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Bad Nauheim: Wer war der Neunfach-Mörder der Brandkatastrophe 1986?


Brandstiftung im Jahr 1986
Wer ließ neun Menschen in einer Villa verbrennen?

Von Dietmar Seher

07.02.2020Lesedauer: 4 Min.
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Ausgebranntes Haus in Bad Nauheim: Neun Menschen starben 1986 bei dem Brand.Vergrößern des Bildes
Ausgebranntes Haus in Bad Nauheim: Neun Menschen starben 1986 bei dem Brand. (Quelle: Polizei Hessen)

1986 starben neun junge Menschen in einer brennenden Villa in Bad Nauheim. Ein Zeuge machte Angaben über den möglichen Brandstifter. Doch was war das Motiv für den vielfachen Mord?

Am 24. Mai 1986, kurz nach Mitternacht, muss die Feuerwehr im hessischen Bad Nauheim ausrücken: Ein brennendes Wohnhaus in der Gustav-Kayser-Straße. Feuer hüllt das Obergeschoss ein, Menschen kämpfen um ihr Leben, springen teils in die Tiefe. Trotz des Einsatzes von Feuerwehr und Anwohnern sind am Ende neun Menschen tot, zwölf haben schwere Verletzungen erlitten.

Die Geburtstagsparty des 24-jährigen Wohnungsinhabers Aldo B. endete so in einer Tragödie. Es stellte sich schnell heraus, dass ein bloßer Unfall als Ursache nicht in Frage kam. Ermittler fanden im hölzernen Treppenhaus große Mengen eines Brandbeschleunigers. "Die Untersuchung der Brandstelle und die weiteren Ermittlungen ergaben deutliche Hinweise darauf, dass der Brand absichtlich gelegt wurde", stellten sie schon kurze Zeit nach dem Ereignis fest. Irgendjemand hatte einen Benzin-Brandsatz gezündet. Es war ein Anschlag. Glatter Massenmord.

"Mord verjährt nicht"

Warum der Täter zuschlug? Ein Rätsel, Stoff für Spekulationen. Heute noch, mehr als 30 Jahre später, hoffen die Polizei in Friedberg und die Staatsanwaltschaft auf einen Fahndungserfolg. Eingestellt ist das Verfahren nicht. "Mord verjährt nicht", sagt Staatsanwalt Ruwen Spieler aus Gießen zu t-online.de.

Der Tatort: Eine alte Villa, Baujahr 1894. Eine Firma aus Italien nutzt sie als Niederlassungsbüro in der hessischen Stadt. Einen Zugang zum Gebäude gibt es nur auf der Rückseite. Im zweiten Obergeschoss wohnt mit Aldo B. der 24-jährige Mitarbeiter des Unternehmens.

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Die Tatzeit: Kurz nach Mitternacht. Die Fete ist in vollem Gang. Aldo B., das Geburtstagskind, hat 20 Gäste. Zusammen sind sie elf Männer und zehn Frauen, zwischen 20 und 25 Jahre alt, die Hälfte von ihnen sind ausländische Staatsbürger. Fünf Französinnen sind dabei, zwei Schweizer, ein Algerier, eine Libanesin und eine Ägypterin. Die meisten von ihnen haben sich als Au-pairs kennengelernt, in der örtlichen Sprachschule.

Die Laune ist gut, als es gegen 0.20 Uhr im Treppenhaus laut knallt. Ein Gast macht die Wohnungstür auf. Ein Sogeffekt entsteht. Feuer aus dem Flur rast durch die Wohnung. Die Flammenwand versperrt den Fluchtweg durch das Treppenhaus. Den schreienden Menschen bleibt nur der Sprung durch die Fenster. Von diesen aus geht es zwölf Meter in die Tiefe. Dass Nachbarn das Feuer bemerken und Matratzen vor die Villa zerren, um den Sprung aufzufangen, rettet zwölf der Opfer das Leben.

Was war das Motiv?

Die Lokalausgabe der "Frankfurter Neuen Presse" hat eine Beschreibung der Nacht in der Gustav-Kayser-Straße geliefert. Zwei Menschen überleben den Sprung nicht: Eine junge Frau aus Offenbach. Sie zieht sich schwere Kopfverletzungen zu. Und ein 22-jähriger Algerier. Er erleidet schwere Unterleibsverletzungen, als er in den eisernen Spitzen des Zauns landet. Beide sterben später im Krankenhaus. Sieben weitere Partygäste haben es nicht einmal zu den Fenstern geschafft. Man findet ihre eng verschlungenen Leichen am nächsten Tag in der völlig ausgebrannten Wohnung. Die Überlebenden des Anschlags tragen schwerste Brandverletzungen davon oder auch innere Verletzungen.

