Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Hakenkreuz-Vorfall So erbarmungslos ist die SPD

Heute geht es um einen Skandal. Er spielte sich in der SPD ab, die Partei hat ihn umgehend bereinigt. Findet sie. Unser Kolumnist hält den Umgang mit dem Skandal für skandalös.
Ich weiß nicht, ob Sie die Geschichte mitbekommen haben, deshalb hier zunächst eine kurze Chronologie. Vor knapp zwei Wochen, im baden-württembergischen Landtag in Stuttgart: Die Abgeordneten hatten in geheimer Abstimmung über die Entsendung von Vertretern in den Oberrheinrat zu entscheiden. Nichts Aufregendes eigentlich. Für den weiteren Verlauf spielt es auch keine Rolle, was dieses Gremium eigentlich macht.
Nach der Abstimmung zeigte sich die Präsidentin des Landtags, die Grüne Muhterem Aras, schockiert. Einer der Stimmzettel war mit einem Hakenkreuz beschmiert worden. "Es widert mich nur an", sagte sie mit bebender Stimme, "das ist eine Schande für dieses Parlament". Sie blickte dabei in Richtung AfD-Fraktion. Klar, so was machen nur die Rechtsextremen.

Zur Person
Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche.
Kurz darauf machte sich Verunsicherung breit. Der Stimmzettel mit dem Hakenkreuz wurde in einer Wahlurne gefunden, die nicht in der Nähe der AfD-Fraktion stand, sondern bei SPD und Grünen. Wie kann das sein? Wird man die Wahrheit je herausfinden? Die Verwendung des Nazisymbols ist eine Straftat. Aber kein Staatsanwalt kann den Täter ermitteln, das Wahlgeheimnis schützt ihn.
Einen Tag später ist der Fall plötzlich geklärt. Daniel Born, SPD, Vizepräsident des Landtags, bekennt sich schuldig. Sein Gewissen plagt ihn. Er hat das Hakenkreuz hinter den Namen eines AfD-Abgeordneten gekritzelt. Eine Kurzschlussreaktion. Kein rechtsradikaler Ausfall, sondern ein Ausfall im Kampf gegen rechts.
Die Macht der Vergebung
Als ich von Borns Outing hörte, war meine Reaktion: Alle Achtung! Da hat einer Mist gebaut, er erkennt, welchen Schaden er angerichtet hat. Er weiß, dass seine Urheberschaft niemals ans Licht kommen wird, wenn er schweigt. Aber er redet. Und er tritt von seinem Amt als Landtagsvize zurück. Ich finde, der Mann hat Charakter gezeigt.
Zugleich kündigte Born den Austritt aus der SPD-Fraktion an, das verblüffte mich. Warum wollte er mit seinen Genossen nichts mehr zu tun haben? Er ahnte offenbar, was ihn erwartete. Die SPD-Führung meldete sich prompt zu Wort: Er solle auch sein Landtagsmandat niederlegen, unverzüglich, und seine Kandidatur für die Landtagswahl 2026 zurückziehen.
Stellen Sie sich bitte vor, der Skandal wäre nicht in der SPD passiert, sondern in Ihrem Umfeld, zum Beispiel am Arbeitsplatz. Ein besonders unbeliebter Mitarbeiter aus einer anderen Abteilung wird anonym verunglimpft; es stellt sich heraus, dass die Mobbingbotschaft nur aus Ihrem Team gekommen sein kann. Ein Kollege gesteht, er habe sich nicht unter Kontrolle gehabt, bittet um Entschuldigung und legt seine Führungsfunktion nieder. Lautet Ihre Reaktion dann: Ja, alles gut und schön, aber du hast unser Team besudelt, wir wollen dich hier nicht mehr sehen, also hau sofort ab?
Der Umgang mit menschlichen Fehlern sagt viel aus über Organisationen, egal ob Unternehmen, Vereine, Gewerkschaften, Parteien, Kirchen. Den Katholiken zum Beispiel ist stets bewusst, dass Menschen Fehler machen. Bei ihnen wird der Sünder nicht verstoßen, er bekommt die Gelegenheit zu beichten, er kann Buße tun, wiedergutmachen, den Rosenkranz beten. Vergeben gilt nicht als Schwäche.
Solidarität? Fehlanzeige!
Unser Rechtsstaat kennt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Vielleicht muss sich Daniel Born vor Gericht verantworten, nachdem er sich selbst zu seiner Tat bekannt hat: Verstoß gegen Paragraf 86a des Strafgesetzbuchs, das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Er wird dann einen Richter finden, der die Schwere seines Vergehens beurteilt und berücksichtigt, dass er seine Tat bereut. Die Höchststrafe, drei Jahre Gefängnis, wird ihm erspart bleiben, eine Geldstrafe käme infrage, oder das Verfahren wird eingestellt. Für die Justiz ist sein Vergehen kein Kapitalverbrechen.
