahre (wie Finanz- und Flüchtlingskrise oder die während der jüngsten deutschen EU-Ratspräsidentschaft) quasi im Alleingang gelöst, oder dass sie oft eindrücklich recht behalten hat wie mit ihrer zunächst belächelten Horrorprognose von täglich 20.000 Corona-Neuinfektionen bis Weihnachten, die dann tatsächlich schon Wochen vorher erreicht wurde.

Vielleicht will sie unbedingt als Kanzlerin in die Geschichte eingehen, die auch noch die Corona-Krise bewältigt hat. Vielleicht ist sie der Meinung, nur die Exekutive könne zeitnah die nötigen Entscheidungen treffen; allein die Fehler der vergangenen Wochen stehen dagegen. Wie dem auch sei, Angela Merkel, auf die man sich so lange verlassen konnte, wird zu einem Teil des Problems.

Jedes Land macht, was es will

Die Kanzlerin knallt nicht nur immer öfter und immer heftiger mit den Länderchefinnen und -chefs zusammen, sie kann sich auch nicht mehr durchsetzen. Sobald die Treffen beendet sind, melden die ersten Länder Einsprüche an, kippen Vereinbarungen gleich ganz oder verschärfen sie einseitig. Kurz: Jedes Land macht, was es will. Das sind untrügliche Zeichen dafür, dass die Vorgehensweise nicht mehr funktioniert. Die Bund-Länder-Konferenzen als zentrale Schaltstelle der Pandemie können nicht von Dauer sein. Unsere Bundeskanzlerin scheint das nicht zu bemerken oder nicht wahrhaben zu wollen und vermittelt weiterhin die Attitüde, sie allein habe den Durchblick – sie und der ausgewählte Kreis ihrer wissenschaftlichen Beraterinnen und Berater.

Die Anzeichen für das Durcheinander, das die Bund-Länder-Konferenzen produzieren, sind schon lange zu sehen: regulatorische Flickenteppiche, ineffektive Maßnahmen, unzureichende Nothilfen. Noch während der ersten Welle nutzten die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten die Bühne, um ihre Profile für etwaige Wahlkämpfe zu schärfen: Söder der Lockdown-Antreiber, NRW-Ministerpräsident Armin Laschet der Lockdown-Lockerer. Es ist nicht allein Angela Merkels Schuld, dass sich das Format überlebt hat. Es ist jedoch in erster Linie an ihr, dies zu erkennen und entsprechend zu handeln.

Merkels Kurs schlingert schon seit Juni

Der politische Zug, mit dem das Land anfangs so gut durch die Pandemie gefahren ist, geriet ab Juni ins Stocken. Die Fehler begannen mit der nahezu uneingeschränkten Erlaubnis für Bürgerinnen und Bürger, Urlaub zu machen, und der viel zu späten Einführung von Pflichttests für Reiserückkehrer. Das Drama setzte sich fort mit den viel zu schwachen Corona-Maßnahmen, die Ende Oktober beschlossen wurden, den unzulänglichen Nachsteuerungen, dem Trauerspiel um Ausnahmen zu Weihnachten, mit den Impfstoff-Problemen und einigem mehr inklusive verheerender Kommunikationsfehler.

Gleich am Dienstagabend stellte sich etwa Kanzleramtschef Helge Braun hin und verkündete, das Land hätte nun gute Chancen auf Lockerungen nach dem 14. Februar. Solche Aussagen sind fatal. Er sollte sie sich sparen. Was, wenn es durch die kursierenden Corona-Mutationen zum rapiden Infektionsanstieg kommt oder die Bevölkerung die Schutzmaßnahmen nicht einhält? Dann ist der 14. Februar bald wieder hinfällig und der Unmut der Menschen wächst weiter – vor allem bei denjenigen, auf deren Rücken die Pandemie vielfach ausgetragen wird: Risikogruppen, Kinder, Jugendliche, Eltern, Lehrkräfte, Selbstständige, Kunstschaffende…

Die Zeichen der Zeit sind unverkennbar. Die Strategie der Bundesregierung sollte sich grundsätzlich ändern. Nicht nur, dass Entscheidungen außerhalb eines Notstands oder eines Ausnahmezustands sowieso in die Herzkammer der deutschen Demokratie gehören, der Bundestag würde es zudem ermöglichen, die Entscheidungen auf der Basis einer breiteren gesellschaftlichen Ebene zu treffen, statt nur auf den Ansichten einer weitgehend homogenen Gruppe von Regierungsberaterinnen und -beratern.

Abweichende Meinungen? Fehlanzeige!

Acht Personen berieten die Bund-Länder-Konferenz am Montagabend: ein Virologe, eine Virologin, ein Mikrobiologe und Tierseuchenexperte, ein Biochemiker, ein Physiker und System-Immunologe, ein Physiker und Mobilitätsforscher, ein Epidemiologe, eine Psychologin.

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Wo war beispielsweise die Erziehungswissenschaft, die Sozialpädagogik? Wo die Soziologie? Die Wirtschaftswissenschaft, die Rechtswissenschaft, Kulturwissenschaft oder andere? Deren Vertreterinnen und Vertreter müssen ja nicht alle gleichzeitig konsultiert werden, aber warum wechselt das Kanzleramt nicht hin und wieder einige von ihnen ein? Rotiert durch? Schon früh im vergangenen Jahr haben viele vor dem fachlichen Tunnelblick gewarnt – beim Streit über das zu einseitig besetzte Corona-Kabinett oder bei der Erarbeitung der Leopoldina-Empfehlungen. Ferner werden vom Kanzleramt seit Monaten Forschende mit ähnlichen Ansichten protegiert.

Abweichende Meinungen? Fehlanzeige! Mit abweichenden Meinungen sind freilich keine Corona-Skeptiker gemeint, sondern kritische Stimmen zur Effektivität einzelner Maßnahmen oder zu grundsätzlichen Überlegungen wie den Inzidenzwert von 50 als Zielvorgabe. Manche behaupten, die Beraterrunden sollten wohl nur Argumente für den Kurs des Kanzleramts liefern.

Angela Merkel steht heute an einem Punkt, an dem sie zum Ende ihrer Kanzlerschaft noch zu scheitern droht. Das wäre für sie persönlich schade, für das Land könnte es katastrophal sein. Angela Merkel hat ihre Meriten. Sie hat herausragende Arbeit geleistet. Aber selbst die Bewältigung aller früheren Krisen kann kein Garant dafür sein, immer alles richtig zu machen. Sie sollte sich nicht länger dagegen sperren, die Verantwortung zu teilen – primär mit den Vertreterinnen und Vertretern des deutschen Volkes.

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Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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