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Sahra Wagenknecht nach BSW-Gründungsparteitag: Meint sie das ernst?


Tagesanbruch
Meint sie das ernst?

  • Johannes Bebermeier
MeinungVon Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 29.01.2024Lesedauer: 6 Min.
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Sahra Wagenknecht: Sie muss zeigen, was sie wirklich will. (Quelle: IMAGO/imago)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

puh, also – ernsthaft? So ungefähr lassen sich meine Gedanken zusammenfassen, als ich am Wochenende die ersten Meldungen über den Gründungsparteitag des Bündnisses Sahra Wagenknecht gelesen habe. Das lag daran, dass Wagenknecht und andere die Ampelregierung mal wieder "die dümmste Regierung Europas" genannt haben.

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Verstehen Sie mich nicht falsch: Es gibt an der Ampel viel zu kritisieren. Doch wer dreißig Sekunden nachdenkt und wie Wagenknecht linke Politik machen möchte, der könnte andere Regierungen in Europa noch dümmer finden. Die in Italien zum Beispiel, wo eine Postfaschistin regiert, die Hunderttausenden per SMS die Sozialhilfe streicht. Nur so als Idee.

Nicht jede Punchline ist klug. Und erst recht macht sie noch keine kluge Politik. Deshalb nährten die ersten Meldungen meine Skepsis. Wird billiger Pointen-Populismus jetzt Wagenknechts Hauptgeschäft? Oder kommt da noch was?

Am dritten Lebenstag einer Partei kann diese Frage niemand abschließend beantworten. Doch der Gründungsparteitag war aufschlussreich. Was vor allem an den zwei erklärten Hauptthemen liegt, die rauf und runter verhandelt wurden: das Soziale und die Friedenspolitik. Und an dem einen Thema, das überraschenderweise fast keine Rolle spielte: die Flüchtlinge.

Die Bündnisgenossen mieden Wagenknechts zwischenzeitliches Lieblingsthema Migration großräumig. Das sollte wohl die oft artikulierte Abgrenzung zur AfD unterstreichen. Sie widerstanden damit aber auch der Versuchung, die Armen gegen die noch Ärmeren auszuspielen. Für die Frage, wie ernsthaft sie es mit der Sozialpolitik meinen, könnte das noch wichtig werden. Sofern sie es durchhalten.

Die soziale Frage ist der politische Konflikt, in dem die Wagenknecht-Partei tatsächlich einen wichtigen Beitrag leisten könnte. Sie könnte etwas schaffen, was derzeit keiner Partei in Deutschland gelingt: ökonomische Ungerechtigkeit wieder zu einem politischen Gegenstand zu machen, gegen den alle Parteien ernsthaft etwas tun müssen. Bei dem hübsche Wahlplakate allein nicht ausreichen.

Die Klassenfrage ist in Deutschland weitgehend entpolitisiert. Das hat zuletzt die großangelegte Studie "Triggerpunkte" von Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser gezeigt. Zwar wächst das Bewusstsein, dass die Ungleichheit in der Gesellschaft größer wird. Doch eine Bewegung für mehr Umverteilung wird daraus nicht, umfassender Sozialprotest erst recht nicht.

Die Wissenschaftler finden für dieses Paradox verschiedene Gründe. Etwa den Glauben, dass am Ende doch jeder seines Glückes Schmied ist. Daran halten in Deutschland auch Menschen fest, die kaum Glück haben. Obwohl die Forschung diesen Glauben weitgehend widerlegt hat. Menschen mit wenig Geld denken zudem oft, dass sie vor allem mit den Menschen konkurrieren, denen es noch mieser geht. Sie treten selbst nach unten, statt die Faust nach oben zu ballen. Wohl auch, weil es viele politische Akteure gibt, die ihnen einreden, dass das so schon richtig sei.

Es ist deshalb ein Anfang, wenn Wagenknecht nun von Mindestlohn, Renten, Arbeitslosenversicherung und Steuern für Reiche spricht, ohne den Flüchtlingen die Butter vom Brot zu wünschen. Wenn sie damit mehr Menschen mit wenig Geld und Abschlüssen zum Wählen motivieren könnte, würde sie helfen, ein echtes Problem für die Demokratie zu lösen: dass der Kampf gegen die wachsende Ungleichheit keine Lobby hat.

Wie schmal der Grat ist, auf dem die neue Partei balanciert, zeigt sich allerdings auch an vielen Stellen. So gibt es meist den lautesten Applaus, wenn Redner gegen identitätspolitische Strohmänner poltern. Wie Oskar Lafontaine gegen das Gendern ("Ihr habt sie nicht mehr alle!") oder die Cancel Culture ("präfaschistoid"). Dummerweise ist so etwas von links genauso schlicht wie von rechts.

Noch befremdlicher wird es mitunter, wenn Wagenknecht und Lafontaine über Friedenspolitik sprechen, das zweite große Thema der Partei. Die ernsthafte Beschäftigung mit der Frage, wie es in der Ukraine, in Israel und Gaza weitergehen kann, könnte ebenfalls ein wichtiges Anliegen für eine linke Partei sein. Doch dazu müsste man sich trauen, Täter und Opfer zu benennen – und anzuerkennen, dass Staaten darüber entscheiden dürfen, ob sie weiter existieren wollen oder nicht.

