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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Schauten die Attentäter TV? Olympia-Attentat 1972: Hartnäckiger Mythos widerlegt

Jahrzehntelang galt es als sicher: Die Olympia-Attentäter von München verfolgten den Polizeieinsatz live im TV. Neue Recherchen zeigen: Das stimmt so nicht.
Ein neuer Forschungsbericht hat eine jahrelange Fehlannahme bezüglich der Vorfälle beim Anschlag während Olympia 1972 offengelegt. Die Olympischen Spiele in München sollten ein Symbol des Aufbruchs sein – heiter, unbeschwert, weltzugewandt, fast drei Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch am 5. September 1972 wird aus dem Traum ein Albtraum. Palästinensische Terroristen dringen in das israelische Mannschaftsquartier ein, nehmen Geiseln.
Was folgt, ist ein stundenlanges Ringen um Leben und Tod – begleitet von diplomatischer Hilflosigkeit, unzureichender Einsatzplanung und einer Polizei, die auf einen solchen Ernstfall nicht vorbereitet ist. Am Ende sind elf israelische Sportler tot – und der Glaube an die Sicherheit eines demokratischen Deutschlands schwer erschüttert.
Und noch immer gibt es zahlreiche Mythen, Vermutungen und offene Fragen, die dafür sorgen, dass Historiker sich bis heute mit der Aufklärung des Attentats beschäftigen. Das Forschungsprojekt "Wissenschaftliche Aufarbeitung des Olympia-Anschlags 1972" will nun einen hartnäckigsten Mythos widerlegt haben.
In dem Narrativ um das Attentat spielte ein Detail eine große Rolle: ein Fernseher. Während der Geiselnahme im Olympischen Dorf wurde die gesamte Situation live im Fernsehen übertragen – von deutschen und internationalen Sendern. Das soll das Vorgehen der Terroristen, die im Fernsehen alles verfolgten, maßgeblich in ihrem Handeln beeinflusst haben. So zumindest der Mythos.
Berichte zeigen: Es gab keinen Fernseher
Doch einem neuen Bericht des Forschungsprojekts zufolge sei dies unmöglich gewesen. Denn im Apartment in der Connollystraße 31, wo die Geiseln festgehalten wurden, gab es nachweislich keinen Fernseher und auch kein Radiogerät. Weder Grundrisse noch Polizeifotos oder die detaillierte Tatortdokumentation listen entsprechende Geräte auf. Fernseher befanden sich lediglich in Gemeinschaftsräumen des Olympischen Dorfs, nicht in den Wohnräumen der Sportler.
Der Glaube an die TV-Nutzung der Terroristen beruht offenbar auf Zuschauervermutungen und journalistischen Eindrücken. Mehrere ABC-Journalisten berichteten später, dass die Polizei den Kontrollraum ihres Senders gestürmt und sie aufgefordert habe, die Kameras abzuschalten. Etwa zur gleichen Zeit zogen die Beamten tatsächlich von den Dächern zurück.
Auch der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Rückzug der Polizei und dem Eingreifen im Sendestudio war offenbar Zufall. Der Rückzug der Beamten hatte einen anderen Grund: Innenminister Hans-Dietrich Genscher und weitere Politiker wollten erneut mit den Tätern verhandeln. Um zu vermeiden, dass die bewaffneten Kräfte auf den Dächern entdeckt werden und die Lage dadurch eskaliert, ließ die Einsatzleitung die Beamten vorsorglich abziehen.
- aufarbeitung-olympia72.de: "Pressemitteilung vom 14. Mai 2025"
- aufarbeitung-olympia72.de: "Olympia-Anschlag 1972: Der Fernseher, den es nie gab"