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HomePolitikChristoph Schwennicke: Einspruch!

EU-TÜV-Plan: Jährliche Pflicht für Alt-Autos sorgt für Kritik


TÜV-Plan der EU für Altautos
Lasst diesen Blödsinn bitte bleiben, er schadet politisch fürchterlich

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

01.05.2025 - 14:53 UhrLesedauer: 4 Min.
EU-Vorschlag zum TÜV: Brüssel will alte Autos jährlich prüfen lassen – die Bundesregierung ist skeptisch.Vergrößern des Bildes
EU-Vorschlag zum TÜV: Brüssel will alte Autos jährlich prüfen lassen. (Quelle: IMAGO/Hanna Drybushevska)
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Die EU möchte ältere Autos jedes Jahr zum TÜV bitten. Und trampelt damit abermals auf dem Gemeinsinn der Gemeinschaft herum, den diese noch nie so sehr brauchte wie jetzt. Ein Irrsinn mit Methode?

Aus triftigem Grund vorweg die Karten allesamt auf den Tisch: Ich besitze drei motorgetriebene Fahrzeuge. Das älteste ist eine Hercules Optima 3 in Irisch-Grün, picobello restauriert, 45 Jahre alt, eine wieder aufgeflammte Jugendliebe. Auch schon ganz gut eingefahren mit seinen 256.000 Kilometern: ein anthrazitschwarzer Mercedes 500 SE, W126, Baujahr 1990. Der Benjamin im Fuhrpark ist ein 19 Jahre alter Fiat Panda, das einzige Nutzfahrzeug der Flotte und wirklich eine tolle Kiste, wie der Werbespruch für den Ur-Panda einst lautete. Aber auch diese Kiste steht vor allem herum.

Denn eigentlich bin ich längst Bahnfahrer auf langer Strecke und Fahrradfahrer in der Stadt. Bis auf Gartenschnitt zum Wertstoffhof geht praktisch alles per Rad. Mit den unkaputtbaren Klassikern aus Lkw-Plane hinten am Gepäckträger lassen sich auch massive Einkäufe bestens nach Hause balancieren. Als hätten die Hersteller das im Blick gehabt, flutscht auch genau je ein Karton Wein in die beiden Satteltaschen. Und mit zwölf Flaschen kommt man auch bei einer größeren Gästeschar schon recht weit am Abend.

So. Das haben wir geklärt.

Nun lese ich dieser Tage in der ehrwürdigen "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (die das Thema zu Recht auf der Seite Eins angerissen hat): In der EU gibt es Pläne, Autos ab einem Alter von zehn Jahren jedes Jahr beim TÜV vorfahren zu lassen und nicht nur alle zwei. Der angegebene Grund: Ältere Fahrzeuge seien häufiger an Unfällen beteiligt als jüngere, obgleich, das wird hinzugefügt, der Anteil technisch verursachter Unfälle marginal sei.

Christoph Schwennicke
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Christoph Schwennicke ist Politikchef von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war.

Hm. Technische Defekte führen kaum zu Unfällen, aber ältere Wagen sind dennoch vermehrt an Unfällen beteiligt? Kurz nachdenken, dann klärt der gesunde Menschenverstand diesen scheinbaren Widerspruch auf. Wenn die Autos auf den Straßen Europas im Schnitt 10,8 Jahre alt sind, dann haben die älteren Semester einen hohen Anteil am Verkehrsaufkommen und sind damit oft an Unfällen beteiligt. Wenn man zudem davon ausgeht, dass die meisten jungen Menschen, Fahranfänger, mit 18 Jahren erst mal keinen Neuwagen von Mami und Papi auf den Hof gestellt bekommen, sondern sich eine erschwingliche, gebrauchte und betagte Karre kaufen, dann ist das Rätsel vermutlich endgültig gelöst. Fahranfänger sind überproportional häufig an Verkehrsunfällen beteiligt. Sie können es naturgemäß noch nicht so gut und, nun ja, kompensieren das mangelnde Können durch Übermut. Weiß man spätestens seit James Dean. Im Film und im richtigen Leben. Daran ändert kein TÜV der Welt etwas.

Der gesunde Menschenverstand scheint aber eine rare Ressource in den weitläufigen Fluren der EU-Bürokratie zu sein. Vielmehr kann einem die Idee kommen, dass irgendwo inmitten dieser 60.000 Bewohner eines sehr eigenen und realitätsresistenten Kosmos eine Abteilung, eine ganz zentrale Abteilung sitzt, die sich vor allem einem Gedanken widmet: Wie schaffen wir es, mit möglichst wenig Aufwand und gegen jede Vernunft möglichst viele dieser Normalo-Menschen da draußen gegen uns aufzubringen?

