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Jörg Kachelmann: Tod durch Blitzschlag – Der DFB spielt mit Menschenleben


Tod durch Blitzschlag
Der DFB spielt mit Menschenleben

MeinungVon Jörg Kachelmann

Aktualisiert am 03.09.2018Lesedauer: 6 Min.
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Mehrere Blitzeinschläge in der Nähe von Karlsruhe im Juni 2018: Regen muss nicht immer dabei seinVergrößern des Bildes
Mehrere Blitzeinschläge in der Nähe von Karlsruhe im Juni 2018: Regen muss nicht immer dabei sein (Quelle: Fabian Geier/imago-images-bilder)

Wieder einmal ist ein Fußballspieler auf dem Feld von einem Blitz getroffen worden und gestorben. Wieder einmal heißt es, man habe das nicht kommen sehen können. Falsch!

Es reicht. Ich will keine Toten und Verletzten auf Fußball- und anderen Plätzen mehr sehen. Ein Torhüter ist gestorben, nachdem er während eines Spiels in Spiesheim (Rheinland-Pfalz) vom Blitz getroffen worden war. Wie immer: völlig vermeidbar.

Zuständig wäre der deutsche Fußballbund DFB, der sich aber mit Wetter generell schwer tut, wie man auf seiner Website zum Thema Blitzeinschläge unschwer sehen kann: Die dort erwähnten geheimnisvollen "Sommerstürme" müssen durch die Natur erst noch erfunden werden (die Vermutung liegt nahe, dass ein Text aus dem Englischen übersetzt wurde, wo storm für Gewitter steht), und beim Satz "wo ein Sturm ist, ist auch oft ein Gewitter nicht weit" möchte man den Computer ausmachen und zum Brechbecherchen greifen – sicher, jemand der mit Fußball zu tun hat, muss keine Ahnung vom Wetter haben. Aber vielleicht könnte man jemanden fragen, der sich auskennt?

Fast schon stolz wird vermeldet, wie viele Menschen auf dem grünen Feld der Ehre ein Verwundetenabzeichen verdient hätten oder Schlimmeres, und seit der externen Statistik aus den Jahren 1995 bis 2008 sind weitere Tote und Verletzte hinzugekommen. Vielleicht würde es helfen, wenn der DFB selbst zu zählen beginnt, und sich fragte, ob diese Todesfälle womöglich zu verhindern wären.

Denn das wäre es. In jedem Fall. Wenn denn nur jemand wollte. Bisher will niemand, deswegen passiert es immer wieder, zuletzt vor ein paar Tagen. Ich möchte an zwei Beispielen zeigen, wie auch kollektives (und verständliches) Lügen der Augenzeugen dazu führt, dass nichts passiert, während medial das Überraschungsmärchen hochgehalten wird, wie ich es schon hier beschrieben habe.

Lügen und Unwissenheit

Diese omertà ist typisch, wenn Menschen tot oder verletzt sind, alle es hätten verhindern können, es aber niemand getan hat und dann alle so tun müssen, als ob es niemand hätte verhindern können. Weil der DFB sehr stark darauf drängt, dass Spiele zu Ende gebracht werden, lässt man auch gerne Kinder bis zum bitteren Ende spielen, wie Ende Mai 2016 in Rheinland-Pfalz.

Und alle sind schon geübt und drängen sich vor, wenn sie gefragt werden, und lügen gemeinsam in den Medien, Zitat: "Das Spiel war zum Zeitpunkt des Blitzschlags gerade beendet. Es gab Zeugen zufolge keinen Regen und keinen dunklen Himmel", berichtete ein Polizeisprecher und bestätigte einen Online-Bericht der "Rheinpfalz".

Das ist zumindest teilweise gelogen – es wird halt immer noch einer draufgesetzt bei der Mauer des Schweigens. Entscheidend bei dieser Aussage ist, was nicht gesagt, aber öfter auch bei Fußball-Blitzen frei erfunden wird, dass man nämlich keine Ahnung hätte haben können, dass es blitzen könnte.

In der roten Raute die Mehrfachentladung in den Sportplatz am 28. Mai 2016 kurz vor 14 Uhr:

Die anderen Blitzsymbole sind Blitze in der Zeit zwischen 13.30 und 14 Uhr. Es ist deutlich zu sehen, dass es schon ein ziemliches Feuerwerk samt Getöse war, bevor der verhängnisvolle Blitz einschlug, nur wenigste Kilometer entfernt. Es war leider allen alles ganz egal.

Sie können selbst jeden Blitzeinschlag ansehen mit Uhrzeit und Stärke von hier aus.

Der Blitz, der die Spielunterbrechung hätte erreichen sollen und wie ein Hammerschlag zu hören war auf dem Fußballplatz, schlug um 13.30 Uhr rund acht Kilometer entfernt ein.

Viele Blitz- und Donnerschläge kamen danach hinzu, man hätte von diesem ersten Blitzschlag an noch eine knappe halbe Stunde Zeit gehabt. Der DFB wird sagen, dass alle diese Blitze das Kriterium erfüllt haben, das er auf seiner eingangs erwähnten Blitzschlag-Seite aufgeschrieben hat: Zwischen Blitz und Donner waren es deutlich weniger als 30 Sekunden, Zitat: "Wer sich vor Blitzeinschlägen auf dem Fußballplatz schützen will, hält sich am besten konsequent an die 30-30-Regel: Wenn zwischen Blitz und Donner weniger als 30 Sekunden vergehen, sollten sich alle Menschen in Sicherheit bringen."

