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Tagesanbruch: Das deutsche Bildungswesen – eins und eins ist drei


Was heute wichtig ist
Eins und eins ist drei

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 06.06.2019Lesedauer: 5 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

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Schulleiter Frank Wagner mit seinen Schülern.Vergrößern des Bildes
Schulleiter Frank Wagner mit seinen Schülern. (Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

eins und eins ist drei. Doch, ist so.

WAS WAR?

Neben dem Klimaschutz und der Digitalisierung gilt die Bildungspolitik als dritter Schlüssel, der unserem Land die Pforte zu einer prosperierenden Zukunft öffnen kann. Leider ist diese Pforte vielerorts in Deutschland bislang verschlossen: Das krasse Ausbildungsgefälle zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen, bröckelnde Schulgebäude und vor allem die Benachteiligung von Schülern aus armen Bevölkerungsschichten und zugewanderten Familien gefährden die Zukunft vieler unserer Kinder und Enkel.

Umso heller strahlt der Hoffnungsschimmer aus Hamm in Nordrhein-Westfalen: Die dortige Gebrüder-Grimm-Schule ist als beste deutsche Schule ausgezeichnet worden – dabei gilt sie als "Brennpunktschule", viele Kinder stammen aus zerrütteten Familien oder müssen sonderpädagogisch gefördert werden. Schaut man in ihre Gesichter auf den Fotos von der Preisverleihung, sieht man jedoch nur: Freude, Optimismus und Energie.

"Wir haben den Schalter umgelegt", sagt Schulleiter Frank Wagner. Als er vor zwölf Jahren seinen Job antrat, fand er chaotische Zustände vor, musste rabiate Kinder von Polizisten abholen lassen. Heute geht die Mehrheit seiner 225 Schüler respektvoll miteinander um und stachelt sich gegenseitig beim Lernen an. Wie haben er, die Lehrer und Eltern das geschafft? Wenn ich es richtig sehe, waren es drei Schlüssel: Lob, Kreativität und Eigenverantwortung. Kinder unterschiedlichen Alters lernen zusammen in Projekten und dürfen ihre Lernziele selbst festlegen. Nicht Noten, sondern die Persönlichkeitsentwicklung steht im Vordergrund. Jedes Kind wird während seiner Grundschulzeit mindestens einmal vor der gesamten Schulgemeinschaft ausgezeichnet – ob für eine gute Leistung oder konstruktives Verhalten im Alltag. "Wenn wir im Lehrerzimmer sitzen, unterhalten wir uns nicht mehr darüber, was alles schlecht ist und nicht funktioniert", berichtet Wagner. "Stattdessen hört man dort jetzt ganz viele Gespräche darüber, was die Kinder Tolles geleistet haben."

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Nichts spornt Menschen mehr an als ehrliches Lob. Das scheinen sie an der Hammer Grundschule ebenso verinnerlicht zu haben wie die Erkenntnis des Bildungsforschers John Hattie: Entscheidend für guten Unterricht sind nicht kleine Klassen, Tablets oder pädagogische Konzepte – sondern ausschließlich gute, empathische Lehrer. Klingt so einfach und ist in Deutschland doch oft so schwer. Wir dürfen uns also ein Beispiel an Hamm nehmen: Mit einem motivierenden Lehrer wird jedes Kind stark wie zwei. Dann sind eins und eins plötzlich drei.


WAS STEHT AN?

Es ist ein Wort, das wir schon länger nicht mehr gehört haben: "Janjaweed". Von diesem Namen ging vor 15 Jahren Schrecken aus. So hießen die arabischsprachigen Milizen, die auf Pferden und Kamelen in die Dörfer der sudanesischen Provinz Darfur stürmten, Hütten niederbrannten, Menschen quälten und töteten. Im Dienste des Regimes in Khartum schlugen sie die Rebellion der Schwarzafrikaner nieder. Die Bauern flohen zu Millionen vor den Nomaden, der Rest der Welt schaute dem Genozid entsetzt zu. Warum diese düstere Geschichtsstunde heute Morgen? Weil die Janjaweed zurück sind. Und zwar mitten in der Millionenstadt Khartum.

Seit Monaten gehen die Menschen in der Hauptstadt auf die Straße und demonstrieren für Demokratie. Sie haben den Diktator Omar al-Baschir verjagt und die Hoffnung auf einen friedlichen Wandel geschürt. Das Militär stellte sich lange schützend vor die Demonstranten und hielt die Schergen des alten Regimes zurück – vor allem die berüchtigten "schnellen Unterstützungskräfte", englisch abgekürzt als RSF. Immer mehr von deren Männern waren in die Stadt gesickert, standen plötzlich an Straßenecken und Kreuzungen, von der Stadtbevölkerung als "die aus dem Busch" verachtet, aber auch gefürchtet. Die aus dem Busch kennen das schon. Von den schwarzen Bauern in Darfur wurden sie damals ja auch nicht gemocht.

