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Tod von 144 Psychiatrie-Patienten schockiert Südafrika


Apartheid immer noch Thema?
Tod von 144 Psychiatrie-Patienten schockiert Südafrika

ap, Krista Mahr

28.03.2018Lesedauer: 3 Min.
Angehörige der 144 gestorbenen Psychatrie-Patienten umarmen einander am Ende der Ermittlungen: Tod von 144 Psychiatrie-Patienten schockiert Südafrikaner.Vergrößern des BildesAngehörige der 144 gestorbenen Psychatrie-Patienten umarmen einander am Ende der Ermittlungen: Tod von 144 Psychiatrie-Patienten schockiert Südafrikaner. (Quelle: ap-bilder)
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Wie hält es Südafrika mit den Menschenrechten – mehr als 20 Jahre nach Ende der Apartheid? Und wie geht es mit Verstößen um? Das Schicksal von 144 Psychiatrie-Patienten schockiert – und lässt Fragen offen.

Als die Südafrikanerin Sophie Mangena ihre demenzkranke Mutter in einer Psychiatrie-Einrichtung besuchen wollte, fiel sie aus allen Wolken. Die Patientin, so erfuhr sie, war verlegt worden – ohne ihre Angehörigen zu informieren. Und das Personal konnte Mangena nicht einmal genau sagen, wo sich ihre Mutter nun befand. Ein Sicherheitsbeamter gab der schockierten Tochter dann einen Tipp: Die Kranke könne nach Takalani gebracht worden sein, einer wenig bekannten Einrichtung im Johannesburger Township Soweto.

Tatsächlich fand die Familie die 56-Jährige schließlich dort vor – sie war so stark abgemagert, dass sie kaum wiederzuerkennen war. Sie zitterte, war hungrig und barfuß, trug schmutzige Kleidung. Tage später starb sie.

Diese Tragödie war kein Einzelfall. Mindestens 144 Psychiatrie-Patienten kamen ums Leben, nachdem die Provinzregierung von Gauteng in Südafrika ihren Vertrag mit LifeEsidimeni, einem privaten Gesundheitsdienstleister, gekündigt hatte. Insgesamt 1711 Patienten, deren Behandlungskosten der Staat trug, wurden 2015 und 2016 in aller Hast aus der privaten Einrichtung in andere verlegt, von denen Dutzende keine richtige Lizenz hatten.

Sogar 200 Todesfälle möglich

Heute, zwei Jahre später, ist der Verbleib von 44 Patienten weiter unklar: Die tatsächliche Zahl der Toten könnte also bei fast 200 liegen.

In der vergangenen Woche wurden Mangenas Familie und 134 Angehörigen weiterer Opfer jeweils umgerechnet 81.400 Euro Entschädigung zugesprochen. Beobachter sehen darin einen wichtigen Schritt mit Präzedenzwirkung für den Umgang mit anderen Menschenrechtsverletzungen in Südafrika mehr als 20 Jahre nach Ende der Apartheid. Aber für die Hinterbliebenen bleibt die nagende und schmerzvolle Frage, wie das alles geschehen konnte – und warum. "Wir haben noch immer nicht die Antworten, die wir suchen", sagt Boitumelo Mangena, eine andere Tochter der Toten.

"Der größte Massentod seit der Demokratie"

Tatsächlich brachte auch ein Schiedsgerichtsverfahren keine Klarheit darüber, warum der Vertrag mit Life Esidimeni überhaupt gekündigt wurde. Als Gründe gaben Beamte unter anderem eine knappe Haushaltskasse und eine neue Politik an, nach der mehr Patienten in öffentlichen statt privaten Zentren behandelt werden sollten. Aber alle diese Gründe seien in sich zusammengefallen, sagt Sasha Stevenson von Section 27, einem juristischen Zentrum, das die Mangenas und Angehörige von mehr als 60 weiteren Patienten vertreten hat. "Das ist der größte Massentod seit der Demokratie. Es ist ein gewaltiges Versagen des Systems."

Verwandte und auch Esidimeni-Mitarbeiter beschreiben die Verlegungen zwischen Oktober 2015 und Juni 2016 als "chaotisch". Demnach wurden einige Patienten mit Bettlaken festgebunden und in Lastwagen geladen, andere ohne ihre Ausweispapiere oder medizinische Unterlagen in andere Einrichtungen gebracht. Die Bedingungen in manchen davon waren schlimm. Viele Patienten bekamen nicht genug zu essen und zu trinken, erhielten keine regelmäßigen Bäder oder angemessene Medikamente. Viele der Zentren waren überfüllt, in einigen Fällen mussten Schwerkranke auf Bänken oder auf dem Fußboden schlafen. Die meisten der Todesfälle ereigneten sich in fünf der Einrichtungen.

Keine Strafverfolgung in Aussicht

Die Öffentlichkeit erfuhr alle entsetzlichen Einzelheiten: Die Schiedsgerichtsanhörungen wurden live im Fernsehen übertragen. Gesundheitsminister Aaron Motsoaledi weinte während seiner Zeugenaussage, in der er sich bei den Hinterbliebenen und dem Land entschuldigte. "Ich habe mir nicht vorgestellt, dass in unserer neuen Demokratie Menschenrechte in dieser Weise verletzt werden könnten, in einer Weise, die an unsere Apartheid-Ära erinnert", sagte der Minister. "Ich fühle mich persönlich dadurch betrogen, dass manche, mit denen ich gearbeitet habe, so etwas tun konnten."

Die meisten der überlebenden Patienten sind in Life-Esidimeni-Zentren oder andere Einrichtungen zurückverlegt worden. Drei Beamte haben ihren Rücktritt eingereicht, und es gibt laute Rufe nach einer Strafverfolgung. Bis jetzt hat sich dahingehend aber nichts getan, und das gibt Hinterbliebenen das Gefühl, dass der Gerechtigkeit nicht Genüge getan worden ist.

So bleibt Nomvula Nonjabe, deren jüngere Schwester zu den verlegten Patienten zählte und überlebte, misstrauisch. "Es gibt weiter eine Menge Leute im Betreuungssystem für psychisch Kranke, die ignoriert oder vernachlässigt werden", sagt sie. "Wir sind ein gestresstes Land. Wir werden für immer unsere Regierung beobachten müssen."

Verwendete Quellen
  • AP
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