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Polen: SS-Tagebuch von Freimaurern soll zu Nazigold führen


In Polen vorgestellt
SS-Tagebuch von Freimaurern soll zu Nazigold führen

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

Aktualisiert am 24.03.2019Lesedauer: 5 Min.
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Transport im Zweiten Weltkrieg: In Polen wird über ein angebliches Tagebuch eines SS-Offiziers spekuliert, der für das Verstecken von 260 Lkw-Ladungen mit Gold und Kunstschätzen verantwortlich gewesen sein soll.Vergrößern des Bildes
Transport im Zweiten Weltkrieg: In Polen wird über ein angebliches Tagebuch eines SS-Offiziers spekuliert, der für das Verstecken von 260 Lkw-Ladungen mit Gold und Kunstschätzen verantwortlich gewesen sein soll. (Quelle: worldwarphotos.info, Montage:t-online.de)

Es soll von deutschen Freimaurern gehütet worden sein: Mit dem Tagebuch eines SS-Offiziers löst eine Stiftung in Polen Fantasien von riesigen Gold- und Kunstschätzen der Nazis aus. Nur scheibchenweise gibt es Informationen.

500 Seiten, die Einblick in die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs in Polen geben – und zu Verstecken von Gold und geraubten Gemälden aus jüdischem Besitz führen sollen: Das Tagebuch eines SS-Standartenführers könnte 74 Jahre später noch manches Rätsel lösen, wenn die Darstellung einer Stiftung in Oppeln stimmen sollte.

In einem vierstöckigen Gebäude in Oppeln mit großer Kastanie davor lernen Kinder in einer Musikschule Instrumente, Anwälte sitzen über Akten – und die deutsch-polnische Stiftung "Ślaski Pomost" (Schlesische Brücke) betreibt Geheimniskrämerei, lässt Fragen offen und legt falsche Spuren. Vertreter der Stiftung haben Presse und TV-Sendern Fotokopien präsentiert, die Seiten aus dem Tagebuch des SS-Offiziers zeigen sollen.

Tagebuch soll elf Orte beschreiben

"Dort ist das Vorgehen detailliert geschildert, wie Verstecke angelegt wurden", erklärte Darius Franz Dziewiatek (54) in die Kameras. Dziewiatek macht Geschäfte in Polen und Deutschland und war 2008 der Gründer der Stiftung.

Sie hat sich eine illustre Bandbreite an möglichen Aufgaben gegeben: Vom Betrieb eines TV-Senders und von Altenheimen über Unterstützung von Kinderheimen bis zur Beratung von Heimatvertriebenen oder deren Nachkommen, die nach Schlesien ziehen wollen.

Zum Tagebuch berichtete Dziewiatek: "Insgesamt werden elf Orte beschrieben." Die Mission des SS-Offiziers war es demnach, Gold der Reichsbank aus Breslau und zur Verwahrung abgegebene Wertsachen vor der anrückenden Roten Armee in Sicherheit zu bringen. Dass es diese Transporte gab, steht fest.

260 Lkw-Ladungen mit Gold und Kunst?

Von 260 Lkw-Ladungen ist die Rede, und an einem der Verstecke sollen 47 Kunstwerke von internationaler Bedeutung gelagert sein, die aus Sammlungen in Frankreich gestohlen wurden: Werke von Botticelli, Cezanne, Dürer, Monet, Raffael und Rembrandt. In anderen Kisten an einem anderen Ort seien Exponate aus aller Welt, die zur Untermauerung der NS-Rassenlehre gesammelt worden seien.

Die Funde wären sensationell. Einige Verstecke will die Stiftung bereits identifiziert haben, sie seien unberührt. Das polnische Ministerium für Kultur und nationales Erbe habe eine Liste mit fünf Orten erhalten: Eine Sprecherin von dort teilt mit, man habe Kenntnis, nehme aber nicht weiter Stellung, weil die Sache noch im Fluss sei.

Die Stiftung versicherte Journalisten, die Authentizität des Tagebuchs sei "durch mehrere Institutionen in Deutschland" bestätigt. Details? Fehlanzeige. Genannt wurde lediglich das Kunstgeschichtliche Seminar der Universität Göttingen. Doch dem Direktor dort, Professor Michael Thimann, ist davon nichts bekannt.

Geheimnis angeblich seit 18 Jahren gehütet

Das könnte daran liegen, dass Dziewiatek das Geheimnis nach seinen Worten schon 18 Jahre lang hütet und die Prüfung vielleicht länger zurückliegt. Jetzt sei die Zeit reif, sagte er. Die letzten Beteiligten sind tot und in Quedlinburg im Harz wird groß gefeiert, dass dort vor 1.100 Jahren Heinrich I. zum ersten deutschen König erhoben wurde.

Denn das Tagebuch soll aus Quedlinburg von einer Freimaurerloge nach Polen gekommen sein, ein Geschenk deutscher Christen an polnische Christen, wie es von der Stiftung heißt. Dort sei der Offizier vor dem Krieg Mitglied einer dann verbotenen Loge gewesen, sagte ein Mitarbeiter der Stiftung der Regional-Zeitung "Nowa Trybuna Opolska".

