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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Verbraucher von Steuersenkung ausgenommen Verabredung unter Beschuss

Die Regierung senkt die Stromsteuer für Unternehmen – aber nicht für Verbraucher. So lautete zumindest der Plan. Doch nun pochen Teile der Union nachträglich auf Änderungen. In der SPD ist man zunehmend genervt.
Eigentlich war man sich längst einig: Die schwarz-rote Bundesregierung senkt die Stromsteuer für Industrieunternehmen und Betriebe in der Land- und Forstwirtschaft. So verkündete es Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) vergangene Woche bei der Vorstellung der Haushaltspläne der Regierung. Von der Steuersenkung ausgenommen wurden die Verbraucher, sie sollen weiter den erhöhten Steuersatz in ihrer Stromrechnung bezahlen.
Doch die Einigung zwischen Klingbeil, Kanzler Friedrich Merz und Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (beide CDU) hielt nicht lange. Aus der Union mehrten sich in den vergangenen Tagen Stimmen, die die Verabredung unter Beschuss nahmen. Vor dem Koalitionsausschuss am Mittwoch, dem zentralen Beratungsgremium zwischen CDU, SPD und CSU, bahnt sich nun Streit über die Stromsteuerpläne der Regierung an. Kommt es zum Knall?
Worum es geht
Der Plan der Regierung sieht vor, die Stromsteuer in der Industrie, Land- und Forstwirtschaft ab 1. Januar 2026 zu senken. Unternehmen in der energieintensiven Industrie profitieren bereits von einer Stromsteuersenkung, die die Ampelregierung 2023 umgesetzt hatte. Andere Branchen würden erstmals von der Vergünstigung profitieren. Die Stromsteuer soll auf den von der EU geforderten Mindestwert von 0,1 Cent pro Kilowattstunde sinken.
Private Haushalte, die 2,05 Cent pro Kilowattstunde Stromsteuer bezahlen, sind von der Maßnahme ausdrücklich ausgenommen. Im Bundesfinanzministerium verweist man auf die klamme Kassenlage und darauf, dass die Koalition sich vorgenommen habe, einen soliden Haushalt vorzulegen. Das hieße eben auch: Nicht alle Projekte könnten finanziert werden.
Das Problem: Sowohl Union als auch SPD hatten die Senkung der Stromsteuer auch für Verbraucher versprochen – mehrfach. So auch im schwarz-roten Koalitionsvertrag, der ankündigt, Unternehmen und Verbraucher dauerhaft um mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde zu entlasten. "Dafür werden wir als Sofortmaßnahme die Stromsteuer für alle auf das europäische Mindestmaß senken und Umlagen und Netzentgelte reduzieren", heißt es dort.
Union geht SPD scharf an
Die öffentliche Empörungswelle – Verbände sprechen von "Wortbruch" – erklärt sich also auch daher: Die Regierung sei erst wenige Wochen im Amt, aber kassiere bereits ihre ersten Versprechen, so der verbreitete Vorwurf. Die Koalition ist also in Erklärungsnot – was bei den beiden Regierungspartnern zu ganz unterschiedlichen Reaktionen führt: Während die SPD den Kompromiss weitgehend verteidigt, schalten Teile der Union auf Angriff.
Zwar stellten sich mit Wirtschaftsministerin Reiche und Kanzler Merz zwei mächtige CDU-Vertreter hinter den gemeinsamen Kompromiss. Doch hält diese Rückendeckung offenbar andere in der Union nicht davon ab, den Kompromiss öffentlich infrage zu stellen.
So forderten am Montag die Fraktionsvorsitzenden von CDU und CSU in einem Papier von der Bundesregierung weitere Entlastungen bei der Stromsteuer. Es brauche "die zügige Absenkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß für alle Unternehmen sowie alle Verbraucherinnen und Verbraucher." Die geplante Verstetigung der Steuersenkung für das produzierende Gewerbe könne nur "ein erster Schritt" sein, so der Beschluss der Fraktionsspitzen, die damit in die offene Konfrontation mit dem Regierungsbeschluss gingen.
Schon vergangene Woche nutzte die Union die Gelegenheit, um der SPD und ihrem Vizekanzler eins mitzugeben: NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) warf Finanzminister Klingbeil vor, ein zentrales Entlastungsversprechen der Regierung zu "bedrohen" und mit seinen Plänen Unternehmen und Millionen Familien in Deutschland vor den Kopf zu stoßen.
SPD verärgert über Vorgehen der Union
Ein harter Vorwurf, der faktisch nicht zutrifft: Denn die Stromsteuersenkung nur für Unternehmen war der Plan der gesamten Bundesregierung, nicht Klingbeils allein. Entsprechend verärgert sind die Genossen über das Vorgehen der Union.
Die neu gewählte Chefin der Sozialdemokraten, Arbeitsministerin Bärbel Bas, zeigte sich über das Vorgehen der Union verärgert. Dass die Senkung zunächst nur für Industrie und Landwirtschaft gelten solle und nicht für alle Bürger, sei gemeinsam in der Koalition beschlossen worden, sagte Bas am Montag im Deutschlandfunk. "Deshalb irritieren mich im Moment die Angriffe vonseiten der Union."