Für seine Partei aber doch. In der SPD gibt die Gnadenlos-Fraktion der Selbstgerechten den Ton an. Moralisten führen das Wort, die kein Erbarmen und keine Verhältnismäßigkeit kennen. Die Partei geht auf maximale Distanz. Mit dem Mann, der einen Fehler gemacht hat, will sie nichts mehr zu tun haben. Der muss weg. Dann ist bestimmt auch der Skandal weg. Das grenzt an politischen Exorzismus.
Im Wertekatalog der Sozialdemokratie rangiert die Solidarität ganz weit oben. Born ist ein verdienter Genosse, 49 Jahre alt, er stammt aus Schwetzingen bei Heidelberg. Schon früh trat er bei den Jusos ein, arbeitete sich durch die Gremien nach oben und sitzt seit 2016 im Landtag. Die unsägliche Hakenkreuz-Kritzelei war anscheinend seine erste politische Verfehlung, jedenfalls wissen weder Wikipedia noch Google noch die Zeitungsarchive im Südwesten von früheren Vergehen zu berichten.
Und trotzdem wird ihm jegliche Solidarität verweigert. Kein einziger Sozialdemokrat ist ihm zur Seite gesprungen, niemand hat auf mildernde Umstände plädiert. Born ist schwul, die Queeren in der SPD haben für ihn keine Regenbogenfahne gehisst. Nur Winfried Kretschmann, der grüne Ministerpräsident, fand versöhnliche Worte: Born habe Schaden vom Landtag abgewendet, indem er öffentlich die Verantwortung für seinen Fehler übernommen habe. So einfach ist es. Aufrichtigkeit verdient Respekt.
So wird das nichts
Was treibt die SPD? Ich vermute, es ist die Angst vor der nächsten Wahl, vor dem nächsten Debakel, vor den Rechten. Im März 2026 wird im Südwesten gewählt. Beim vergangenen Mal hat die SPD elf Prozent erreicht. Elf Prozent im Industrie- und Autoland Baden-Württemberg, wo man beim Daimler oder beim Bosch schafft, zu dem die alte Arbeiterstadt Mannheim ebenso gehört wie die linken Universitätsstädte Heidelberg, Tübingen und Freiburg.
Die Wirtschaft Baden-Württembergs und der weltweit erfolgreiche Mittelstand stehen vor enormen Veränderungen: Abschied vom Verbrenner, digitale Transformation, Künstliche Intelligenz, das Ende des China-Booms. Die Südwest-SPD hat zu diesen Umwälzungen und zu den damit verbundenen sozialen Verwerfungen nichts zu sagen, buchstäblich gar nichts. Schauen Sie in das Archiv Ihrer Pressemitteilungen, lesen Sie die Beschlüsse Ihres Parteitags, verfolgen Sie die Blogeinträge Ihres Spitzenkandidaten: nichts. Und wenn doch, dann Floskeln und Parolen: "Wirtschaftsflaute? Nicht mit uns!" Na dann.
Die AfD hat bei der vergangenen Wahl 9,5 Prozent der Stimmen bekommen. Sie steht nicht unmittelbar vor der Machtübernahme in der Villa Reitzenstein. Aber im nächsten Landtag wird sie deutlich stärker vertreten sein, wie überall in Deutschland. Die Ursachen dafür sucht die SPD bei anderen, nicht bei sich selbst. Sie tritt doch so entschieden gegen rechts auf, sie will die AfD sogar verbieten lassen. Nein, im antifaschistischen Kampf lässt sie sich nicht den kleinsten Fehler nachsagen.
Deshalb ist für Daniel Born kein Platz mehr in ihren Reihen. Er hat inzwischen auch seinen Sitz im Präsidium der Landespartei geräumt, ebenso im Landesvorstand, er ist als Kreisvorsitzender im Rhein-Neckar-Kreis zurückgetreten. Nur sein Landtagsmandat will er bis zum März noch behalten, das trägt ihm jetzt Kritik ein. Würde er den Sitz im Parlament räumen, folgte garantiert die nächste Stufe der Eskalation: Kann so einer noch Mitglied der SPD bleiben? Wenn er nicht von selbst austritt, muss man ihn dann ausschließen? In der Welt dieser Funktionäre gibt es keine Strafe unter der Höchststrafe.
Wählerinnen und Wähler haben ein feines Gespür für die Politik, auch für den Umgang mit einem Politiker, der einen Fehler gemacht hat. Das ist keine gute Nachricht für die SPD in Baden-Württemberg. Bei elf Prozent, da geht noch was. Nach unten.