Wer sagt, dass Regen zum Gewitter gehört?

Was der DFB leider nicht schreibt: Dass das Spiel dann abgebrochen werden müsste. Das schwurblige "in Sicherheit bringen" wird oft so verstanden, dass die Gemahlin einen Regenschirm bekommt und die Erben von Sepp Herberger nicht weicheiern. Die Sache mit der Zeitdifferenz zwischen Blitz und Donner ist ohnehin eine völlige abseitige Aufgabe für den Schiedsrichter, der neben der Schwalbenbeobachtung nun plötzlich auf Blitz und Donner achten soll – solche Multitasking-Genies werden hoffentlich gut bezahlt. Die dummdreiste Regel funktioniert ohnehin nicht bei starken Gewittern, wenn Dauerdonnern mit Dauerfeuerwerk eine Zuordnung völlig unmöglich machen.

Nicht gelogen durch die Augenzeugen war immerhin, dass es zum Blitzzeitpunkt nicht geregnet hat, was man hier bestätigt sehen kann:

Das Problem ist nur: Wieso sollte es? Wer hat gesagt, dass es regnen muss, wenn der Blitz einschlägt? Hier rächt sich einmal mehr das naturwissenschaftliche Bildungsprekariat im Land – wäre es irgendwann mal in der Schule gekommen, hätte man wie in vielen zivilisierten Ländern in den Schulen Übungen zum Verhalten bei Unwetter gemacht, könnte es was geworden sein an dem Tag in Rheinland-Pfalz. Leider wird das nichts, wo Prävention, Sirenen und Notvorrat als Panikmache gelten. Blitze können weit entfernt von der eigentlichen Gewitterwolke einschlagen und das nicht selten.

Schon vor dem tödlichen Blitzeinschlag Feuerwerk und akustisches Rambazamba

Am vergangenen Mittwoch war es wieder soweit, diesmal mit einem Toten. In den ersten Medienberichten stand schon der wunderbare Satz des vorauseilenden Gehorsams, dass der Blitz in Spiesheim wahrscheinlich mal wieder etwas ganz Besonderes war, Zitat: "Es kann sein, dass es vor dem Einschlag weder einen Blitz noch einen Donner gab, sich das Gewitter also nicht angekündigt hatte."

Ja, die richtigen Blitze kündigen sich ja auch immer an mit einem Telegramm. Den Medien geht es wie dem DFB, sie täuschen der Welt vor, dass wir technologisch im Mittelalter seien, damit niemand irgendwas tun muss, was verhindert, dass Menschen auf dem Fußballplatz sterben.

Auch der Blitzeinschlag in Spiesheim hatte sich ausführlich angekündigt, in der halben Stunde davor gab es ausführlich Feuerwerk und akustisches Rambazamba nördlich und südlich von Spiesheim:

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Dem zynisch-bräsigen DFB kommt zupass, dass auch Journalisten zu faul sind, bei den frei im Internet verfügbaren Quellen nachzusehen, ob der eine tödliche Blitz nun wirklich der erste total überraschende war, und so die Überraschungs-Möglichkeit hinschreiben, obwohl man sie sofort falsifizieren könnte. Sicher hätte der Schiedsrichter bei beiden Spielen abbrechen können, abbrechen müssen. Aber was soll er im Eifer des Spiels noch alles richtig machen?

Und warum muss er im Jahr 2018 sowas entscheiden, wo man das seit 20 Jahren automatisch machen könnte, für jeden Spielort jeder Liga – der Organisator oder der DFB gibt Spielort und -zeit in das DFB-Frontend ein und bekommt für die Spieldauer sowie zwei Stunden davor/danach automatisch die Warnung, wenn Blitze innerhalb eines erst 15-, dann 10 km-Radius' registriert werden. Wenn der 10-Kilometer-Radius unterschritten wurde, wird unterbrochen, bis ein kluger Algorithmus oder/und ein Meteorologe (mehr brauchts nicht) Entwarnung gibt.


Sowas könnte schon zum kommenden Wochenende stehen, wenn der DFB wollte. Es muss ja nicht mit uns sein, denn ich habe ja "zynisch-bräsig" geschrieben und es ist auch für uns so, dass wir lieber nicht mit Menschen zusammenarbeiten wollen, denen das Leben anderer Menschen schon so lange so sehr egal ist. Aber wir helfen gerne mit Rat, wenn gewünscht, damit es aufhört.

Der Tod des Torhüters der SG Nieder-Wiesen kann nur noch einen Sinn bekommen, indem es der letzte war, für immer, und die zukünftige App seinen Namen bekommt, wenn seine Verwandten mögen – und von einer Strafanzeige gegen den DFB absehen wollen, die ja auch etwas bewirken könnte. Der Schiedsrichter des Spiels wird seines Lebens nicht mehr froh sein. Ich hoffe sehr, dass ihm tröstend zur Seite gestanden wird. Der Übermensch, der er auf dem Papier sein sollte, kann er nicht sein. Die Schuldigen am Tod nach dem Spiel in Spiesheim waren nicht vor Ort.

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