Der Kommandeur der RSF, Mohamed Hamdan Daglu, den alle nur Hemeti nennen, war eine Schlüsselfigur bei den Janjaweed. Inzwischen hat er es vom Kriminellen am Ende der Welt zum wohl mächtigsten Mann in Khartum gebracht. Seine Miliz hat als "schnelle Unterstützungskräfte" ein neues Etikett bekommen, auch bessere Waffen und Ausrüstung, ist ansonsten aber ganz die alte geblieben. Überfälle und Erpressung auf dem Land waren lange ihr Geschäft, jetzt kämpft sie unter anderem im jemenitischen Bürgerkrieg auf der Seite Saudi-Arabiens und der Emirate. Das hat Hemeti in Arabien mächtige Freunde eingebracht. Und Geld, viel Geld.

Auch uns Europäern hat er sich angedient. Schließlich umgarnte die EU den Diktator Baschir, damit der die Flüchtlinge auf dem Weg nach Libyen nicht durch sein Land reisen ließ. Also haben Hemetis Leute für Europa die Drecksarbeit erledigt. Die abgefangenen Flüchtlinge verkauften sie dann an libysche Menschenhändler weiter, die dort ihrem eigenen Geschäftsmodell nachgehen: Sie internieren ihre Opfer in Lagern und quälen sie solange, bis die Verwandten zu Hause Lösegeld schicken. Die RSF und ihr Chef verdienten gut daran.

Jetzt sitzt Hemeti im sudanesischen Militärrat, mit dem die Demokratiebewegung einen friedlichen Übergang aushandeln wollte. Dort ist er der starke Mann, und nachdem seine Geldgeber am Golf offenbar grünes Licht gegeben haben, sind seine Leute aus dem Busch zum Angriff übergegangen. Nun sind die Demonstranten nicht mehr auf der Straße, dafür schwimmen Leichen im Nil. Die Angst, die einst in Darfur umging, ist in der Hauptstadt angekommen. Es ist zu fürchten: das Blutvergießen auch.


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In Bonn läuft die wichtigste Auktion des Jahres: Dort versteigert der Bund die 5G-Frequenzen, die Basis für das Mobilfunknetz der Zukunft. Autonomes Fahren, Industrie 4.0, schnelle Kommunikation: Für all das und mehr braucht es 5G. Die Auktion läuft … und läuft … und läuft seit mehr als zwei Monaten – und das ist für die beteiligten Firmen ein Problem. Denn so werden die Frequenzen immer teurer, der Netzausbau wird es auch – und am Ende wird das uns Verbraucher treffen, wenn den Firmen nach der Versteigerung das Geld für den Ausbau fehlt. Das hat jetzt auch die Bundesnetzagentur begriffen, deshalb ändert sie mitten in der Auktion die Regeln. Das ist ungefähr so, als würde ein Architekt den Maurern zum Richtfest einen neuen Bauplan in die Hand drücken. Wenn Sie darin ein Beispiel für die verkorkste deutsche Digitalpolitik wittern, ernten Sie von mir keinen Widerspruch. Bevor Sie den Kopf schütteln, sollten Sie aber noch rasch diesen Text meiner Kollegin Laura Stresing lesen.


WAS LESEN?

Es ist immer noch unklar, wer den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erschossen hat – und warum. Es ist aber eindeutig, dass es eine Hasskampagne gegen ihn gab: wegen dreier Sätze, die aus dem Zusammenhang gerissen leicht misszuverstehen waren. Lübcke sprach sie auf einer Veranstaltung im Jahr der Flüchtlingskrise 2015, ordnete sie aber schnell ein. Mein Kollege Lars Wienand ist jetzt wieder auf diese Sätze gestoßen: Ohne neuen Anlass verbreitete die frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach im Mai 2017 und im Februar 2019 Texte zu dem Vorfall erneut – und löste so weitere Hasskommentare und Morddrohungen gegen Lübcke aus. Gestern standen die Kommentare immer noch unwidersprochen unter Steinbachs Tweets. Widerlich.


WAS FASZINIERT MICH?

Ein Kollege schwärmte mir von einer Norwegen-Reise vor. Dort bekomme man Dinge zu sehen, die man noch nie zuvor gesehen habe. Also habe ich mich mal umgesehen. Recht hat er!

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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