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Coronavirus: LKW-Fahrer berichtet über Situation in Italien


Als Lkw-Fahrer in Norditalien
"Alle haben eine riesige Angst sich zu infizieren"


Aktualisiert am 22.03.2020Lesedauer: 5 Min.
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Italienische Polizisten stoppen einen Lkw (Archivbild): Ein deutscher Fahrer berichtet von seinen Erfahrungen im Corona-Krisengebiet Norditaliens.Vergrößern des Bildes
Italienische Polizisten stoppen einen Lkw (Archivbild): Ein deutscher Fahrer berichtet von seinen Erfahrungen im Corona-Krisengebiet Norditaliens. (Quelle: Carlo Cozzoli/FOTOGRAMMA/imago-images-bilder)

In Europa ist Italien das Epizentrum der Corona-Krise. Jede Woche fährt Daniel mit seinem Sattelzug in den besonders betroffenen Norden des Landes. Was er dort erlebt, ist beklemmend.

In der Lombardei ist die Schmerzgrenze erreicht. Mitte der Woche richtete der Präsident der Region im Norden Italiens einen dramatischen Appell an seine Bürger. Wegen der ungebremsten Ausbreitung des Coronavirus sei zu befürchten, dass die Kliniken bald nicht mehr in der Lage sein könnten, den Kranken eine Behandlung zu bieten, sagte Attilio Fontana von der rechten Lega. Mit über 2.500 Toten (Stand Freitag) ist die Lombardei die mit Abstand am stärksten betroffene Region des Landes. In ganz Oberitalien sind inzwischen mehr Opfer zu beklagen als in China, wo die Pandemie ihren Anfang nahm.

Die dramatische Lage südlich der Alpen beschäftigt auch Daniel. Mehr noch: Er erlebt sie Woche für Woche hautnah. Für ein kleines Familienunternehmen aus Tirschenreuth in der Oberpfalz (Bayern) fährt der 44-Jährige Industriegüter und Nahrungsmittel in die Region, die seit dem 8. März eine Sperrzone ist – wie später das ganze Land. Daniel beliefert dort Industrie- und Logistikzulieferer. Auf dem Rückweg bringt er vor allem Reis nach Deutschland mit, aber auch Stahl, Mineralwasser, Spaghetti oder Süßigkeiten. Seit drei Jahren macht er das nun, für ihn ein Traumberuf, wie er sagt. Doch was er in Norditalien derzeit erlebt, könnte einem Albtraum entsprungen sein.

Das gesellschaftliche Leben ist zusammengebrochen

Die ganze Region ist im Ausnahmezustand. Das gesellschaftliche Leben ist komplett zusammengebrochen. Kaum einer traut sich noch auf die Straße – es sei denn, er muss Lebensmittel einkaufen oder zur Arbeit gehen. Doch selbst Letzteres will man im Norden nun noch drastischer beschränken. Jeder, der sich nur ein bisschen kränklich fühlt, bleibt zu Hause. Alle tragen Atemschutzmasken. Zu groß ist die Angst, sich anzustecken.

Eigentlich, sagt Daniel, sei das Frühjahr neben dem Herbst die schönste Zeit in Norditalien. "Es ist nicht zu warm und nicht zu kalt. Alles beginnt zu blühen, auch das Leben. Doch bei den Menschen ist es nun genau umgekehrt." An den lauen Nachmittagen sei niemand mehr draußen, niemand esse ein Eis, genieße einen Kaffee, unterhalte sich. Das alles finde jetzt nicht mehr statt. "Das beklemmt einen schon sehr."

Man begegnet sich eigentlich nur noch an der Tankstelle, in der Apotheke oder im Supermarkt, berichtet Daniel. Aber auch dort blieben alle auf Distanz. "Zu 99 Prozent trägt jeder eine Atemschutzmaske. Und wer keine Maske hat, macht wenigstens einen Schal vors Gesicht. Wenn jemand hustet im Supermarkt, dann kannst du eine Stecknadel fallen hören. Alle schauen die Person an. Und dann die beklemmenden Durchsagen, aus hygienischen Gründen bitte den Sicherheitsabstand einzuhalten. Das ist wirklich erschreckend."

Hilfe kommt aus China

Zu lange hatte man in Italien die Krise unterschätzt. Als Ende Februar die ersten Städte unter Quarantäne gestellt wurden, hatte sich das Virus längst im ganzen Land verteilt. Jetzt droht dem Gesundheitssystem der Kollaps. Dringend benötigte Hilfe kam in den vergangenen Tagen aus China. Per Flugzeug schickte Peking Beatmungsgeräte und Tausende Schutzmasken. Auch ein Team von Coronavirus-Experten war dabei. Und Alibaba-Gründer Jack Ma versprach Italien weitere über zwei Millionen Atemmasken und medizinische Hilfsmittel wie Testkits.

