Tagesanbruch Der Wahnsinn hat ein Ende
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
hier ist Ihr Tagesanbruch, heute geht es um eine überfällige Entscheidung, Redlichkeit und einen Lichtblick:
Jeder ist gefragt
Man muss sich diese Zahl einfach mal vor Augen führen: Mehr als 40 Millionen männliche Küken werden in Deutschland getötet – Jahr für Jahr für Jahr für Jahr für Jahr. Ihre Aufzucht lohnt sich für die Brütereien nicht. Sie legen keine Eier und setzen nicht so viel Fleisch an wie weibliche Hühner. Immer wieder ist von "Schreddern" die Rede, meistens werden die frisch geschlüpften Tierchen aber vergast. Das macht den Irrsinn nicht besser. Was erlauben wir Menschen uns, andere Lebewesen nur deshalb umzubringen, weil sie uns nicht auf dem Teller gefallen? Auch der globale Fischfang ist brutal, wie die umstrittene, aber eindrucksvolle Dokumentation "Seaspiracy" zeigt. Die mafiöse Ausbeutung der Weltmeere zu beenden, ist jedoch ungleich schwieriger, als hierzulande die täglichen Massaker an den kleinen Zweibeinern zu beenden. Doch ein ums andere Mal beugte sich die Bundesregierung der Agrar- und Fleischlobby, und das Bundesverwaltungsgericht gestattete das Töten noch für eine Übergangszeit.
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Ab Anfang kommenden Jahres soll endlich Schluss sein. Das sieht ein Gesetzentwurf von Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) vor, den der Bundestag heute in zweiter und dritter Lesung beschließen soll. Bis auf wenige Ausnahmen – etwa Eintagsküken, die in Zoos oder Wildtierauffangstationen verfüttert werden – sollen künftig Verfahren zum Einsatz kommen, die es ermöglichen, das Geschlecht schon frühzeitig im Ei zu erkennen und männliche Küken gar nicht erst schlüpfen zu lassen. Anschließend will Deutschland diese Praxis in der ganzen Europäischen Union durchsetzen. Doch genau besehen reicht auch das noch nicht, wenn wir großen Zweibeiner zu einer Ernährungsweise im Einklang mit unserer Umwelt finden wollen. Es geht ja auch anders, wie dieses Video der ARD-Kollegen zeigt. Allerdings kommt es dann nicht nur auf die Regierenden an, sondern auch auf Sie und mich und alle anderen Verbraucher.
Das tut weh
Erst einmal braucht man ein Thema. So speziell, dass man keine Doublette riskiert, aber zugleich breit genug, dass es möglichst viele Leser interessiert. Dann brütet man über der Gliederung. Man liest. Und liest. Und liest noch mehr. Und wenn man glaubt, alles bisher Publizierte zum Thema gelesen zu haben, stößt man garantiert auf fünf weitere dicke Bücher, die man auch noch lesen muss. Man bespricht sich mit der Professorin oder dem Professor. Sucht Antworten auf ihre kritischen Fragen, besucht brav ihre Seminare und Vorträge. Man reist vielleicht ins Ausland, forscht dort weiter und befragt andere Menschen. Man füllt Notizblock um Notizblock, skizziert Gedanken, Thesen, Argumentationsketten. Und wenn man irgendwann genug gelesen, geforscht und gedacht hat, beginnt der Prozess des Schreibens. Der verflixte erste Satz. Das erste Kapitel. Das nächste. Und so weiter und so fort. Wenn man schließlich glaubt, alles fertig zu haben, beginnt die Überarbeitung. Das kritische Gegenlesen der Kommilitonen. Das Nachbessern, Nachhaken, Umformulieren.
Und wenn man dann irgendwann endlich, endlich fertig ist, oft erst nach mehreren Jahren, dann hat man ein Werk geschaffen, mit dem man nicht nur seinen außergewöhnlichen akademischen Reifegrad unter Beweis stellt, sondern der Forschung auch einen neuen Aspekt eröffnet und zu weiteren Studien anregt. Nichts weniger ist der Anspruch an eine wissenschaftliche Dissertation. Wer sich durch diesen zähen Prozess gequält, unzählige Stunden am Schreibtisch und in Bibliotheken gehockt, zigmal über kaputte Kopierer geflucht, aufwendige Studien betrieben und sämtliche Fundstellen, Verweise und Quellenangaben durch Hunderte von Fußnoten und ein akribisches Literaturverzeichnis belegt hat, wer überdies seine Arbeit vor einer wissenschaftlichen Kommission verteidigt oder eine Fachprüfung bestanden hat, der darf sich zu Recht die beiden Buchstaben Dr. vor den Nachnamen stellen.
Es ist durchaus ein erhebendes Gefühl, wenn man auf dem Amt, auf einem Podium oder gar von einem Schweizer Grenzsoldaten bei der Passkontrolle als "Herr Dr. Sowieso" oder "Frau Dr. Sowienoch" angesprochen wird. Es kann einem dann so ergehen, dass man sich für einen kurzen Augenblick all der Strapazen erinnert und den Stolz auf das Geleistete noch mal nachschmeckt, auch Jahre später noch. Es ist eben eine wirklich große Leistung, eine Doktorarbeit geschrieben zu haben.