Auch aus Klingbeils Finanzministerium heißt es hinter vorgehaltener Hand zu t-online: "Es geht nicht, dass die SPD die Zielscheibe ist für Beschlüsse, die zwischen Kanzleramt, Finanz- und Wirtschaftsministerium gemeinsam beschlossen worden sind."
Klamme Kassenlage
Ob sich noch eine Lösung findet, wird derzeit zwischen den Regierungsparteien verhandelt. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Sepp Müller, deutete am Montag eine Richtung an: "Wir arbeiten in der Koalition hart an Lösungen, um die versprochene Stromsteuersenkung für alle zeitiger als bisher geplant umzusetzen", sagte Müller t-online.
Klar ist: Sollte sich die Union damit durchsetzen, würde das den Staat teuer zu stehen kommen: Um die Stromsteuer für alle auf das europäische Mindestmaß zu senken, müsste Schwarz-Rot im Haushalt rund 5,4 Milliarden Euro einsparen, wie ein Sprecher des Finanzministeriums am Montag mitteilte.
Im Ministerium verweist man zudem auf die klamme Kassenlage in den nächsten Jahren. Vor allem ab 2027 stehe der Bund vor bislang ungeklärten Finanzierungslücken, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Auch müssten die Senkung der Gastrosteuer und das CSU-Projekt Mütterrente finanziert werden, die mit weiteren Milliardensummen zu Buche schlügen.
Woher soll das Geld also kommen, um die Maßnahme zu finanzieren? In der Union gibt es dazu Überlegungen, beim Bürgergeld und der Migration zu sparen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Steffen Bilger (CDU), sagte t-online: "In den anstehenden Haushaltsberatungen müssen wir konsequent übers Sparen sprechen." Und: "Wenn wir in der Koalition konsequent an den vereinbarten Zielen arbeiten, wird die Wirtschaft wieder in Schwung kommen und wir werden bei Migration und Bürgergeld beachtliche Einsparungen realisieren."
Auch in der SPD drängt man auf Änderungen
Bei der SPD zeigte man sich grundsätzlich offen für Nachbesserungen – verlangte aber zugleich, dass die CDU/CSU auch Kürzungsvorschläge bei ihren "Lieblingsprojekten" machen müsste, heißt es aus Parteikreisen. Im SPD-geführten Finanzministerium argumentiert man zudem mit bereits beschlossenen Entlastungen bei den Netzentgelten und der Gasspeicherumlage, von der allerdings ausschließlich Gaskunden profitieren. Insgesamt belaufe sich die Entlastung für Privathaushalte und Familien um bis zu 3 Cent pro Kilowattstunde. "Weitere Schritte können folgen, sobald hierfür finanzielle Spielräume bestehen", so ein Sprecher.
Andererseits: Auch in der SPD drängen einige mittlerweile offen auf Änderungen. Die Landesvorsitzende der NRW-SPD, Sarah Philipp, sagte t-online in der vergangenen Woche: "Die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger ist im Koalitionsvertrag vereinbart – dieses Versprechen gilt. Als nordrhein-westfälische SPD werden wir darauf drängen, dass spürbare Entlastungen kommen."
Auch der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Roloff, erinnert an die Absprache im Koalitionsvertrag. "Ich halte eine Stromsteuersenkung auch für Verbraucher für richtig, wie wir sie ausdrücklich im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Wir werden nun im Parlament genau prüfen, wie wir die Haushaltspläne der Regierung in dieser Frage noch verbessern können."
Forderungen aus der Union, das Geld durch Sozialkürzungen zu beschaffen, wies Roloff zurück: "Auch wenn die Union das noch hundertmal erzählt: Beim Bürgergeld ist nichts zu holen. Die Regelsätze sind in ihrer Höhe auch durch das Verfassungsgericht gefestigt, auch schärfere Sanktionen hätten kaum Einsparpotenzial. Ich hoffe, die Union hört irgendwann mit diesen Nebelkerzen auf."
Knall im Koalitionsausschuss?
Ob die Koalition beim Streit über die Stromsteuer auf einen ernsthaften Konflikt zusteuert oder ob er entschärft werden kann, muss sich zeigen. In SPD-Kreisen hieß es am Montag, man wolle das Thema im Koalitionsausschuss besprechen, "vor allem aber mit Blick darauf, wie die Union gerade agiert".
Heißt: Die Union wird dem Koalitionspartner erklären müssen, warum sie erst einem Beschluss zustimmt und ihn hinterher öffentlich zerschießt.
Von öffentlichen Gegenangriffen sieht man in der SPD daher ab – noch. Doch wie lange die SPD ihr Pulver zurückhält, sollte die Union ihre öffentlichen Angriffe fortsetzen, ist unklar. Beim Koalitionsausschuss wird sich zeigen, ob die Unions- und SPD-Spitzen zusammenfinden – oder ob der Stromsteuerstreit in eine Koalitionskrise ausartet.
- Eigene Recherchen
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP
- rnd.de: "Keine Senkung der Stromsteuer: Wüst warnt vor Bruch des Koalitionsvertrags"
- bild.de: Erste Steuer-Sauerei der Merz-Regierung
- bild.de: CDU schlägt SPD einen Stromsteuer-Deal vor
- tagesschau.de: "Man muss schauen, wo das Geld herkommt"
- Gespräche unter anderem mit Steffen Bilger, Sebastian Roloff, Sepp Müller