Ein Zeichen der Solidarität und ein kleiner Hoffnungsschimmer inmitten der sich verschärfenden Krise. Daniel sagt, er sei nicht ängstlich. Doch auch er befinde sich inzwischen seit Wochen im Ausnahmezustand. "Ich wasche mir permanent die Hände, desinfiziere immer wieder das Lenkrad, die Autoschlüssel, das Feuerzeug, nach dem Einkauf Lebensmittelverpackungen und Flaschen. Ich fasse mir nicht ins Gesicht. Daran gewöhnt man sich leicht. Auch in Deutschland trage ich im Supermarkt einen Mundschutz, auch wenn die Leute mich wie einen Aussätzigen anschauen. Aber ich will für mich tun, was ich kann. Nicht um mich zu schützen, sondern um andere zu schützen. Ich horche dreimal mehr in meinen Körper rein als vorher."

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Die Einhaltung von Hygieneregeln muss in Italien derzeit niemand kontrollieren, erzählt der Lkw-Fahrer. Jeder halte sich automatisch daran. "Wenn ich bei den Kunden ankomme, darf ich Räume nur noch mit Schutzkleidung betreten. Mundschutz, Handschuhe, überall steht Desinfektionsmittel bereit. Mein Ausweis wird kontrolliert. Denn wenn bei mir später eine Infektion festgestellt werden sollte, will man nachvollziehen können, wann ich wo gewesen bin."

Der sonst so lässige Umgang mit Sicherheitsvorschriften, dass man einen Lastwagen auch mal in Flipflops abladen kann, wie Daniel erzählt, sei komplett weg. Vorschriften würden nun peinlich genau eingehalten. Beim Arbeiten trage jeder eine Maske mit Filter – auch wenn damit das Atmen unter Belastung unwahrscheinlich schwer falle. Zumal die Temperaturen nun schon oft auf über 20 Grad steigen. "Aber alle haben eine riesige Angst sich zu infizieren. Und es ist ja noch nicht einmal auf dem Höhepunkt."

"Man hört gruselige Geschichten"

Am Freitag stieg die Zahl der Toten in Italien um 627 auf nun über 4.000. So ein Plus an nur einem Tag hatte es zuvor noch nicht gegeben. Allein in der Lombardei starben binnen 24 Stunden 380 Menschen. Von seinen italienischen Kollegen hört Daniel, wer immer sich krank fühlt, der bleibe zuhause. "Aber es kann keiner sagen, ob sie wirklich erkrankt sind. Denn wie ich gehört haben, gibt es nicht ausreichend Tests. Die Leute müssen Tagebuch führen, müssen sich von Angehörigen versorgen lassen. Man hört gruselige Geschichten, dass manch einer zu Hause verstorben ist und die Leiche auch nach Tagen nicht abgeholt wurde."

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Umso mehr ist der Fernfahrer vom Zusammenhalt und der Hilfsbereitschaft beeindruckt. Die Menschen arrangierten sich mit der Situation und versuchten, das Beste draus zu machen. "In einem Hotel, in dem ich oft gehalten habe, haben sie einen abgesonderten Raum für die Lkw-Fahrer aufgemacht. Der steht auch in der Nacht offen. Man kann dort zur Toilette gehen, sich duschen. Sie kochen immer noch für dich, wickeln es gut ein, bringen es mit Mundschutz und Handschuhen hinaus. Das ist ja ihre Lebensgrundlage. Hotelgäste haben sie nicht mehr. Lkw-Fahrer sind die einzigen, die noch kommen. Beim letzten Mal brachte mir der Wirt zum Abschied noch einen Caffé Corretto aufs Haus. Er sah sehr traurig aus. Mir stand das Wasser in den Augen."

Auch von der Disziplin der Italiener könnten sich die Deutschen noch eine große Scheibe abschneiden, sagt Daniel. Über Hamsterkäufe von Toilettenpapier wie in Deutschland – die es zu Beginn der Krise auch in Norditalien gegeben hat – würde man da nur noch lachen. Die Supermärkte seien ja weiterhin gut gefüllt.

Was dem Lkw-Fahrer Sorgen bereitet, ist die Leichtfertigkeit, mit der viele Menschen hierzulande der Krise begegnen. "Wenn ich sehe, dass einige jetzt echt noch Corona-Partys feiern, das Kneipenverbot bis zum letzten Moment ausreizen – ich finde da gar keine Worte für. Die Leute müssen begreifen, dass sie einem unsichtbaren Feind gegenüber stehen. Sie selbst mögen es überleben, aber ihre Eltern und Großeltern bringen sie wirklich in Gefahr. Ich könnte das mit meinem Gewissen nicht vereinbaren."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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