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Die Linke: Das miese Wahlergebnis ist nicht ihr größtes Problem


Die Krise der Linken
Eine Partei droht zu sterben

Von Michael Freckmann

Aktualisiert am 14.11.2021Lesedauer: 4 Min.
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Dietmar Bartsch: Der Linken-Fraktionschef darf sein Amt vorerst behalten.Vergrößern des Bildes
Dietmar Bartsch: Der Linken-Fraktionschef darf sein Amt vorerst behalten. (Quelle: Mike Schmidt/imago-images-bilder)

Die Linke hätte beinahe den Sprung in den Bundestag verpasst. Doch das ist nicht mal ihr größtes Problem. Umfragedaten zeigen gewaltige Herausforderungen für die nächsten Jahre.

Nur dank dreier Direktmandate hat es die Linke wieder in Fraktionsstärke in den Bundestag geschafft. Doch das Wahlergebnis war nicht nur in Prozentpunkten ausgedrückt desaströs. Hinter der Zahl von 4,9 Prozent verbergen sich gleich mehrere strukturelle Krisen. Das Schicksal der Partei entscheidet sich in den kommenden vier Jahren.

Die Linke musste ausgerechnet in ihren Kerngruppen Verluste hinnehmen. Dort wo die Wähler sind, für die die Partei einst gegründet wurde: im Osten der Republik und bei Arbeitern und Arbeitslosen. In Ostdeutschland verlor sie durchschnittlich 7,3 Prozent und nur noch 5 Prozent der Arbeiterinnen und Arbeiter gaben der Linken ihre Stimme. Bei den Arbeitslosen lag die Linke bei der vergangenen Bundestagswahl hinter der SPD und auch der AfD.

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Ein erheblicher Verlust

Die Folgen: Die Fraktion ist von 69 auf 39 Mitglieder geschrumpft. Etwa 100 Mitarbeitende mussten entlassen werden, wodurch erheblicher Sachverstand verloren geht. Die Arbeitskreise, in denen die Fachpolitiker nach Themen geordnet miteinander arbeiten, wurden zusammengelegt. Nun müssen weniger Abgeordnete mehr Themen bearbeiten. Einer der Arbeitskreise etwa trägt den Titel: "Haushalt /Finanzen /Wirtschaft /Infrastruktur /Umwelt".

In jedem dieser Themen werden zukünftig große gesellschaftliche Konflikte verhandelt wie etwa die soziale Abfederung der Kosten der Klimakrise. Andere Fraktionen haben demgegenüber einzelne Arbeitskreise zu jedem dieser Themen. Allein dies zeigt, wie kräftezehrend die kommende Arbeit für die Fraktion wird.

Wagenknecht schadet ihrer Partei

Mit der Wiederwahl der beiden Fraktionsvorsitzenden ist der personelle Aufbruch vorläufig vertagt worden. Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali konnten in der Außenwahrnehmung nicht die Statur ihrer Vorgänger Wagenknecht, Gysi und Lafontaine erreichen. Die beiden Parteivorsitzenden Wissler und Hennig-Wellsow haben durch die Wahlniederlage ebenfalls einen Dämpfer erhalten.

Währenddessen sitzt Sarah Wagenknecht, die nur noch einfache Abgeordnete ist, als prominentestes Gesicht der Partei in Talkshows. Dort postuliert sie, etwa in den Themen Migration, Identitätspolitik oder auch der Corona-Impfkampagne, teilweise von der Parteilinie abweichende Meinungen. Auch dies verstärkt in der Öffentlichkeit den Eindruck von Unklarheit.

Status als Protestpartei verloren

Die Partei muss damit umgehen, dass sich ihre Rolle im Parteiensystem in den letzten Jahren verändert hat. Lange lebte sie im Osten des Landes maßgeblich von ihrem Image als Protestpartei. Je stärker sie in den Ländern in Regierungsverantwortung gegangen ist, desto schwieriger konnte sie die Protestrolle ausfüllen. Mittlerweile liegt die AfD in allen ostdeutschen Bundesländern außer in Berlin vor der Linken.

