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Dritter Demo-Tag in Chemnitz: Hitlergrüße werden heute "rigoros bestraft"


Dritter Demo-Tag in Chemnitz
"Nette Grüße mit dem rechten Arm werden heute bestraft"

Felix Huesmann

Aktualisiert am 31.08.2018Lesedauer: 5 Min.
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Chemnitz, Donnerstagabend: Demonstranten mit einer Deutschlandfahne versammeln sich vor dem Stadion vom Chemnitzer FC.Vergrößern des Bildes
Chemnitz, Donnerstagabend: Demonstranten mit einer Deutschlandfahne versammeln sich vor dem Stadion vom Chemnitzer FC. (Quelle: Ralf Hirschberger/dpa-bilder)

Im Chemnitzer Stadion diskutiert die sächsische Staatsregierung mit rund 500 Bürgern. Gleichzeitig protestieren draußen erneut um die Tausend Rechtsextreme. Diskutieren wollen sie nicht – für sie ist Ministerpräsident Kretschmer ein „Volksverräter“.

Die Rechtsextremen, die keine Rechtsextremen sein wollen

Bei der Kundgebung von „Pro Chemnitz“ stellt man eins direkt klar: Bilder wie die vom Montag will man heute auf jeden Fall verhindern. „Nette Grüße mit dem rechten Arm gen Himmel werden heute rigoros mit Platzverweis bestraft“, verkündet einer der Organisatoren durch das Mikrofon. Nette Grüße? Was hier so verharmlosend verklausuliert wird, sind Hitlergrüße. Die waren am Montag gleich mehrfach von Demonstranten gezeigt worden.

Haben die Organisatoren aus dem Montag gelernt und wollen die Rechtsextremen Demonstranten nun besser in Schach halten? Nicht wirklich. Als der „Pro Chemnitz“-Vorsitzende Martin Kohlmann später ans Mikrofon tritt, wird deutlich, worum es eigentlich geht: Die Schuld für die Eskalation soll anderen zugeschoben werden. Die Hitlergrüße seien inszeniert gewesen, ruft Kohlmann, und spricht damit vielen Teilnehmern der Kundgebung aus der Seele.

Schon seit Tagen verbreitet sich diese Behauptung rasant in den sozialen Medien. Die Hitlergrüße seien von eingeschleusten Provokateuren gezeigt worden, um die Demonstration zu diskreditieren. Einen Beweis dafür hat bislang niemand geliefert. Dennoch ist diese Desinformationskampagne erstaunlich erfolgreich. Viele der Demonstranten und deren Sympathisanten im Netz scheinen die Theorie unhinterfragt zu glauben.

Zeit also, Martin Kohlmann zu fragen, wer seines Erachtens dahintersteckt. Seine Vermutung im Gespräch mit t-online.de: Der Fernsehsender RTL und die linken Gegendemonstranten. Angeblich hätten sich zwei „Grüßlinge“ hinterher sehr freundlich mit einem RTL-Kameramann unterhalten, ein weiterer sei beobachtet worden, wie er „ganz freundschaftlich in der Antifa-Demo stand“. Einen Beweis für diese Aussagen bleibt Kohlmann schuldig. Und auch sonst nimmt der „Pro Chemnitz“-Vorsitzende es mit der Wahrheit nicht ganz genau, wenn es darum geht, das Image seiner Demonstrationen zu verteidigen. Neonazi-Parolen seien lediglich von „ganz einzelnen Leuten“ gerufen worden. Tatsächlich zeigen Videos jedoch, wie große Teile der Demo-Spitze solche Parolen rufen.

Auf explizite Nachfrage will sich Martin Kohlmann dann nicht einmal von ganz offenen, knallharten Neonazis distanzieren. Am Montag war nämlich auch die rechtsextreme Kleinpartei „Der dritte Weg“ in Chemnitz mitgelaufen. Er könne und wolle niemanden ausschließen, solange der seine Demo nicht stört, sagt Kohlmann.

„Wenn wir schon wieder anfangen, ja mit denen reden wir nicht, aber dafür reden wir mit denen auch wieder nicht, das ist doch blöd. Warum sollen die nicht kommen?“

Schon kurz nach der Demonstration am Montag zeigte Kohlmann, wie wenig Berührungsängste er mit den Neonazis vom „Dritten Weg“ hat, und gab dem von der Kleinpartei betriebenen „Nationalrevolutionären Radio“ ein Interview. Zum Umfeld des „Dritten Wegs“ gehören auch verurteilte Rechtsterroristen.

Während weder Kohlmann noch seine Mitdemonstranten als Rechtsextreme bezeichnet werden wollen, entspringen die Redebeiträge und Parolen des Donnerstags jedoch fast alle dem Repertoire der extremen Rechten. Es geht um die „Lügenpresse“, die Tatsachen verdrehe, um eine angebliche „Überfremdung“ Deutschlands, die von der Regierung gesteuert werde. Und immer wieder ist dabei laut gerufen das hässliche Wort „Volksverräter“ zu hören.

Immerhin bleibt die Kundgebung am Donnerstag friedlich. Die sächsische Polizei hatte dieses Mal Unterstützung aus mehreren Bundesländern und von der Bundespolizei angefordert.