Hochdekorierter Wehrmachts-Major gründete Loge

Die Loge in Quedlinburg war nach dem Zusammenbruch der DDR 1991 eine der ersten Neugründungen in den neuen Bundesländern. Im Internet nennt sie als Initiator Heinrich Keese. Keese war ein hochdekorierter früherer Wehrmachts-Major aus dem Westen, ein Träger von Ritterkreuz mit Eichenlaub. Ist Keese die Verbindung zum Tagebuch?

Darauf gibt es zunächst keine Antwort von Axel Klinke, dem heutigen "Meister vom Stuhl" der Loge, so wird bei Freimaurern der Vorsitzende genannt. Was es mit dem Tagebuch auf sich hat, woher die Freimaurer es haben – er müsse recherchieren, erklärte Freimaurer Klinke t-online.de am Donnerstag. Seither gab es keine Antworten auf Nachfragen, bei einem Anruf hat er aufgelegt.

Und weder die Stiftung in Oppeln noch ein Anwalt in Berlin als Ansprechpartner in Deutschland reagieren auf Mails und Rückrufbitten von t-online.de zur Frage: Wer ist der SS-Offizier, der das Tagebuch geschrieben haben soll?

Wer ist SS-Standartenführer Egon Ollenhauer?

Medien in Polen, England und Russland schreiben von SS-Standartenführer Egon Ollenhauer. Ein russischer Historiker hat im Sender Zvezda des russischen Verteidigungsministeriums schon große Zweifel angemeldet: Standartenführer ist ein hoher Dienstrang, vergleichbar heute mit einem Oberst. Gäbe es ihn, er wäre bekannt, sagte er. Vielleicht war Ollenhauer aber auch nur SS-Hauptsturmführer?

"Den Namen habe ich mir ausgedacht", enthüllt der polnische Bestseller-Autor Włodzimierz Antkowiak, "aber es gab den SS-Offizier". Antkowiak hat das Buch "Die Suche nach verborgenen Schätzen in Polen" geschrieben, seine Recherchen dienen Schatzsuchern und Medien oft als Quelle, schon 2004 war in einem Artikel von Ollenhauer die Rede.

"Ich habe wirklich auf Sylt einen SS-Offizier getroffen, der mir die Informationen gegeben hat", berichtet Antkowiak t-online.de. Er habe ihn im Buch Egon Ollenhauer genannt, um seine Identität zu schützen. Das Bundesarchiv, das t-online.de Hilfe angeboten hat zur Frage der Identität von Ollenhauer, kann die Recherche dazu wieder einstellen.

Autor Antkowiak liest derweil Artikel zu dem Tagebuch, geschrieben angeblich von einem Offizier mit seinem Fantasienamen. Er hat ein Schmunzeln dafür übrig: "Ich denke, das Tagebuch ist eine Ente."

Aus Ollenhauer wird Michaelis

Die Stiftung spricht aber bei genauer Nachfrage nicht von Ollenhauer, hat Krzysztof Strauchmann erfahren. Strauchmann ist Redakteur bei der Lokalzeitung "Nowa Trybuna Opolska" und schreibt in seinem Text stattdessen vom Offizier "Michaelis".

"Die Stiftung hat dementiert, dass der Mann Ollenhauer hieß", sagte er t-online.de. "Auch Michaelis ist nur ein Pseudonym. Sie kennen den echten Namen, aber sie wollen ihn noch nicht preisgeben." Die Stiftung wolle nur tröpfchenweise Informationen herausgeben, inszeniere eine Art Schnitzeljagd rund um die Schatzsuche. Vielleicht passt es da sogar in die Strategie, dass mit dem Namen Ollenhauer eine falsche Spur gelegt ist. "Wir Polen lieben Mysterien und Rätsel."

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Nazi-Goldzug-Jäger bleibt gelassen

Der in Schlesien lebende deutsche Ahnenforscher und Schatzsucher Andreas Richter nimmt das bisher erstaunlich gelassen. "Ich habe die Nachricht vom Tagebuch zur Kenntnis genommen", sagte er t-online.de.

Er ist mit seinen Bohrungen nach einem Nazi-Goldzug im Berg im niederschlesischen Waldenburg (Walbrzych) international bekannt geworden.

"Um zu dem Tagebuch irgendwas zu sagen, müsste ich mir das genauer anschauen dürfen", sagt er. "Ich habe schon so vieles gesehen, es haben sich da so viele Leute gemeldet – und die meisten versuchen nur, sich wichtig zu machen."

Er hat die Suche nach dem Goldzug im vergangenen Herbst eingestellt – aber nur wegen Unstimmigkeiten mit seinem polnischen Partner. "Ich weiß, was da unten ist: der Panzerzug."

Bestseller-Autor Antkowiak sagt, er sei sich auch sicher gewesen, als er sein im Jahr 2000 veröffentlichtes Buch geschrieben habe, das 2015 mit neuem Titel und viel Raum für den Gold-Zug noch einmal ähnlich erschienen ist. "Ich habe da niemanden getäuscht. Aber heute glaube ich, es ist Fiktion." Die Menschen wollten aber an Schätze glauben, "das ist der Grund, warum solche Bücher Bestseller sind."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Selbstbeschreibung Stiftung Slaski Pomost
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