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China gegen USA: Das Kräftemessen zweier Weltmächte hat einen Verlierer


Was heute wichtig ist
China steigt auf, Amerika fällt. Und fällt. Und fällt…

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 28.05.2020Lesedauer: 8 Min.
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Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping fordert die amerikanische Macht von US-Präsident Trump heraus.Vergrößern des Bildes
Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping fordert die amerikanische Macht von US-Präsident Trump heraus. (Quelle: imago images)

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WAS WAR?

Empires rise and fall. Imperien steigen auf und dann zerbrechen sie. Ein kurzer Satz, doch seine Bedeutung kann man gar nicht groß genug einschätzen. Geschrieben hat ihn der britische Historiker Paul Kennedy schon vor mehr als 30 Jahren in einem bahnbrechenden Werk, in dem er die Entwicklung großer Reiche wie der Habsburgermonarchie, der britischen Kolonialmacht, des Deutschen Reiches und der Sowjetunion verglich. Überall beobachtete Kennedy denselben historischen Verlauf: Aufstieg – Überdehnung – Erschöpfung – Abstieg. Für seine These hat er unzählige Indizien, Belege und Beobachtungen gesammelt und dabei stets denselben Grund für den unvermeidlichen Niedergang gefunden: Immer sei es die Ökonomie, die einer Großmacht irgendwann die Grenzen aufzeigt, meint er. Die These ist umstritten, aber bestechend: Auf Dauer lässt sich ein Riesenreich mit vielen Millionen Einwohnern, mit globalem Machtanspruch und daher auch globalen Problemen nicht stabil regieren, ohne wirtschaftlichen Schaden zu nehmen. Kennedy führte die Gedanken früherer Historiker weiter, etwa jene des großen Edward Gibbon, der den Untergang des Römischen Reiches seziert hatte.

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Am Zerfall des Römischen Weltreichs können wir sehen, was zum Katalysator eines Machtverfalls werden kann: eine zweite, etwa gleichstarke Macht, der man in Rivalität verbunden ist und dabei durch permanente Konflikte seine Kraft verschleißt. Bei den Römern nahm das Persische Reich diese Rolle ein. Ständige Feldzüge leerten die Staatskasse, lähmten notwendige Reformen und zogen die Aufmerksamkeit der Herrscher von einem anderen existenziellen Problem ab: An den Nordgrenzen wurden die Germanenstämme immer frecher; irgendwann waren sie nicht mehr aufzuhalten. Schätzungen zufolge fraßen die Militärausgaben 80 Prozent des römischen Haushalts auf, das hält kein Staat ewig aus. So kam es, verstärkt durch innenpolitische Konflikte, Korruption und die Dekadenz der Führungselite, dass nicht einmal die technischen, kulturellen und gesellschaftlichen Errungenschaften das großrömische Reich vor seinem Zerfall bewahrten. Die Römer hatten ein hochspezialisiertes Bankwesen, eine effektive Bürokratie und mehrstöckige Häuser mit Zentralheizung. Sie hatten Waffenfabriken, Elitearmeen und ein pragmatisches Religionssystem, das lokale Gottheiten von Minderheiten integrieren konnte, solange sie nicht die Allmacht des Kaisers infrage stellten. Sie hatten kühne Politiker, gewiefte Imageberater und brillante Geschichtsschreiber, aber noch nicht einmal denen fiel eine Antwort auf die Frage ein, wie sich das Reich retten ließ, als es den Höhepunkt seiner Macht überschritten hatte. All die Errungenschaften und hochmögenden Persönlichkeiten konnten das Ende nicht aufhalten. Empires rise and fall.

Geschichte wiederholt sich nicht, und jede Epoche hat ihre eigenen Prämissen, Einflüsse und Überraschungen, trotzdem können wir uns einen Vergleich des Heute mit dem Gestern erlauben. Die einzige gegenwärtige Weltmacht sind die USA; militärisch, technologisch und auch beim Kulturexport kann bislang niemand den Amis das Wasser reichen. Amerikanische Geschosse und Kampfdrohnen können binnen Stunden jeden Flecken auf dem Globus erreichen, während der US-Raketenschutzschild jeden Angriff abwehren kann. Die kalifornischen Tech-Konzerne Google, Facebook und Amazon dominieren das globale Geschäft der Kommunikation, der Werbung und des Online-Handels. Nach ihrer Pfeife tanzen ganze Wirtschaftsbranchen, auch in Deutschland. Amerikanische TV-Serien, Kinofilme, Popsongs und Modestile prägen unser Freizeitleben. All das wird sich so schnell nicht ändern, aller Kritik an Amerikas Vorherrschaft und aller Kulturskepsis zum Trotz.