So gesehen ist das, was sich Franziska Giffey erlaubt hat, eine Unverschämtheit. Jede Person, die ihren Dr. redlich erworben hat – und das sind leider nicht alle Titelträger – dürfte bei jeder neuen Plagiatsaffäre einen Stich der Empörung empfinden, sei es bei Herrn Guttenberg, Frau Schavan oder eben der Bundesfamilienministerin. Zugutehalten muss man der SPD-Politikerin, dass sie in dem Verfahren weitgehend mit offenen Karten gespielt und womöglich tatsächlich geglaubt hat, ihre Arbeit habe allen Anforderungen genügt. Auch hat die Freie Universität zu Berlin alles andere als eine gute Figur gemacht, der Filz dort ist legendär.
Trotzdem wirken Frau Giffeys Erklärungsversuche ebenso fadenscheinig wie ihr Taktieren ums nächste politische Amt: Als Bundesministerin ist sie wegen des Plagiatsvorwurfs zurückgetreten – um sich nun in die Berliner Landespolitik zu retten und in einer möglichen Koalition mit den Grünen womöglich einen Senatorenposten zu angeln. "Frau Giffey sollte den Wählern eine weitere Kandidatur nicht antun", schreibt mein Kollege Peter Schink in seinem Kommentar. Recht hat er. Konsequent wäre es, nach dem Eingestehen eines Fehlers – und das ist Franziska Giffeys Rücktritt, selbst wenn sie ihn in Politikergeschwurbel verpackt – zunächst eine Karenzzeit einzulegen, in sich zu gehen und damit nicht nur den aufrichtigen Willen zur Läuterung zu beweisen, sondern auch den Ruf akademischer Titel zu wahren. Denn mit jedem weiteren Plagiatsfall und mit jedem weiteren Taktieren der Plagiatoren schwindet die Anerkennung für besondere wissenschaftliche Leistungen in der Bevölkerung. Ganz ehrlich: Das tut weh. Nicht nur auf dem Amt oder an der Schweizer Grenze.
Terrorprozess in Frankfurt
Ein deutscher Soldat, der sich als syrischer Flüchtling ausgibt – und diese Legende offenbar nutzen will, um mit vermeintlich islamistischen Attentaten den Rassismus in Deutschland zu schüren: Der Fall des früheren Oberleutnants Franco A., der ab heute vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt am Main verhandelt wird, gehört zu den unglaublichsten Auswüchsen, die das nicht gerade kleine Themenfeld "Bundeswehr und Rechtsextremismus" bislang hervorgebracht hat. Die Anklage der Bundesanwaltschaft lautet auf Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat: Nach Erkenntnissen der Ermittler plante der Offizier von 2015 an Anschläge auf Politiker wie den damaligen Justizminister Heiko Maas, die ehemalige Grünen-Chefin Claudia Roth, aber auch auf Anetta Kahane, Gründerin der Amadeu Antonio Stiftung. Überdies war Franco A. wohl in ein Netzwerk rechter Soldaten und Polizisten eingebunden, die sich als "Prepper" begreifen. Bislang haben die Richter neun weitere Verhandlungstermine angesetzt. Fraglich, ob die reichen.
Vorab-Triell
Das "offizielle" TV-Triell der Kanzlerkandidaten bei ARD und ZDF findet erst am 12. September statt – ihre erste gemeinsame Fernsehdiskussion bestreiten Annalena Baerbock (Grüne), Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD) aber schon heute: Von 14 bis 15 Uhr debattieren die drei beim WDR-Europaforum über ihre europapolitischen Vorhaben für die Zeit nach der Bundestagswahl. Das WDR-Fernsehen und Phoenix übertragen live.
Lichtblick der Woche
Mit Hass, Schund und Belanglosigkeiten zersetzt Facebook unsere Gesellschaft, raubt Millionen Menschen ihre Zeit und treibt Schindluder mit persönlichen Daten. Neben der Foto-App Instagram gehört auch WhatsApp zu Mark Zuckerbergs Volksverdummungsimperium. Weil die App nun noch mehr Daten absaugen soll, steigen viele Nutzer auf seriöse Alternativen um – und nun hat die vertrauenswürdige App Signal in einem wichtigen Ranking WhatsApp überholt.
Was lesen?
Bundestrainer Jogi Löw hat seine Spieler für die Fußball-EM nominiert. Aber kann er mit diesem Kader wirklich etwas reißen? Unser Kolumnist Berti Vogts hat den Titel als Bundestrainer damals selbst gewonnen, deshalb ist sein Urteil umso bemerkenswerter.
Und damit Sie wissen, welche speziellen Qualitäten die 26 deutschen EM-Kicker auszeichnen, stellt mein Kollege David Digili sie Ihnen in besonderer Weise vor. Das sollten Sie gelesen haben, wenn Sie in drei Wochen mitreden wollen.
Jetzt ist es offiziell: Schon in Kürze wird der Bundesfinanzhof zwei Urteile zur umstrittenen Besteuerung der Renten verkünden. Zwar ließen sich die Richter bei der gestrigen Verhandlung kaum in die Karten schauen. Dennoch ist nun klarer, wo der Knackpunkt liegt. Unser Finanzreporter Mauritius Kloft hat die Details.
Was amüsiert mich?
Wie man das halt so macht in der Politik:
Bleiben Sie bitte redlich. Dann wünsche ich Ihnen einen schönen Tag.
Herzliche Grüße,
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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