Drei Jahrzehnte später wird Bürgermeister Armin Häuser (CDU) an die Geschehnisse von 1984 erinnern: "Der Täter wurde noch nicht gefasst, weshalb diese Tragödie bis heute eine offene Wunde unserer städtischen Gemeinschaft ist." Einige der Toten seien Deutsche gewesen, so Häuser, "andere waren Gäste unseres Landes, die hier die deutsche Sprache und Kultur kennenlernen wollten." Für immer werde es Teil der Stadtgeschichte bleiben, auch "wenn wir nicht wissen, ob Neid, persönliche Rache, Ärger über laute Musik oder gar Fremdenfeindlichkeit den Täter zur Brandstiftung bewogen haben."

Tatsächlich gibt es die Beschreibung eines Verdächtigen. Ein Zeuge hat "kurz nach Mitternacht einen Mann beobachtet, der sich am Hintereingang des Hauses aufhielt", heißt es kurz nach der Tat in einem Fahndungsaufruf: "20 bis 30 Jahre alt. 175 bis 185 cm groß. Kurze helle Haare. Eine kurze Hose, vielleicht Bermudashorts, ein kurzärmeliges Hemd“.

Was könnte ihn getrieben haben? Eifersucht? Die Lautstärke? Eine psychische Krankheit? Oder könnte, wie es Häuser andeutete, eine fremdenfeindliche Brandstiftung vorliegen? Mölln. Hünxe. Solingen. Rostock. In den 1990er Jahren werden Anschläge mit solchem Hintergrund Schlagzeilen machen.

Doch auch im zeitlichen Umfeld der Bad Nauheimer Tat gab es schon vergleichbare Vorgänge:

Hamburg, 1980. Im Stadtteil Billbrook kommen zwei Vietnamesen ums Leben, nachdem eine neonazistische Gang Molotow-Cocktails in ein Flüchtlingsheim geschleudert hat. Ihre Terrorzelle nennt sich "Deutsche Aktionsgruppen".

Schwandorf, 1988. Ein 19-Jähriger, Mitglied der "Nationalistischen Front", steckt in der Innenstadt von Schwandorf ein Haus an, in dem vorwiegend Türken wohnen. Vier Menschen, drei türkischstämmige und ein Deutscher, verlieren durch diesen Anschlag ihr Leben. Der Täter erklärte laut "taz": "Ich wollte nur Ausländer ärgern."

Der Umgang mit dem Verbrechen von Bad Nauheim scheint heute in mancher Hinsicht verantwortungsvoller als bei anderen Straftaten: 2011, im Mai, und damit Monate vor dem Auffliegen der Verbrechen der rechtsextremen Terrorvereinigung Nationalsozialistischer Untergund (NSU), begannen die hessischen Ermittlungsbehörden, den alten Fall von Bad Nauheim – "Cold Case" ist bei Brandstiftungen ein zynischer Begriff – aus den Regalen zu holen. Man setzte auf neue technische Möglichkeiten, neue Zeugenaussagen, auf die Bereitschaft, nach vergangenen Jahren doch noch auszusagen.

"Es gilt die Unschuldsvermutung"

Ruwen Spieler spricht heute für die Gießener Staatsanwaltschaft. Es habe damals, 2011/2012, in Frage kommende Personen gegeben und eine neue Untersuchung, sagt er t-online.de. "Aber es gilt die Unschuldsvermutung. Es hat am Ende nicht zu einer Anklage gereicht."

Auch in der Frage nach dem treibenden Moment haben die Ermittler vor acht Jahren keine Antwort finden können. Es gebe "keine konkreten Hinweise", dass es sich um eine fremdenfeindliche Tat gehandelt haben könnte. Auch andere Motive seien möglich.

Armin Häuser, der spätere Bürgermeister, bilanzierte: "In jener Nacht hatte Bad Nauheim zwei Gesichter: Das einer Stadt, in der ein Einzelner aus bis heute unbekannten Gründen eine solch grauenvolle Tat begehen konnte und das einer Stadt der Hilfsbereitschaft, des Entsetzens, der Scham."

Verwendete Quellen
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