Schildkröten in einer Bucht der Kanaren

Immer wieder landet diese Hauptabteilung Schikane Volltreffer. Verstehen Sie mich jetzt bitte nicht falsch, ich liebe Schildkröten. Als ich mal drei, vier mehr als pfannengroße Exemplare der Spezies Caretta Caretta, die unechte Karettschildkröte, in einer Bucht auf den Kanaren erspähte, war ich ergriffen von deren Anblick. Und glücklich darüber, dass sie trotz allen Trubels auf der Insel offenbar ihrem Brutgeschäft nachgingen. Das gesagt habend, glaube ich nicht, dass ihretwegen die Plastikstrohhalme abgeschafft werden mussten und wir deshalb seither an ungekochten Nudeln saugen. Oder die Schraubverschlüsse von Flaschen und Milchtüten neuerdings an einem Plastiknubsi hängen müssen, den ich immer als Erstes abreiße.

Denn es ist einfach lästig. Ein Verschluss ist dazu da, abgenommen werden zu können. Fertig. Die Schildkröten würden das sicher verstehen, die Eurokraten offenbar nicht. Um ein drittes Beispiel zu nennen: Man sollte natürlich bei Leuchtmitteln im Haushalt zu jenen greifen, die nur noch einen Bruchteil des Stromes der Glühbirne fressen und trotzdem inzwischen schön warm leuchten. Schon aus Eigennutz. Aber die 100-Watt-Birne ebenso zu verbieten wie Staubsauger mit einer Leistung jenseits von soundsoviel Watt? Ich weiß nicht.

Der TÜV-Verband applaudiert, klar

Hier hat die EU-Hauptabteilung Schikane und Nerv schon gut vorgelegt. In Sachen TÜV legt sie nun nach. Und was passiert: Der TÜV-Verband applaudiert umgehend. Bei deren Jubel-Statement musste ich an die wirklich gelungene bitterkomische französische EU-Persiflage "Parlement" denken. In der stolpert ein völlig unbedarfter Jüngling mitten hinein in den Moloch EU und wird alsbald von einer Lobbyistin, der er libidinös zugetan ist, dazu gebracht, im Rahmen eines sogenannten "Blue Deal" das Verbot des Finning (also Abschneiden der Flossen) bei Haien ins glatte Gegenteil zu verkehren.

Der TÜV verdient hierzulande an einer Hauptuntersuchung 150 Euro, bei Wiedervorführung nach einem behobenen Mangel noch einmal im Schnitt 20. Bei etwa 23,4 Millionen Pkw allein in Deutschland, die zehn Jahre und älter sind, wäre das ein zusätzlicher Umsatz von mindestens 3,5 Milliarden Euro im Jahr. Chapeau. Dieses Lobbying war, wenn es so käme, wahrhaft jeden Cent wert.

Diese Frage ist elementar

Aber vielleicht dürfen wir alle auf eine Wiederauferstehung, auf einen Aufstand des gesunden Menschenverstandes in der EU hoffen. Er ist dringender nötig denn je. Diese Gemeinschaft steht vor ihrer historisch größten Aufgabe: Militärisch und in allen übrigen Belangen möglichst unabhängig zu werden von einem derangierten und irrlichternden Amerika. Und zugleich einem Diktator aus dem Osten die Stirn zu bieten. Die Frage ist so elementar und groß, dass sogar Großbritannien wieder mit an einer Antwort arbeitet, als hätte es nie einen Brexit gegeben. Und auch bei dem war das Schikane-Gefühl ein Hauptauslöser.

In dieser Zeit ist wirklich jeder einzelne Funke EU-Patriotismus zu fördern, den es nur irgend gibt. Damit endlich ein Feuer der Solidarität in diesem Europa lodert. Entfacht von seinen 450 Millionen Bürgerinnen und Bürgern. Das ist genau nicht die Zeit, in der die EU-Hauptabteilung Schikane ihre größten Erfolge feiern und die Bevölkerungen piesacken sollte.

"Mensch, werde wesentlich", hat Angelus Silesius einmal bezogen auf genau solche existenziellen Fragen geschrieben, ja gefordert. "Europa, werde wesentlich!", möchte man Brüssel und Straßburg im Geiste des großen Barockdichters zurufen. Es geht um viel. Um alles.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen, Erfahrungen als Autobesitzer
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