Doch langsam beginnen die Gewichte auf der globalen Waage sich zu verschieben: Die von den USA angeführte Macht des Westens verliert an Einfluss, der Osten gewinnt. Grund dafür ist der rasante Aufstieg Chinas aus einer Hunger- in eine Leistungsgesellschaft. Fast eine Milliarde Menschen haben die kommunistischen Turbokapitalisten binnen weniger Jahrzehnte aus der Armut geholt – eine beispiellose Erfolgsgeschichte, die allerdings teuer erkauft ist: mit dem Primat des Kollektivs über das Individuum, einer totalitären Diktatur, einem digitalen Überwachungsstaat und brutaler Umweltzerstörung. An der Spitze des Systems steht ein ebenso schlauer wie skrupelloser Mann, der seine Macht und seine Vision in diesen Tagen von den 3.000 Claqueuren des Volkskongresses abnicken lässt: "Die Sonne scheint einzig und allein auf Xi Jinping, den zweiten Mao, für den etliche Gesetze nicht gelten, die für seine Vorgänger galten. Er will länger an der Macht bleiben, als eigentlich zulässig ist. Er erhebt sich zum absoluten Herrscher in einem totalitären System und wiederholt bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass China in den kommenden Jahrzehnten in den Rang der ersten Weltmacht aufrücken wird“, schreibt unser Kolumnist Gerhard Spörl, der seit Jahrzehnten die internationale Politik beobachtet.

Obgleich es als Ursprungsland der Pandemie hart vom Coronavirus getroffen wurde, ist schon jetzt absehbar, dass China so gestärkt wie kein anderes Land aus dieser Krise hervorgehen wird. Nicht weil die Politbürobosse um Diktator Xi alles richtig gemacht hätten. Sondern weil der einzige echte Widersacher der chinesischen Machtausdehnung in dieser Krise so kolossal versagt: Kein Land hat mehr Infizierte und mehr Tote zu beklagen als die USA, in keinem anderen Industriestaat ist das administrative Chaos so groß und die Bevölkerung so krass gespalten, dass eine Versöhnung der gesellschaftlichen Schichten kaum noch denkbar erscheint. Hinzu kommt: Amerika hat seine Macht seit Jahren überdehnt. Noch heute blechen die amerikanischen Steuerzahler für das Multimilliardendebakel von George W. Bushs Irak-Feldzug. Der Unterhalt der atomaren und konventionellen US-Streitkräfte auf Stützpunkten rund um den Globus verschlingt weitere Unsummen; die Steuergeschenke der Kongressabgeordneten für Reiche und Superreiche rauben den Haushältern den letzten Spielraum. Amerika lebt seit Jahren auf Pump, und das Schuldenrad dreht sich so schnell, dass es sich kaum noch aufhalten lässt. Die Folgen der Corona-Krise – unzählige Unternehmenspleiten, rund 40 Millionen Arbeitslose – verschlimmern die Lage schlagartig.

Man dürfe die amerikanische Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden, nicht unterschätzen, heißt es, und das ist sicher richtig. Trotzdem beginnt sich eine historische Weichenstellung aus dem Nebel der Zukunft zu schälen: Um langfristig den Staatsbankrott zu verhindern, müssen die USA ihren politisch-militärischen Apparat umbauen, was einen schrittweisen Rückzug vom globalen Machtanspruch voraussetzt. Die Alternative wäre dramatisch: mehr Konflikte mit dem raumgreifenden China, mehr Schulden, mehr Spaltung, mehr Überdehnung. Bis es irgendwann nicht mehr geht und die amerikanische Weltmacht erschöpft ihrem Niedergang entgegenwankt. Dann könnten sich unsere Nachkommen einer historischen Parallele entsinnen: Nach mehr als 400 Jahren endete am 4. September 476 das weströmische Reich mit der Absetzung von Kaiser Romulus Augustulus. "Gerade wegen seiner grenzenlosen Aggressivität war der römische Imperialismus zuletzt für seine Zerstörung selbst verantwortlich": Mit diesem Satz beendet der britische Historiker Peter J. Heather nach 526 Seiten sein Monumentalwerk "Der Untergang des Römischen Weltreichs". Wir sollten ihn in Erinnerung behalten, wenn wir die globalen Machtverschiebungen unserer Zeit beobachten. Empires rise and fall.

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WAS STEHT AN?

Zum Abschluss seiner Jahrestagung wird der chinesische Volkskongresses heute die Pläne der Pekinger Diktatoren für ein "Sicherheitsgesetz" in Hongkong durchwinken. Es soll der Demokratiebewegung das Rückgrat brechen, indem es Proteste als "subversiv und spalterisch" brandmarkt und jegliche "ausländische Einmischung" unter Strafe stellt. Außerdem bestätigt der Kongress eine hohe Neuverschuldung und eine massive Steigerung der Rüstungsausgaben. Anschließend darf Premierminister Li Keqiang auf einer Pressekonferenz verkünden, wie großartig sich China entwickle und wie bedauernswert die ständigen Provokationen der Amerikaner seien. Wir können live und in Farbe einem Imperium beim Aufstieg zusehen.


