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G20-Gipfel und Weltklimakonferenz: Na schönen Dank auch, Angela Merkel


Tagesanbruch
Na, schönen Dank auch, Frau Merkel

  • Johannes Bebermeier
MeinungVon Johannes Bebermeier

01.11.2021Lesedauer: 5 Min.
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Olaf Scholz und Angela Merkel in Rom: Na, schönen Dank auch.Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz und Angela Merkel in Rom: Na, schönen Dank auch. (Quelle: Oliver Weiken/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

sie verspüre "durchaus etwas Erleichterung, aber vor allem große Dankbarkeit". Das sagte Angela Merkel am Wochenende der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" in einem ihrer Abschiedsinterviews, die sie gerade gibt. Und ja, "Zufriedenheit" ist angesichts der langen und "komplizierten Wegstrecke" auch ein Gefühl, das sie mit Blick auf 16 Jahre Kanzlerschaft empfindet.

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Wir müssen uns Angela Merkel also als glücklichen Menschen vorstellen. Und zwar wohl wirklich in etwa so, wie sich der französische Philosoph Albert Camus den Sisyphos als glücklichen Menschen vorgestellt hat. Sie erinnern sich, den eigentlich doch so armen Tropf aus der griechischen Mythologie, der als Strafe in der Unterwelt einen Felsbrocken den Berg hinaufrollen muss. Dummerweise einen ziemlich widerspenstigen Felsbrocken, der wieder und wieder hinunterrollt.

Angela Merkels Felsbrocken, das waren die großen Krisen, die ihre Kanzlerschaft prägten: Die weltweite Finanzkrise, die sich zur europäischen Schuldenkrise entwickelte. Die Ukrainekrise. Die Migrationskrise. Die Coronakrise. Von den kleineren und mittleren wollen wir gar nicht erst anfangen. War die eine Krise vorbei, musste sich die Kanzlerin schon um die nächste kümmern.

Sie wird angesichts dieser Mühsal ihre schwachen Stunden gehabt haben, alles andere wäre seltsam. Aber im Großen und Ganzen hat Angela Merkel ihre Krisen offensichtlich in einer Gemütsverfassung abgearbeitet, wie sie sich Camus auch für den Sisyphos vorgestellt hat: Ja, natürlich erscheint es irgendwie sinnlos und absurd, dass sich Krise an Krise an Krise an Krise reiht und man kaum vorankommt. Aber wer deshalb verzagt, der macht die Welt eben auch nicht besser und sich selbst nicht glücklicher, weil er gar nichts bewegt. Nicht mal den immergleichen Felsbrocken den immergleichen Berg hinauf.

Angela Merkel ist bald von ihrem Felsbrocken befreit. Sie hinterlässt ihn Olaf Scholz und seiner Ampelregierung. Und die wird sich dann vor allem mit einer Krise befassen müssen, die in der Liste oben absichtlich fehlt, weil sich Merkel viel zu wenig mit ihr befasst hat. Bezeichnenderweise erwähnt die Kanzlerin sie auch jetzt in ihrem Abschiedsinterview nicht, als sie nach ihren härtesten Krisen gefragt wird: die Erderhitzung.

Na, schönen Dank auch, Frau Merkel, könnte Scholz nun denken.

Doch die Kanzlerin und der Bald-Kanzler haben gerade ein geselliges Wochenende hinter sich. Merkel hat Scholz mit zum G20-Gipfel nach Rom genommen. Sie will die Machtübergabe ganz offensichtlich so reibungslos wie möglich gestalten. Gemeinsam trafen sie den US-Präsidenten Joe Biden. Gemeinsam sollen sie sich an der Hotelbar auch ein paar Drinks genehmigt haben. Ein gutes Zeichen für die deutsche Demokratie.

Das gute Zeichen für den Klimaschutz blieb der Gipfel jedoch fatalerweise schuldig. Daran konnte auch das Kanzlerin-und-Bald-Kanzler-Doppelpack nichts ändern. Denn die Staats- und Regierungschefs vereinbarten vor allem etwas, das sie schon 2015 beim Klimagipfel von Paris vereinbart hatten: die Erderhitzung "deutlich unter zwei Grad zu halten und Bemühungen zu verfolgen, sie auf 1,5 Grad zu begrenzen".

Was es nicht gibt, sind konkrete Daten, wann die Staaten CO2-Neutralität erreicht haben wollen zum Beispiel, oder wann Subventionen für fossile Brennstoffe auslaufen sollen. Ein Kohleausstieg wird gar nicht erst konkret erwähnt. Noch nicht mal die Notwendigkeit "sofortigen Handelns" hat es aus den ersten Entwürfen in die Abschlusserklärung geschafft. "Im Laufe des Gipfels wurde es immer unerträglicher", kommentierte mein Kollege Patrick Diekmann aus Rom. "Von Version zu Version wurde das Papier verwässert."