Wer das nicht tut und von "Marie-Agnes Strack-Rheinmetall" blödelt wie Wagenknecht, wer wie Lafontaine von den "Generälen Merz, Hofreiter, Strack-Zimmermann, Roth" schwadroniert – der spricht über Krieg und Frieden genauso unbekümmert, wie er es seinem Gegenüber vorwirft. Und wer sich wie Lafontaine auch dadurch von der AfD abzugrenzen versucht, indem er betont, dass die AfD "wie keine andere Partei an der Seite Israels" stehe, der hat noch ganz andere Probleme.

Man möchte Lafontaine dann fast packen und schütteln und an den Anfang seiner Rede erinnern, an dem er eine simple, wunderschöne Wahrheit ausgesprochen hat: "Wenn Politik einen Sinn hat, dann doch nur den, dass man das Leben der Menschen verbessern will." Die Wagenknecht-Partei muss nun beweisen, dass sie das will.


Diesmal gewinnt nicht die AfD

Ein CDU-Politiker ist neuer Landrat im Saale-Orla-Kreis in Thüringen. Christian Herrgott bekam in der Stichwahl am Sonntag 52,4 Prozent der Stimmen. Was nur deshalb überregional interessant ist, weil sein Gegenkandidat der AfD-Politiker Uwe Thrum war. Nach dem Erfolg im Landkreis Sonneberg stand die AfD also kurz davor, den zweiten Landrat Deutschlands zu stellen.

Das ist nicht passiert. Obwohl der AfD-Mann Thrum im ersten Wahlgang mit 45,7 Prozent noch deutlich vor Herrgott gelegen hatte (33,3 Prozent). Für dieses Jahr, in dem noch viele Wahlen in den Kommunen und Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg stattfinden werden, lautet die Botschaft: Es ist wunderbar, wenn Hunderttausende gegen Faschisten auf die Straße gehen und "leistet Widerstand" singen. Es ist noch wunderbarer, wenn sie diesen Widerstand auch in den Wahlkabinen zum Ausdruck bringen.


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Haushaltswoche im Bundestag: Die Fraktionen treffen sich schon heute und nicht erst am Dienstag zu ihren Sitzungen, weil es den Rest der Woche ums Geld geht. Der Bundestag geht nacheinander die Etats aller Ministerien für 2024 durch – und will den Haushalt dann endlich verabschieden. Wegen des Milliardenlochs nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts war das der Ampel im vergangenen Jahr nicht mehr gelungen.

Vielerorts bedeutet der Etat schmerzhafte Einsparungen. Doch im Haushalt 2025 wird das Geld noch knapper, weshalb bald wieder einmal über eine Reform der Schuldenbremse debattiert werden dürfte. Am Wochenende sprachen sich mehr als 50 Unternehmen in einem Brief für eine Reform aus, darunter der Energiekonzern Eon, Ikea, Miele und Thyssenkrupp. Grünen und SPD gefällt das – der FDP nicht.


Die Bahn kommt (wieder): In der Nacht ist der Streik der Lokführergewerkschaft GDL im Personenverkehr zu Ende gegangen. Vorzeitig, weil sich Bahn und Gewerkschaft am Wochenende verständigt hatten, bis Anfang März neue Tarifverträge auszuhandeln. Die gute Nachricht: Bis dahin soll es keine weiteren Streiks geben. Die durchwachsene: Am heutigen Montag muss sich der Fahrplan erst einmal wieder zurechtruckeln. Ganz rund dürfte es also noch nicht laufen.


Der Bundespräsident will zusammenhalten: Frank-Walter Steinmeier spricht mit Wirtschaftsverbänden, dem Deutschen Gewerkschaftsbund sowie Unternehmen und Betriebsräten darüber, wie gesellschaftlicher Zusammenhalt in Deutschland gelingen kann.


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Eigentlich war Geraldine Mock Hausfrau. 1964 wurde sie mit ihrem Flugzeug weltbekannt. Hier lesen Sie mehr.


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Das vergangene Jahr war schlecht, 2024 könnte noch schlimmer werden: Denn Kriegsherr Wladimir Putin führt weiter Übles im Schilde. Wartet der Kreml auf die US-Wahl? Das fragt sich unser Kolumnist Wladimir Kaminer.


Wie lief der Gründungsparteitag der Wagenknecht-Partei? Mein Kollege Carsten Janz hat es beobachtet und schildert in diesem Stück seine Eindrücke aus dem Kino Kosmos. Unser Politikchef Christoph Schwennicke schreibt über Oskar Lafontaine.


Robert Habeck hat in den vergangenen Monaten viel Wut auf sich gezogen. Seiner Laune scheint das nicht geschadet zu haben. Warum ist er so fröhlich?


Zum Schluss

Kommen Sie gut in die Woche. Am Dienstag schreibt Ihnen wieder Chefredakteur Florian Harms.

Ihr Johannes Bebermeier
Politischer Reporter
Twitter: @jbebermeier

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Mit Material von dpa.

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