Es gibt Dinge, von denen man glaubt, dass sie schon irgendwer im Blick haben muss. Gerade uns in Deutschland geht es ja gut, an viele Dinge wird gedacht, der Staat sorgt sich mehr als anderswo um die Bürger. Daher glaubten wir wohl auch, dass auf einen Pandemiefall schon irgendwer vorbereitet sei. Es ist erstaunlich, dass sich dieser Glaube manchmal nicht nur dort hält, wo er zu erwarten ist: bei uns Laien. Sondern offenbar auch dort, wo man sich für derlei Herausforderungen eigentlich rüsten muss: in der Politik, in den Behörden, bei den Trägern von Gesundheitseinrichtungen. Meine Kollegen Jonas Mueller-Töwe und Lars Wienand sind der Frage nachgegangen, wie es dazu kommen konnte, dass Deutschland inmitten einer Pandemie auf milliardenschwere Einkaufstour gehen musste: Überall fehlten die Masken, die Handschuhe, das Desinfektionsmittel, die nun für uns zum Alltag gehören. Hatte niemand vorgesorgt? Und warum nicht? Um das herauszufinden, haben meine Kollegen Anfragen gestellt und Anträge durchgefochten, telefoniert und Akten gewälzt.

Das Ergebnis ihrer Recherchen ist ernüchternd: Zwar gab es den Nationalen Pandemieplan, es gab sogar darauf fußende Pandemiepläne der Bundesländer – doch zur Bevorratung mit Schutzmaterial gab es kaum Vorgaben. Ja, das müsse man machen, hieß es in den maßgeblichen Dokumenten, möglichst vor einer Pandemie, möglichst vor absehbaren Lieferengpässen. Doch als zuständig befand der Bund die Länder, die Länder wiederum sahen die Arbeitgeber in den Krankenhäusern, Pflegeheimen und Arztpraxen in der Pflicht. So reichte man die Verantwortung durch die Hierarchien immer weiter nach unten, bis niemand sie mehr wahrnahm.

Heute wissen wir, wo das endete. Noch im Februar hieß es, Deutschland sei vorbereitet für die Corona-Ausnahmesituation, "bestmöglich aufgestellt" sogar. Dann schlugen die Krankenhäuser, Arztpraxen und Apotheken Alarm, denn überall fehlten professionelle Masken, Schutzkittel und Desinfektionsmittel. Der Ruf nach dem Staat ertönte, der sich aber bis dahin gar nicht so recht zuständig gefühlt hatte. Und dann ging die hektische Einkaufstour rund um den Globus los. Lesen Sie hier den Exklusivbericht auf t-online.de: Wie Deutschland die Pandemie-Vorsorge verschlief.


Die "Global-Response-Initiative" soll so schnell wie möglich Impfstoffe und Medikamente gegen das Coronavirus entwickeln und weltweit zur Verfügung stellen. Dafür hat EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen eine Geldsammelaktion gestartet. Heute informiert sie über deren Ergebnis. Offenbar sind rund zehn Milliarden Euro zusammengekommen. Ermutigend!


Innenminister Horst Seehofer (CSU) muss als Zeuge im Maut-Untersuchungsausschuss des Bundestags aussagen. Sein Parteifeind, Pardon: -freund, Ex-Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer, hatte zuvor ausgesagt, der frühere CSU-Chef Seehofer habe mit Kanzlerin Merkel "sehenden Auges" eine "europarechtliche Unmöglichkeit" bei der Pkw-Maut in den Koalitionsvertrag von 2013 hineinverhandelt. Merke: Das Mautdebakel hat viele Väter, aber alle kommen aus der CSU.


WAS LESEN UND ANSCHAUEN?

Libyen ist drauf und dran, sich zum neuen Syrien zu entwickeln: Zu einem Krisenland, das in Brutalität, Not und Schrecken versinkt – und seine Konflikte auch nach Europa exportiert. Die Fronten sind unübersichtlich geworden, daher ist dieser kurze Überblicksartikel aus der "Süddeutschen Zeitung" so verdienstvoll: Er beschreibt, wie Putin, Erdogan, die Scheichs der Arabischen Emirate und andere Kriegsfürsten im Süden der Europäischen Union ein Inferno entfachen. Was da gerade geschieht, könnte uns bald schwer zu schaffen machen.


750 Milliarden Euro will die EU-Kommission für die Corona-gebeutelten Mitgliedsstaaten locker machen. Zwei Drittel sollen als Zuschuss fließen, müssen also nicht zurückgezahlt werden, dafür will die EU selbst Schulden aufnehmen – und bekommt viel Applaus dafür. Als Präsident des Bundes der Steuerzahler muss Reiner Holznagel das Konstrukt schon qua Amt falsch finden. Bedenkenswert sind seine Argumente trotzdem: "Das, was jetzt läuft, ist eine Vernebelung der Tatsachen, ein Weichklopfen von Milliarden Steuergeldern – ohne dass die Politik an dieser Stelle Verantwortung übernimmt", moniert er im Interview mit meinem Kollegen Mauritius Kloft.


WAS AMÜSIERT MICH?

Tatütata, die Angela und die Ursula sind da!

Ich wünsche Ihnen einen kraftvollen Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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