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Als "Ostpartei" hatte die Linke lange für viele auch eine identitätsstiftende Funktion. Eine solche Rolle schafft immer viel stärkere Bindungen zwischen Wählern und Partei, als reine interessengeleitete Wahlabsichten. Gegenwärtig droht sie auch diese Funktion an die AfD zu verlieren. Davon unabhängig leben nur etwa 20 Prozent aller Wahlberechtigten in den ostdeutschen Bundesländern. Selbst Wahlerfolge dort haben dann auf das bundesweite Gesamtergebnis nur eine schwache positive Wirkung.

Lähmungserscheinungen in der Außenwirkung

Die Ursachen für den Stimmenverlust liegen allerdings tiefer: In ihren Gründungsjahren konnte die Linke einhellig gegen den "Sozialabbau" protestieren. Bei den sozialen Themen fanden die verschiedenen Strömungen der Partei viele Schnittpunkte zueinander. In gegenwärtigen Debatten über die Aufnahme von Geflüchteten, über den Umgang mit Minderheiten und insbesondere in identitätspolitischen Diskussionen ist die Partei zerrissen. Die Folge sind Lähmungserscheinungen in der Außenwirkung.

Die Linke hat bisher keine Brücke zu bilden vermocht zwischen den für sie wichtigen unterschiedlichen Wählergruppen. Einerseits den Arbeitenden und den geringverdienenden Menschen, die eher an materiellen Fragen, wie Tarifverträgen, Steuersätzen und Rentenniveaus interessiert sind. Andererseits den eher jungen, universitär geprägten Milieus im städtischen Raum, die sich stärker mit kulturellen Aspekten rund um Identitätspolitik und Klima beschäftigen.

Starke Verluste an SPD und Grüne

Inhaltlich wollte die Linke immer Partei der sozialen Fragen sein. Jedoch genießt sie ausgerechnet hier immer weniger Vertrauen. In den Themen der sozialen Gerechtigkeit, bei angemessenen Löhnen und der Altersversorgung wird die Linke als weniger glaubwürdig gesehen als noch bei der vorangegangenen Bundestagswahl. Besonders auffällig ist, dass die Kompetenzen der SPD auf diesen Gebieten erstmals seit Jahren wieder gestiegen sind. Der Partei also, gegen deren Politik sich die Linke einst gegründet hat.

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Auf den ersten Blick könnte die wohl bald entstehende Ampelkoalition der Linken eigentlich eine gute Möglichkeit bieten, sich zu profilieren. Die Veränderungen bei "Hartz IV" werden wohl über eine Umbenennung kaum hinausgehen. Die linken Wahlkampfforderungen nach einer Vermögens- und Reichensteuer werden in der Ampel ebenso keine Mehrheit finden.

Doch muss die Linke ihre Rolle nun in einer veränderten Umwelt wahrnehmen. Die Wählerwanderungen bei der Bundestagswahl haben gezeigt, dass sie bundesweit stark in Richtung SPD und Grüne verloren hat. Die Sozialdemokraten haben in letzter Zeit stärker linke Positionen eingenommen und die Grünen ebenso ihren linken Flügel betont. Dass also die Linke als Gegengewicht zur Ampel ein leichtes Spiel haben wird, ist keineswegs ausgemacht. Die Strategen bei SPD und Grünen werden genau das verhindern wollen.

Viel hängt für die Linke auch davon ab, welche Themen die kommende Legislatur bestimmen. Ob es etwa die finanzielle Bewältigung der Corona-Krise oder eine Rentenreform sein wird. Oder aber ob auch Fragen des Klimaschutzes oder gar der inneren Sicherheit und der Migration drängender werden. Auch das bestimmt, ob die Linke in den toten Winkel von Diskussionen gerät oder sich profilieren kann und wahrgenommen wird. In jedem Fall ist sie aber stark vom Handeln der Regierung und der anderen Parteien abhängig.

Verwendete Quellen
  • eigene Recherche
  • Infratest dimap: Report zur Bundestagswahl 2021
  • Daten des Bundeswahlleiters
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