Das andere Chemnitz

Anders als am Montag stehen den Rechtsextremen am Donnerstagabend keine Gegendemonstranten gegenüber. Das Bündnis „Chemnitz Nazifrei“ hatte im Vorfeld angekündigt, nicht zu Protesten rund ums Stadion aufzurufen. Nach den Krawallen vom Montag, in denen die Polizei immer wieder die Kontrolle über die Lage verlor, habe man Angst, nicht ausreichend geschützt zu werden.

Manche, die am Montag gegen die Rechtsextremen demonstriert haben, sind trotzdem gekommen – um sich am „Sachsengespräch“ im Stadion zu beteiligen. Einer von ihnen ist Marius. Er ist in Chemnitz aufgewachsen und studiert dort.

Während er auf den Einlass zum „Sachsengspräch“ wartet, sagt Marius: „Die Geschehnisse der letzten Tage sind ein Zeichen dafür, dass im Land was falsch läuft.“

Er spricht von einer verfehlten Politik der letzten Jahrzehnte, die dazu geführt habe, dass die Demonstrationen am Montag nicht richtig abgesichert worden seien. Als Flaschen und Feuerwerkskörper geflogen sind, hätte die Demo gestoppt werden sollen, findet er. „Dass die nicht aufgelöst wurde, ist ein Zeichen für ein Versagen der Polizei.“

Felicia Kollinger-Walter war am Montag nicht auf der Straße – aus Angst. „Ich habe eine elfjährige Tochter zuhause und mein Mann war unterwegs. Und da hab ich gedacht, ne, was ist, wenn was passiert.“ Jetzt will sie aber zeigen, dass nicht ganz Chemnitz so tickt wie die Demonstranten vom Montag. „Ich bin hier, damit die Medien auch über andere Chemnitzer Bürger berichten“, sagt sie. Auf ihrem Shirt steht „Kein Hass in meinem Namen“. Felicia Kollinger-Walter glaubt, dass sie mit dieser Meinung auch in Chemnitz noch in der Mehrheit ist. „Es haben nur noch zu viele Angst, das öffentlich zuzugeben.“

Das "Sachsengespräch"

Während draußen lauthals protestiert und gebrüllt wird, geht es im Stadion gesitteter zu. Hier diskutieren nicht nur Ministerpräsident Michael Kretschmer und die Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig mit rund 500 Bürgern, auch mehrere sächsische Minister sind gekommen. Eigentlich hätte die Veranstaltung nur eine von mehreren im ganzen Bundesland sein sollen, ohne viel Trara und bundesweite Aufmerksamkeit. Doch dann kamen die Proteste und Krawalle der letzten Tage. Jetzt bestimmen sie den gesamten Abend.

Kretschmer beginnt seine Ansprache dabei zunächst mit einer Schweigeminute für den 35-Jährigen, der am vergangenen Wochenende in Chemnitz erstochen wurde. „Wir erinnern an einen Chemnitzer Bürger – Daniel – um den heute seine Familie, Angehörige, Freunde trauern“, erklärt der Ministerpräsident.


Anschließend ruft Kretschmer die Chemnitzer Bürger dazu auf, sich von Rechtsextremen zu distanzieren. Die Stimmung bei den Kundgebungen habe dazu geführt, dass mancher „völlig außer Rand und Band“ geraten sei. „Dem müssen wir alle miteinander, mit aller Kraft, entgegentreten.“ Wenn bei einer Demonstration der Hitlergruß gezeigt werde, „dann ist es an der Zeit zu sagen, mit denen haben wir nichts zu tun. Wir suchen uns einen anderen Ort.“ Der CDU-Politiker wendet sich gleichzeitig dagegen, allen Chemnitzern die rechtsextremen Attacken zuzuschreiben. Er habe viele Menschen getroffen, die sich ungerecht behandelt fühlen, sagt er über vorangegangene Gespräche mit Bürgern. „Ich weiß das. Das ist nicht so und wir werden diesem Eindruck auch mit Kraft entgegen treten.“

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Im Laufe des Abends zieht Kretschmer sich dann zu Gesprächen in kleineren Kreisen zurück. Buhrufe erntet er, als er das Engagement der Band Kraftklub gegen Rechtsextreme in Chemnitz lobt. Kraftklub veranstalten am kommenden Montag gemeinsam mit anderen Bands ein großes Anti-Nazi-Konzert in Chemnitz. Auf mehr Widerstand stößt Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig, die für ihren Aufruf zur Mäßigung und friedlichem Zusammenleben heftig ausgebuht wird und der vereinzelt „Heuchelei“ vorgeworfen wird.

Am Samstagnachmittag wollen erneut rechte Gruppen in Chemnitz demonstrieren. Die AfD ruft zusammen mit Pegida zu einem „Schweigemarsch“ auf. Dagegen will ein breites Bündnis auf die Straße gehen. Zu den Gegenprotesten wird derzeit bundesweit mobilisiert. Am Montagabend soll dann das Konzert am Karl-Marx-Monument stattfinden. Dort werden neben Kraftklub auch die Toten Hosen, Trettmann, Nura, Feine Sahne Fischfilet, Casper, Marteria und K.I.Z. auftreten.

Felix Huesmann recherchiert als Reporter für t-online.de und watson.de in Chemnitz. Hier twittert er seine Ergebnisse und Erlebnisse.

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