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Missbrauch bei Freiburg: Justizpannen überschatten Prozessauftakt


Missbrauchsskandal bei Freiburg
Nicht nur den Tätern werden schlimme Fehler vorgeworfen

Von dpa, ds

12.04.2018Lesedauer: 4 Min.
Freiburg: Der wegen Kindesmissbrauchs Angeklagte bekommt im Gerichtssaal des Landgerichts die Handschließen aufgeschlossen.Vergrößern des BildesFreiburg: Der wegen Kindesmissbrauchs Angeklagte bekommt im Gerichtssaal des Landgerichts die Handschließen aufgeschlossen. (Quelle: dpa)
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Ein Junge wird von seiner Mutter und ihrem Freund im Netz zum Sex angeboten. Jetzt beginnt der Prozess gegen einen der mutmaßlichen Täter. Auch den Behörden werden schlimme Fehler vorgeworfen.

Nach dem jahrelangen Missbrauch eines Neunjährigen in Staufen bei Freiburg beginnt am Donnerstag der erste einer Reihe von Prozessen. Angeklagt ist ein Mann, der den Jungen über das Darknet kaufen und töten wollte. Auch die Mutter des heute 9-Jährigen und ihr Lebensgefährte sind angeklagt, ihr Prozess soll im Sommer beginnen.

Doch nicht nur die Täter stehen bei dem Verbrechen in der Kritik, auch den Behörden und den Gerichten werden schwere Vorwürfe gemacht. Obwohl die Polizei auf die Gefahr für das Kind aufmerksam machte und das Jugendamt reagierte, blieb der Junge letztlich in der Familie. Der Fall, der nach Angaben der Ermittler alle bisher bekannten Dimensionen sprengt, wirft grundsätzliche Fragen auf. Eine politische Debatte über mögliches Behörden- und Justizversagen war überregional die Folge.

Wer steht vor Gericht?

Nach dem jahrelangen Missbrauch eines Neunjährigen im Raum Freiburg müssen sich insgesamt acht Verdächtige vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft hat in allen Fällen Anklage erhoben, wie ein Sprecher sagt. Der erste Prozess beginnt an diesem Donnerstag vor dem Landgericht Freiburg, weitere Prozesse folgen in den kommenden Monaten. Mehrere der Angeklagten sind laut Anklage einschlägig vorbestraft.

Warum hat der Fall eine solche Tragweite?

Für Justiz und Polizei ist es ein Fall mit bisher nicht bekannten Dimensionen. "Wir haben es mit äußerst brutalen und menschenverachtenden Verbrechen zu tun", sagte der Chef der Freiburger Kriminalpolizei, Peter Egetemaier, als seine Beamten Ende Januar der Justiz den polizeilichen Abschlussbericht vorlegten. Im Zentrum steht ein heute neun Jahre alter Junge aus Staufen bei Freiburg. Er wurde den Ermittlungen zufolge von seiner Mutter (47) und ihrem Lebensgefährten (39) in zahlreichen Fällen im Internet angeboten und Männern aus dem In- und Ausland mehr als zwei Jahre lang gegen Geld für Vergewaltigungen überlassen.

Wie sollen die Verbrechen verübt worden sein?

Gezahlt wurden von Männern jeweils bis zu mehrere Tausend Euro, sagt der Freiburger Staatsanwalt Michael Mächtel. Dafür bekamen sie den Jungen auch für mehrere Tage. Sie reisten an, um sich an dem Kind zu vergehen. Der Kontakt zwischen der Familie des Jungen und den Männern lief über das Internet, die Taten wurden gefilmt. Diese Aufnahmen sowie Fotos dienen nun als Beweise. Mutter und Lebensgefährte waren laut Polizei an zahlreichen Vergewaltigungen aktiv beteiligt. "Die Art der Verbrechen, die Vorgehensweise der Täter sowie die Tatsache, dass eine Mutter ihr eigenes Kind verkauft und selbst misshandelt, das hat selbst erfahrene Ermittler an ihre Grenzen gebracht", sagt Kripo-Chef Egetemaier. Einen derartigen Fall habe es, zumindest in Deutschland, noch nicht gegeben.

Was droht den Angeklagten für eine Strafe?

