Das ist dran an den Vorwürfen Regiert Robert Habeck mit einem Familienclan?
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Gibt es in Robert Habecks Ministerium "grüne Clan-Strukturen"? Die Opposition behauptet das. Und zumindest ein Fehler wird dem Vizekanzler nun gefährlich.
Alles wieder zurück auf Los. So will Robert Habeck nun offensichtlich die unangenehme Affäre abhaken, die ihn seit mehr als einer Woche verfolgt. Und die von Kritikern und der Opposition wahlweise als "grüne Clan-Strukturen", "mafiöse Tendenzen" oder schlicht "Vetternwirtschaft" bezeichnet wird.
Im jüngsten und eindeutigsten Fall deuten sich nun erste Konsequenzen an. Nach t-online-Informationen geht der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Energie-Agentur, der Dena, davon aus, dass der Aufsichtsrat sich für ein komplett neues Auswahlverfahren für den Chefposten bei der bundeseigenen Agentur entscheidet.
Zuvor war bekannt geworden, dass einer der wichtigsten Mitarbeiter Habecks, Staatssekretär Patrick Graichen, am Auswahlverfahren beteiligt war, das letztlich Graichens Trauzeugen den Topjob bei der Dena verschafft hatte.
Ein Überblick.
Worum geht es?
Man könnte sagen: um die lieben Verwandten. Und um das, was sie füreinander beruflich tun oder tun könnten. Grundsätzlich hat Habeck in seinem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, dem BMWK, ein paar enge Mitarbeiter versammelt, die zum Teil untereinander, zum Teil zu wichtigen Umweltverbänden verwandtschaftliche oder anderweitige Beziehungen pflegen.
Im Zentrum dieses Geflechts stehen viele Graichens. Habecks wohl wichtigster Beamte, der für die Energiewende zuständige Staatssekretär Patrick Graichen, hat eine Schwester Verena und einen Bruder Jakob.
Verena Graichen ist mit Habecks Parlamentarischem Staatssekretär Michael Kellner verheiratet. Sie ist Vizechefin des Umweltverbands BUND und arbeitet genau wie Jakob Graichen für das Öko-Institut, das auch Studien im Auftrag des BMWK erstellt. Patrick Graichen selbst war früher Chef des Thinktanks Agora Energiewende, der große Teile der deutschen Energiewende vorgedacht und beratend mitgestaltet hat.
Und es gibt weitere Verbindungen zu Instituten und Verbänden, die sich mit Themen beschäftigen, die auch das Ministerium bearbeitet (siehe Grafik). Das ist die allgemeine, grundsätzliche Ebene der Affäre.
Auf der konkreten Ebene geht es um die bundeseigene Deutsche Energie-Agentur, die Dena, und das Auswahlverfahren für den Chefposten. In der Findungskommission saß dort Habecks Staatssekretär Patrick Graichen.
Graichen war somit an der Entscheidung dieser Kommission beteiligt, Michael Schäfer als Kandidaten "mit der besten Qualifikation" auszuwählen. Das Problem: Schäfer und Graichen kennen sich nicht nur, der Chefkandidat war sogar Trauzeuge des Staatssekretärs.
Wie kam die Sache auf?
Die Verwandtschaftsverhältnisse in Habecks Ministerium waren von Beginn an kein Geheimnis. Schon als die Ampelregierung Ende 2021 antrat, berichtete unter anderem die "taz" ausführlich über die Graichens im Klimaministerium. Die Überschrift: "Energiewende als Familienprojekt". Einen größeren Aufruhr löste die Geschichte zunächst nicht aus.
Das änderte sich, als ein Kolumnist im "Spiegel" die bekannten Fakten vor gut einer Woche, am 22. April, noch einmal unter dem Titel "Habecks Klüngelwirtschaft" zusammenschrieb. Weitere Medien griffen das Thema auf, die politische Kritik an den Verwandtschaftsverhältnissen in Habecks Haus begann.
Nach dieser erneuten Berichterstattung informierte Patrick Graichen nach Angaben des BMWK seinen Chef Robert Habeck am 24. April darüber, dass der designierte Dena-Chef Michael Schäfer sein Trauzeuge war. Habeck veranlasste daraufhin ebenfalls am 24. April eine Prüfung des Auswahlverfahrens.
Sind die Verwandtschaften grundsätzlich problematisch?
Darüber gehen die Meinungen auseinander. Die Opposition hält es für problematisch. Ein Argument wäre, dass gerade ein Bundesministerium jeden Anschein von Vetternwirtschaft zu vermeiden hat, besonders wenn es um Spitzenposten und wertvolle Aufträge geht.
Das Gegenargument wäre grob gesagt: Menschen verlieben sich eben, und nicht selten am Arbeitsplatz (und in der Ökobewegung). Timo Lange, Kampagnenleiter der Antikorruptionsagentur Lobbycontrol, sagte "Zeit Online" etwa: "Dass Familienmitglieder in verschiedenen Verbänden und Organisationen arbeiten, die einander beruflich berühren, lässt sich erst mal nicht vermeiden." Er kritisiert aber, es habe im Ministerium "viele versäumte Gelegenheiten, Transparenz herzustellen" gegeben.