Anschaulicher als in Rom hätte man die globale Handlungsunfähigkeit kaum dokumentieren können. Auch wenn sich Merkel und Scholz anschließend wirklich bemühten, den Beschluss schönzureden. Das Scheitern ist auch deshalb so schlimm, weil zumindest die ambitionierten G20-Staaten eigentlich ein "starkes Signal" an die Weltklimakonferenz im schottischen Glasgow senden wollten.

Und jetzt? Wie will man ärmere Staaten überzeugen, beim Klimaschutz ambitionierter zu sein, wenn nicht mal die 20 wichtigsten Wirtschaftsmächte ambitionierter sein wollen? Also diejenigen Staaten, die für 80 Prozent der Emissionen verantwortlich sind?

Ein Weiter-so komme einer "Investition in unsere eigene Auslöschung" gleich, sagte die UN-Klimachefin Patricia Espinosa zum Auftakt der Weltklimakonferenz am Sonntag. Starke Worte – fehlen nur noch die starken Taten. Zwei Wochen hat die Welt nun Zeit, sie in Glasgow zu beschließen.

Angela Merkel wird auch dabei sein, ein letztes Mal. Schon heute hält sie zwei Reden. Man kann nur hoffen, dass sie ihr verbliebenes politisches Gewicht einbringt, damit Glasgow erfolgreicher fürs Klima wird als der G20-Gipfel. Immerhin hatte Merkel im Sommer schon einmal eingestanden, dass in ihrer Kanzlerschaft "nicht ausreichend viel passiert" sei und das "Tempo angezogen werden" müsse. Wie viel sie jetzt selbst noch ausrichten kann, werden die nächsten zwei Wochen in Schottland zeigen.

Vielleicht schafft sie es ja, den Felsbrocken noch einmal hoch auf den Berg zu wuchten. Unten steht Olaf Scholz schon bereit. Idealerweise glücklich.


Österreich macht uns was vor

Die Corona-Zahlen steigen bedenklich, also fast alle Corona-Zahlen. Denn die Corona-Impfquote steigt nur noch erschreckend langsam. Das ist nicht nur in Deutschland so, sondern auch in Österreich. Dort allerdings erhöht die Politik nun den Druck. Von heute an gilt in Österreich am Arbeitsplatz die 3G-Regel: Alle Arbeitnehmer, die mit Kollegen oder Kunden in Kontakt kommen, müssen nachweisen, dass sie entweder genesen, geimpft oder getestet sind.

Wer sich nicht daran hält und bei Kontrollen erwischt wird, der muss eine Geldstrafe zahlen – Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Wer seinen Status nicht öffentlich machen will, wird nach Hause geschickt. Und wer dort kein Homeoffice machen kann, der bekommt auch kein Geld. Klingt hart? Finden in der deutschen Politik auch (noch) viele. Zumindest finden sie viele Gründe, weshalb das angeblich schwierig sei, rechtlich und auch wegen der Gewerkschaften. Deshalb gibt es hierzulande auch noch keine bundesweite Regelung. Leider.

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Herzschlag-Gesetz vor Gericht

Vor dem Supreme Court, dem Obersten Gerichtshof der USA, findet heute eine besonders wichtige Anhörung statt. Die US-Regierung hat den Bundesstaat Texas verklagt, weil ein Gesetz dort die meisten Schwangerschaftsabbrüche unmöglich gemacht hat. Das sogenannte Herzschlag-Gesetz ist in Texas seit Anfang September in Kraft. Es verbietet Abtreibungen, sobald der Herzschlag des Fötus festgestellt worden ist.


Was lesen und hören?

Sollen Journalisten in erster Linie präzise und ausgewogen berichten – oder sollen sie Leser, Hörer und Zuschauer zu einer Haltung erziehen? Mein Kollege Florian Harms hat im "Deutschlandfunk" mit der Neurowissenschaftlerin Maren Urner über eine brisante Streitfrage diskutiert.


16 Jahre lang stand sie als Kanzlerin im internationalen Rampenlicht. Persönliches erzählte Angela Merkel nur selten. Meine Kollegen Hanna Klein und Adrian Röger haben trotzdem einige interessante Infos und Aufnahmen gefunden – und sie in einem Video zusammengestellt.


Was amüsiert mich?

Morgen schreibt an dieser Stelle wieder mein Kollege Florian Harms für Sie.

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche.

Ihr

Johannes Bebermeier
Politischer Reporter
Twitter: @jbebermeier

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Mit Material von dpa.

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