Der Angeklagte ist dem Gericht kein Unbekannter. Wegen schweren Kindesmissbrauchs ist er den Angaben zufolge vorbestraft. Als es zur Vergewaltigung des heute Neunjährigen kam, stand er nach der Verurteilung wegen des früheren Falls von Kindesmissbrauch laut Staatsanwaltschaft unter sogenannter gerichtlicher Führungsaufsicht. Verhindert wurden die neuerlichen Straftaten dadurch nicht. Dem Mann werden nun laut Gericht unter anderem schwere Vergewaltigung, gefährliche Körperverletzung, Freiheitsberaubung sowie schwere Zwangsprostitution zur Last gelegt. Er befindet sich, wie alle anderen Tatverdächtigen auch, in Untersuchungshaft. Ihm drohen bei einer Verurteilung den Angaben zufolge mehrere Jahre Haft.

Nicht nur den Tätern werden schwere Verbrechen vorgeworfen. Auch Behörden sollen Fehler gemacht haben. Was wird Jugendamt und Justiz vorgeworfen?

Justiz und Jugendamt wird vorgeworfen, den Jungen nicht ausreichend geschützt zu haben. Im März vergangenen Jahres hatte es Warnungen der Polizei gegeben, dass vom neuen Lebensgefährten der Mutter eine Gefahr für den Jungen ausgehen könnte.

Wie wurde darauf reagiert?

Das Jugendamt nahm den Jungen aus der Familie und alarmierte die Justiz. Diese schickte den Jungen zurück zur Mutter und untersagte dem wegen schweren Kindesmissbrauchs vorbestraften und laut Gericht mit einem Rückfallrisiko behafteten Lebensgefährten der Mutter, Kontakt zu dem Kind zu haben. Er und die Mutter hielten sich jedoch nicht an die Auflagen der Gerichte. Die Vergewaltigungsserie, die damals noch unentdeckt war, setzte sich fort.

Warum haben Justiz und Jugendamt nicht reagiert?

Kontrolliert wurden die Auflagen den Angaben zufolge nicht, Gerichte und Jugendamt machen sich dafür gegenseitig verantwortlich. Zuständig für die Familie war das Jugendamt des Kreises Breisgau-Hochschwarzwald. Erst nachdem die Vergewaltigungsserie im Herbst vergangenen Jahres bekannt geworden war, kam der Junge aus der Familie und in Sicherheit. Er ist inzwischen in staatlicher Obhut.

Wurden Konsequenzen gezogen?

Jugendamt und Gerichte haben im Januar vereinbart, den Fall gemeinsam aufzuarbeiten und die Öffentlichkeit rasch zu informieren. Ein erstes Treffen habe es gegeben, bestätigt ein Sprecher der Behörde. Zwei weitere seien terminiert. Konkrete Ergebnisse gebe es noch nicht.

Gibt es weitere Vorwürfe?

Das Sozialministerium Baden-Württemberg hat im Landtag auf Anfrage des SPD-Abgeordneten Sascha Binder bestätigt, dass es bereits früh Hinweise einer Bewährungshelferin an die Justiz gegeben habe, dass der als gefährlich eingestufte Lebensgefährte bei dem Jungen und seiner Mutter wohne, obwohl ihm das untersagt worden war und er unter Führungsaufsicht des Gerichts stand. Doch es wurde monatelang nicht reagiert. Zwischen Behörden und Gerichten habe es ein "enormes Kommunikationsdefizit" gegeben, kritisiert Binder. Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) hat nach Bekanntwerden des Falls angekündigt, die Rolle von Behörden und Justiz in dem Fall untersuchen zu lassen. Ist das geschehen? Im Auftrag des Ministers prüfte die Rechtsaufsicht im Regierungspräsidium Freiburg die Arbeit des Jugendamtes in dem Fall. Ergebnis: Es habe in dem Amt keine Fehler oder Versäumnisse gegeben.

Was rät die Rechtsaufsicht?

Der Fall sollte landesweit zum Anlass genommen werden, die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Stellen zu verbessern. Neben dem Jugendamt seien Familiengerichte, Polizei, Strafjustiz und Staatsanwaltschaft sowie die Bewährungshilfe mit dem Fall befasst gewesen. Ziel sollte sein, deren Arbeit besser zu koordinieren. Die Landesregierung solle dafür die Grundlage schaffen.

Wie reagiert die Regierung?

Minister Lucha selbst hat sich hierzu öffentlich bislang nicht näher geäußert. Die SPD im Landtag verlangt weitere Aufklärung.

Verwendete Quellen
  • dpa
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