Das sieht das Ministerium anders, und auch die frühere Berichterstattung über die Verwandtschaften schon Ende 2021 spricht tendenziell dagegen. Eine Sprecherin des BMWK verweist auf Anfrage von t-online darauf, dass die "verwandtschaftlichen Verbindungen" bereits vor Dienstantritt 2021 "im BMWK adressiert und entsprechend offengelegt" worden seien.
Es seien zudem im Ministerium "die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass bei Auftragsvergaben an die genannten Institute Interessenkonflikte nicht entstehen". So sei Graichen an den kompletten Verfahren zur Vergabe von Aufträgen an den BUND, das Öko-Institut oder Agora Energiewende nicht beteiligt. Eben weil er früher für Agora gearbeitet hat und seine Geschwister es für BUND und Öko-Institut noch tun.
Ist die Vergabe des Dena-Chefjobs problematisch?
Definitiv. Das gestehen Grüne, aber auch Graichen und Habeck selbst ein. Zumindest, wenn es um den Eindruck geht, der so entstanden ist. Staatssekretär Graichen ließ mitteilen, er habe im Verfahren "leider nicht richtig aufgepasst". Und: "Ich hätte mich ab dem Moment, als Michael Schäfer Kandidat wurde, aus dem Verfahren zurückziehen sollen, damit im weiteren Prozess kein falscher Eindruck entsteht. Das war ein Fehler und ich bedauere diesen Fehler sehr."
Habeck sprach bei einem Talk des Redaktionsnetzwerks Deutschland ebenfalls von einem "Fehler", der da passiert sei. "Da beißt die Maus keinen Faden ab". Der Minister versuchte seinen Staatssekretär dann vor allem in Schutz zu nehmen, indem er ihn in den höchsten Tönen für seine anderen Arbeiten lobte. "Patrick Graichen ist meiner Ansicht nach der Mann, der Deutschland vor einer schweren Energiekrise bewahrt hat", sagte Habeck etwa. Jetzt zahle Graichen für seinen Fehler einen "hohen öffentlichen Preis".
Habeck forderte auch früh, dass das Verfahren zur Vergabe des Jobs neu aufgesetzt werden müsse. Er und das BMWK betonen, dass die Sache so "heilbar" sei. Formal muss über ein neues Verfahren nun noch der Dena-Aufsichtsrat entscheiden.
Das BMWK betont zudem, dass Graichen den Minister selbst von der Trauzeugenschaft des designierten Chefs informiert habe. Fraglich bleibt jedoch, ob Graichen das auch getan hätte, wenn es vorher nicht erneut Berichterstattung über die verwandtschaftlichen Beziehungen im BMWK gegeben hätte. Oder ob sein Trauzeuge sonst wie geplant am 15. Juni sein Amt bei der Dena angetreten hätte.
Wie genau lief die Postenvergabe bei der Dena ab?
Die Deutsche Energie-Agentur hat nach Darstellung des BMWK im Herbst einen externen Personaldienstleister mit dem Bewerbungsverfahren beauftragt. Es gab 18 Bewerbungen, aus denen der Dienstleister elf ausgewählt und der Findungskommission vorgelegt hat.
Die Findungskommission bestand aus vier Leuten: Neben Graichen waren das der Aufsichtsratschef der Dena, also Habecks Parlamentarischer Staatssekretär Stefan Wenzel, ein Referatsleiter für Beteiligungsführung aus dem BMWK und die zweite Dena-Geschäftsführerin.
Personaldienstleister und Findungskommission suchten aus den elf verbliebenen Kandidaten sechs aus und luden sie zu Auswahlgesprächen ein. Diese Gespräche führte die Findungskommission inklusive Graichen im März. Am Ende befand sie laut BMWK "einstimmig", dass Graichens Trauzeuge Schäfer der Kandidat mit "der besten Qualifikation" sei.
Die formale Personalentscheidung für Schäfer fällten anschließend der Aufsichtsrat der Dena sowie die Gesellschafterversammlung.
Wie geht es jetzt weiter?
Graichens Trauzeuge Michael Schäfer wird wohl nicht wie geplant zum 15. Juni neuer Chef der Deutschen Energie-Agentur. Nach t-online-Informationen geht der Aufsichtsratsvorsitzende, Habecks Parlamentarischer Staatssekretär Stefan Wenzel, davon aus, dass der Aufsichtsrat sich für ein komplett neues Auswahlverfahren entscheidet.
Ob Schäfer sich erneut bewirbt und somit am Ende doch noch Chancen auf den Dena-Chefposten haben könnte, ist nicht bekannt. Theoretisch denkbar wäre es. Politisch aber dürfte es für Graichen und Habeck nicht der "klare Cut" sein, den man sich im BMWK nun wünscht.
Und den Habeck wohl auch braucht. Denn absehbar ist, dass Journalisten nun weiter recherchieren werden. Jeder weitere Fehler, jede weitere Vergabe von Aufträgen und Posten mit mehr oder weniger Geschmäckle könnten dazu führen, dass jemand die Verantwortung tragen – und zurücktreten muss.
- Eigene Recherchen und Anfragen beim BMWK
- taz.de: Energiewende als Familienprojekt
- spiegel.de: Habecks Klüngelwirtschaft
- zeit.de: "Habeck muss erklären, wie es dazu kommen konnte"